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Neues Theater - Varieté Herbst 2024
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Frankfurt-Höchst, 6. November 2024: Ein weißes Kaninchen zeigt uns den Weg zum Ort des Geschehens. Auf einem großen Screen an der Rückwand der Bühne hoppelt der animierte Nager in Windeseile zu einem magischen Hotel. Dort angekommen, begrüßen uns die Gastgeber des Abends, die Mentalmagier Sonambul, dann ganz real. Neben seinen eigenen Auftritten stellt uns das Duo die Zimmer des ehrwürdigen Gebäudes vor, in dem die Artisten der Show ihre Kunst zeigen. Mit diesem Rahmen gerät der Varieté Herbst im Neuen Theater zu einer ganz besonderen Produktion.

Im Kern wird auch im November 2024 ein Nummernprogramm gespielt. Durch die durchgehende Handlung und deren aufwendige Umsetzung hebt es sich aber vom üblicherweise in Höchst gepflegten Stil ab. Doch nicht nur das. Produzent Maik M. Paulsen hat spannende Darbietungen engagiert, die (bis auf eine Ausnahme) hier noch nicht zu sehen waren. Gemeinsam mit Regisseur Karl-Heinz Helmschrot hat er diese zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt.


Band Neelah

Eine noch größere Rolle als sonst spielt dabei die Band Neelah. Die vierköpfige Formation begleitet die Nummern vielfach von der Hauptbühne aus, steht also gemeinsam mit den Artisten im Scheinwerferlicht. Dies mit zumeist modernen Sounds. Ansonsten finden wir Sängerin Nicole Siegel, Schlagzeuger Jonatan Schuchardt, Bassist sowie Gitarrist Robin Brosowski und Keyboarder Aaron Poellet auf einer Seitenbühne. Bereits vor Beginn der Show unterhalten sie uns mit ihrer fantastischen Musik. Und natürlich hat das Team des Neuen Theaters einen gewichtigen Anteil am Gelingen. Genannt seien hier die Bühnencrew, die Techniker und die Menschen, die alles organisieren.


LED-Wand: Der Hoppel-Hase auf dem Weg ins magische Hotel

Die LED-Wand ist imposant, die darauf gezeigten animierten Zeichnungen sind quasi lebende Bühnenbilder. Sollen sie doch die davor stattfindenden Nummern unterstützen und nicht von ihnen ablenken. Jeder Artist bekommt einen eigenen Hintergrund, das Zimmer, in dem er seine Performance arbeiten darf. Hinzu kommen eigenständige Szenen, wie etwa der in rasantem Tempo hoppelnde Hase. Ein weiteres interessantes Detail: es wird mit den Requisiten gespielt. Beim ersten Einsatz von Sonambul liegen bereits die Reifen für die folgende Nummer auf dem Boden. Während der Luftnummer an Tüchern, finden sich darunter noch die Bälle der kurz zuvor gezeigten Jonglage. Dies sind nur zwei Beispiele, die einen fließenderen Übergang ermöglichen, aber auch eine Verbindung zwischen den einzelnen Darbietungen schaffen.


Sonambul mit Gästen aus dem Publikum

Zaubernde Conferenciers haben wir in den Varieté-Programmen des Neuen Theaters schon des Öfteren gesehen. Aber nichts davon ist vergleichbar mit der Kunst von Sonambul. Timothy Trust und Diamond (März 2019) hatten ebenfalls eine Nummer mit Gedankenlesen gezeigt. Roman von Thurau und Medium Vivian umrahmen den gesamten Abend mit einem umfangreichen Repertoire der Mentalmagie. Schon vor einigen Jahren beim Internationalen Neujahrs-Varieté in Bad Nauheim ließen sie uns ratlos zurück. In Höchst ist es nicht anders. Es geht damit los, dass Roman von Thurau Zuschauer bittet, Gegenstände zu zeigen. Vivian „erkennt“ sie von der Bühne aus mit verbundenen Augen. Auch die Seriennummer einer Banknote ist für sie kein Problem. Unglaublich auch die magischen Momente rund um zwei Bücher und kurz danach mehrere Zauberwürfel. Was Roman von Thurau mit dem quadratischen Spielzeug anstellt, verblüfft nicht nur den auf die Bühne geholten Herrn aus dem Publikum. Weiter werden persönliche Ereignisse aus dem Leben von Gästen erahnt. Genauso wie Prominente, an die zwei Zuschauer denken. Einen davon malt Vivian sogar auf einen Papierbogen. Keine Ahnung, wie die beiden das machen. Vielleicht ist wirklich Magie im Spiel. Es ist einfach nur faszinierend.


Tigris, Andalousi

Wie hingegen (Philipp) Tigris seine Kunst erbringt, ist offensichtlich. Nichtsdestotrotz besteht auch hier – zumindest für mich – keine Chance, es ihm gleichzutun. Im Outfit eines Matrosen – bis auf die Mütze „oben ohne“ - lässt der Artist Reifen um seinen trainierten Körper kreisen. In seine Hula Hoop-Nummer baut er verschiedene Handstände ein und beweist die außergewöhnliche Biegsamkeit seines Körpers. Zweifelsohne eine der originellsten Darbietungen des Genres. Als Hintergrund dient ihm noch kein Zimmer, sondern ein Papierschiff auf dem offenen Meer. In einem Raum des Hotels hat dann Andalousi seinen Auftritt. Sein Requisit, ein großer roter Sessel, wird von seinen Künstlerkollegen hereingebracht. In schwarzer Hose, weißem Hemd und mit geöffneter Fliege erzählt er die Geschichte einer durchlebten Nacht, wie es auf der Homepage des Theaters heißt. Dabei steht Handstand-Akrobatik im Mittelpunkt. In immer neuen Varianten hält er sich auf einer Hand oder auf zwei Händen im Gleichgewicht. Es sind starke Posen, mit denen Andalousi rundum überzeugt. Dazu spielt er ausdrucksstark die zugrundeliegende Story.


Donial Kalex, Veronica Fontanella

Ein düsterer Typ macht Donial Kalex das Leben schwer. Aus einem Koffer wirft er ihm unzählige weiße Bälle vor die Füße. Viel mehr, als der Jongleur eigentlich haben wollte. Doch der junge Mann mit den pinken Haaren lässt sich davon nicht einschüchtern. Er spielt mit ihnen, dass es eine wahre Freude ist. Schon die Jonglagen mit den Händen haben es in sich. Gewitzt arbeitet Donial Kalex Touren, die nicht alltäglich sind. Richtig faszinierend wird es, wenn er die Füße hinzunimmt. Denn auch mit ihnen fängt er Bälle und befördert sie wieder nach oben. Noch einmal kommt ein Koffer zum Einsatz. In diesem bringt Veronica Fontanella ihre roten Strapatentücher auf die Bühne. Künstlerkollegen helfen ihr, diese auszupacken, aufzuhängen und unter die Bühnendecke zu ziehen. Schon die Kür selbst verzaubert. Dank Licht und Livemusik wird daraus ein einziger Rausch. Die Artistin aus der italienischen Schweiz startet im Morgenmantel, den sie bald ablegt um in einem funkelnden Kostüm weiterzumachen. Ihre Tricks sind vielfältig und anspruchsvoll. Ihr Charme bezaubernd. Ein Traum, der ewig weitergehen könnte. Doch nach einer magischen Einlage von Sonambul geht es in die Pause. Danach erleben wir noch einmal Donial Kalex. Vor einer Sternenwand bewegt er zwei leuchtende Stäbe. Bei entsprechender Geschwindigkeit ergeben sich spannende Effekte.


Duo Elja, Andy Jordan

Julia und Ele Janke bringen Lokalkolorit genauso wie internationales Flair in die Show. Denn sie stammen aus dem Rhein-Main-Gebiet und haben schon in vielen renommierten Produktionen mitgewirkt. Ihre Akrobatik am Trapez erinnert bei aller Eigenständigkeit ein wenig an die Sorellas. Auch der Name würde passen, denn die Mitglieder des Duo Elja sind Schwestern, sogar eineiige Zwillinge. Beim European Youth Circus 2008 gewannen sie unter anderem den Publikumspreis. Nach wie vor überzeugen sie mit anspruchsvollen Haltefiguren und schwungvollen Elementen. Ein wenig Nervenkitzel ist immer dabei, wenn die Schwestern in luftiger Höhe agieren. Noch einmal wird jongliert. Doch auch die Nummer von Andy Jordan ist alles andere als gewöhnlich. Im Retro-Stil arbeitet er mit Ringen. Diese wirft er aber nicht nur nach oben, sondern ebenfalls nach unten. Quasi Bouncing-Jonglagen mit Ringen. Anders als in der Variante mit Bällen, wirft er seine Requisiten aber nicht vertikal nach unten, sondern leicht nach vorne. Von dort springen sie zurück in die Hände von Andy Jordan. Es ergeben sich nie zuvor gesehene Bilder. Technisch sind seine Jonglagen ohnehin anspruchsvoll. Die Präsentation im nostalgischen Habitus macht die Performance rund.


Sebastian Stamm, Szene aus dem Finale

Dann kehrt der düstere Herr aus dem ersten Teil zurück, jetzt ohne Koffer. Bei seiner Akrobatik am Chinesischen Mast dürfen wir uns davon überzeugen, dass Sebastian Stamm eigentlich ein ganz sympathischer Zeitgenossen ist. Und einen extrem muskulösen Body hat er noch dazu. Dies beweist er eindrucksvoll, wenn er sich seines Oberteils entledigt. Dabei hält er sich nur mit den Füßen am Pole fest. Es bereitet ihm scheinbar keine Mühe, die Stange immer wieder auf neue Weise zu erklimmen, daran Kunststücke zu machen und rasant wieder hinunter zu rutschen. Letzteres auch gerne mit dem Kopf voraus. Sein Mast spielt zudem beim folgende Finale eine Rolle. Alle Mitwirkenden gruppieren sich zu einem Schlussbild daran. Dabei dürfen die Artisten zudem den frenetischen Applaus des Publikums entgegennehmen – alleine und gemeinsam als Ensemble.

Ich bin auch mit den klassischen Nummernprogrammen des Neuen Theaters immer sehr glücklich. Trotzdem ist es schön zu sehen, dass sich die Macher nicht darauf ausruhen und neue Wege gehen. In diesem Varieté Herbst 2024 stecken ein enormer Aufwand, viel Kreativität und Herzblut. Das alles lohnt sich, denn wir werden mit neuen visuellen und akustischen Eindrücken verwöhnt. Insbesondere die noch stärkere Betonung der Livemusik überzeugt. Nur zu lachen gibt es diesmal wenig. Dafür eben ein starkes Gesamtkonzept, grandiose Artistik und schier unglaubliche Magie.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch