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Neues Theater - Herbst-Varieté 2015
www.neues-theater.de - 70 Showfotos

Frankfurt-Höchst, 4. November 2015: Zweimal im Jahr ist Varieté-Premiere im Neuen Theater in Frankfurt-Höchst. Jeweils für einen Monat vereinen der Varieté-Frühling und der Varieté-Herbst Unterhaltungskünstler aus verschiedenen Sparten zu spannenden Shows. In dem vor einigen Jahren renovierten Theater im Westen der Frankfurter City gastieren sonst Abend für Abend Größen aus Kabarett, Comedy und Kleinkunst. Sebastian Puffpaff, Gerd Dudenhöffer und Robert Kreis etwa waren dieses Jahr schon hier. Die Varieté-Programme aber waren immer die besondere Leidenschaft von Gerald Zier.

Er ist der langjährige Vorsitzende des „Bund für Volksbildung Frankfurt am Main-Höchst e.V.“, der dieses Theater betreibt. Selbst Zauberer „im Nebenberuf“, hob er vor 28 Jahren das Varieté aus der Taufe. „Wir waren die ersten in Deutschland“, berichtet Zier in einem Zeitungsinterview. Nur das Hansa-Theater in Hamburg habe es damals schon gegeben. Die Leidenschaft wurde ihm offenbar in die Wiege gelegt, arbeitete sein Vater doch als Kellner im Stuttgarter Friedrichsbau. In den Anfangsjahren wurde in Höchst immer an den Wochenenden gespielt. Die Artisten kamen aus allen Himmelsrichtungen angereist, um ihre Künste zu zeigen und dann für den Rest der Woche wieder zu entschwinden. Genauso alt wie das Varieté im Neuen Theater sind auch die Söhne von Gerald Zier und seiner Frau. Einer der beiden hat mit diesem Herbst-Varieté die Produktion der Shows vom Vater übernommen. Und so steht Julius Zier, selbst Zauberer, zu Beginn der Premiere vor dem roten Vorhang und begrüßt das Publikum im komplett gefüllten Saal. So wird diese Premiere zu einer doppelten. Der blonde junge Mann macht seine Sache überzeugend. Die Sympathien des Publikums hat er ohnehin, sitzen doch viele Stammgäste im Zuschauerraum. Nicht nur die Einleitung in den Abend gelingt bestens. Auch sein erstes eigenes Programm hat der 28-jährige wunderbar zusammengestellt. Was keinesfalls einfach ist, denn wir erleben in Monte Carlo mit Gold prämierte Stars aus der Ukraine genauso wie den Nachwuchsartisten aus dem benachbarten Dreieich. Einige der Darbietungen sind durchaus „speziell“. Es wird nicht einfach jongliert oder mit Hula Hoop-Reifen gearbeitet. Die Auftritte beinhalten eigenwillige Interpretationen der jeweiligen Genres.


Anastasia Mazur, Matze Rapido, Marianna de Sanctis

Vergleichsweise einfach macht es uns da noch Anastasia Mazur. Ihre Kontorsions-Kür ist trickstark und wird harmonisch zelebriert. Ruhig zeigt die beim „Cirque de demain“ ausgezeichnete Ukrainerin, wie ästhetisch es sein kann, seinen Körper in ungewöhnlichster Weise zu verbiegen. Wunderbar unterstützt wird die Wirkung durch das effiziente Lichtdesign. Matze Rapido hat seine Diabolos bestens im Griff. Der hochgewachsene junge Mann aus dem Rhein-Main-Gebiet schickt die kleinen Spulen auf die unglaublichsten Bahnen – und die Handstäbe samt Schnur gleich mit. Bis zu drei Diabolos jongliert er gleichzeitig. Noch agiert er etwas zurückhaltend, wenngleich sehr sympathisch. Seine Bühnenpräsenz wird er mit zunehmender Erfahrung ausbauen. Schön, dass er im Neuen Theater die Möglichkeit dazu bekommt. Den Auftritt von Marianna de Sanctis zu beschreiben, stellt schon eine größere Herausforderung dar. Mit „Hula Hoop Exzentrik“ unternimmt das Programmheft einen Versuch, der dem Ganzen recht nahe kommen dürfte. Als grantelnde Störenfriedin im Publikum betritt sie die Szenerie. Auf der Bühne angekommen, legt sie mit ihrem langen Haar eine bemerkenswerte Performance hin. Ihre Haare nutzt sie etwa dazu, einen Reifen mit einem Zopf in Schwung zu halten. Dann balanciert sie ihr Requisit auf der Stirn, steckt es unter den Rock oder wirbelt es um ihren Körper. Marianna de Sanctis agiert dabei sehr ausdrucksstark, ihr Stil ist äußerst eigenwillig.


Anastasia Makeeva, Florent Lestage, Passe Pieds

Anastasia Makeeva füllt mit ihrer Luftakrobatik an geflochtenen Tüchern spielend den Raum unter den großen Chapiteaus. Monte Carlo, Weltweihnachtscircus und Knie waren einige ihrer letzten Stationen. In Frankfurt nun hat sie deutlich weniger Platz. Die Bühne ist zwar recht hoch, aber eben nicht mit den Dimensionen einer Zeltkuppel vergleichbar. Anastasia Makeeva hat sich intensiv auf die besondere Situation vorbereitet und meistert sie bravourös. Ich zumindest habe keinen ihrer teilweise riskanten Tricks vermisst. Hinzu kommt eine intime Form der Präsentation. Im roten kurzen Kleid mit weißem Pelzkragen betritt sie die Bühne, um dann zu einem französischen Chanson ihre Nummer zu arbeiten. Mit Frankreich geht es auch nach der Pause weiter. Dieses Land ist die Heimat von Florent Lestage. Er ist wieder einer dieser „speziellen“ Fälle. Ihn einfach als Jongleur zu bezeichnen ist zwar nicht falsch, wird seinem Auftritt aber nicht annähernd gerecht.  Der Silbermedaillengewinner beim „Cirque de demain“ kommt mit Mantel, Zeitung und Stock auf die Bühne. Zeitung und Mantel legt er bald beiseite, den Spazierstock integriert er in seine Keulenjonglagen. Er wirft seine Requisiten in die Luft, um sie wieder aufzufangen, balanciert sie  auf verschiedenen Körperteilen und lässt die Keulen mithilfe des Stocks scheinbar fliegen. Eine ausgefeilte Choreographie, die aus dem Rahmen des Üblichen fällt. Nicht alltäglich ist ebenfalls die Nummer am Trapez von Passe Pieds. Am European Youth Circus 2012 nahmen sie erfolgreich teil. Damals wie heute begeistert das belgisch-deutsche Duo mit witzig kommentierten Eskapaden in der Luft. Die beiden Frauen beschreiben verbal, was sie da gerade tun und schrecken vor kleinen gegenseitigen Gemeinheiten nicht zurück. Ihre lockere, sympathische Art ist ungeheuer erfrischend, ihre Haltefiguren und Voltigen beweisen das hohe artistische Können.


Julius Zier, Shcherbak & Popov, Bert Rex

Auf die zwei jungen Damen folgen zwei junge Herren. (Nikolay) Shcherbak & (Sergii) Popov scheren sich nicht um den Regen. Vielmehr tanzen die beiden Modellathleten in Latzhosen darin. „Dancing in the rain“ dient als musikalische Untermalung für ihre enorm starke Handstandakrobatik, mit der sie in Monte Carlo einen „Goldenen Clown“ gewannen. Scheinbar unbekümmert zeigen sie schwierigste Figuren, die einfach nur Staunen lassen. Bereits im Frühjahr 2014 haben sie im Neuen Theater begeistert, jetzt tun sie es wieder. Keine leichte Aufgabe hat Bert Rex. Er darf als Conferencier dieses facettenreiche Programm zusammenhalten. Das macht der nüchtern aussehende Thüringer ganz vortrefflich. Korrekt gekleidet im dunklen Frack mit bei  fast jedem Auftritt wechselnden farbigen Accessoires, ist er unser zuverlässiger Begleiter durch die Show. Das Äußere täuscht natürlich, denn Bert Rex hat es faustdick hinter den Ohren. Humorvoll und zaubernd hat er das Publikum fest im Griff. Berührungsängste gibt es dabei nicht. Wer mag – oder ganz sanft dazu gebeten wird – darf ihn auf der Bühne bei seinen magischen Kabinettstückchen unterstützen. Seine Plaudereien sind allesamt wirklich witzig und unterhalten bestens. Das Timing beherrscht er schon bei der Premiere traumwandlerisch. Und sein großes Versprechen zum Finale hält er ebenfalls ein. Wenngleich etwas anders, als es wohl die meisten Zuschauer erwartet hätten. Hinreißend, das sei hier noch erwähnt, ist das Vorführen von Zaubertricks in Zeitlupe. Arbeiten alle Nummern zur Konserve, wird auf Livemusiker dennoch nicht verzichtet. Die NTH Combo unterhält jeweils zu Beginn der beiden Programmteile mit im besten Sinne des Wortes „hausgemachter Musik“, vornehmlich Jazz. Zudem ist das Quartett  für die Begleitung des kreativen Finales verantwortlich.

Premiere gelungen – sogar gleich doppelt. Die Show ist beim Publikum bestens angekommen, und Julius Zier hat seine Feuertaufe bestanden. Sein Erstlingswerk kann sich sehen lassen. Der Vater hat ihm den Staffelstab für die erfolgreiche Varieté-Produktion übergeben. Jetzt liegt es an Julius Zier, sie weiterzuführen und dabei eigene Akzente zu setzen. Sicher nicht leicht, wenn man den eingangs dargestellten Ansprüchen gerecht werden will. Der Anfang jedenfalls ist erfolgreich gemacht, Glückwunsch. Einzig eine Temponummer hätte ich mir noch gewünscht. Warten wir ab, ob wir diese im Frühjahr 2016 zu sehen bekommen.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch