Im Kern wird auch im November 2024 ein
Nummernprogramm gespielt. Durch die durchgehende Handlung und
deren aufwendige Umsetzung hebt es sich aber vom üblicherweise
in Höchst gepflegten Stil ab. Doch nicht nur das. Produzent
Maik M. Paulsen hat spannende Darbietungen engagiert, die (bis
auf eine Ausnahme) hier noch nicht zu sehen waren. Gemeinsam
mit Regisseur Karl-Heinz Helmschrot hat er diese zu einem
harmonischen Ganzen zusammengefügt.
Band
Neelah
Eine noch
größere Rolle als sonst spielt dabei die Band Neelah. Die
vierköpfige Formation begleitet die Nummern vielfach von der
Hauptbühne aus, steht also gemeinsam mit den Artisten im
Scheinwerferlicht. Dies mit zumeist modernen Sounds. Ansonsten
finden wir Sängerin Nicole Siegel, Schlagzeuger Jonatan
Schuchardt, Bassist sowie Gitarrist Robin Brosowski und
Keyboarder Aaron Poellet auf einer Seitenbühne. Bereits vor
Beginn der Show unterhalten sie uns mit ihrer fantastischen
Musik. Und natürlich hat das Team des Neuen Theaters einen
gewichtigen Anteil am Gelingen. Genannt seien hier die
Bühnencrew, die Techniker und die Menschen, die alles
organisieren.
LED-Wand: Der Hoppel-Hase auf dem Weg ins magische Hotel
Die
LED-Wand ist imposant, die darauf gezeigten animierten
Zeichnungen sind quasi lebende Bühnenbilder. Sollen sie doch
die davor stattfindenden Nummern unterstützen und nicht von
ihnen ablenken. Jeder Artist bekommt einen eigenen
Hintergrund, das Zimmer, in dem er seine Performance arbeiten
darf. Hinzu kommen eigenständige Szenen, wie etwa der in
rasantem Tempo hoppelnde Hase. Ein weiteres interessantes
Detail: es wird mit den Requisiten gespielt. Beim ersten
Einsatz von Sonambul liegen bereits die Reifen für die
folgende Nummer auf dem Boden. Während der Luftnummer an
Tüchern, finden sich darunter noch die Bälle der kurz zuvor
gezeigten Jonglage. Dies sind nur zwei Beispiele, die einen
fließenderen Übergang ermöglichen, aber auch eine Verbindung
zwischen den einzelnen Darbietungen schaffen.
Sonambul mit Gästen aus dem Publikum
Zaubernde
Conferenciers haben wir in den Varieté-Programmen des Neuen
Theaters schon des Öfteren gesehen. Aber nichts davon ist
vergleichbar mit der Kunst von Sonambul. Timothy Trust und
Diamond (März 2019) hatten ebenfalls eine Nummer mit
Gedankenlesen gezeigt. Roman von Thurau und Medium Vivian
umrahmen den gesamten Abend mit einem umfangreichen Repertoire
der Mentalmagie. Schon vor einigen Jahren beim Internationalen
Neujahrs-Varieté in Bad Nauheim ließen sie uns ratlos zurück.
In Höchst ist es nicht anders. Es geht damit los, dass Roman
von Thurau Zuschauer bittet, Gegenstände zu zeigen. Vivian
„erkennt“ sie von der Bühne aus mit verbundenen Augen. Auch
die Seriennummer einer Banknote ist für sie kein Problem.
Unglaublich auch die magischen Momente rund um zwei Bücher und
kurz danach mehrere Zauberwürfel. Was Roman von Thurau mit dem
quadratischen Spielzeug anstellt, verblüfft nicht nur den auf
die Bühne geholten Herrn aus dem Publikum. Weiter werden
persönliche Ereignisse aus dem Leben von Gästen erahnt.
Genauso wie Prominente, an die zwei Zuschauer denken. Einen
davon malt Vivian sogar auf einen Papierbogen. Keine Ahnung,
wie die beiden das machen. Vielleicht ist wirklich Magie im
Spiel. Es ist einfach nur faszinierend.
Tigris, Andalousi
Wie
hingegen (Philipp) Tigris seine Kunst erbringt, ist
offensichtlich. Nichtsdestotrotz besteht auch hier – zumindest
für mich – keine Chance, es ihm gleichzutun. Im Outfit eines
Matrosen – bis auf die Mütze „oben ohne“ - lässt der Artist
Reifen um seinen trainierten Körper kreisen. In seine Hula
Hoop-Nummer baut er verschiedene Handstände ein und beweist
die außergewöhnliche Biegsamkeit seines Körpers. Zweifelsohne
eine der originellsten Darbietungen des Genres. Als
Hintergrund dient ihm noch kein Zimmer, sondern ein
Papierschiff auf dem offenen Meer. In einem Raum des Hotels
hat dann Andalousi seinen Auftritt. Sein Requisit, ein großer
roter Sessel, wird von seinen Künstlerkollegen hereingebracht.
In schwarzer Hose, weißem Hemd und mit geöffneter Fliege
erzählt er die Geschichte einer durchlebten Nacht, wie es auf
der Homepage des Theaters heißt. Dabei steht
Handstand-Akrobatik im Mittelpunkt. In immer neuen Varianten
hält er sich auf einer Hand oder auf zwei Händen im
Gleichgewicht. Es sind starke Posen, mit denen Andalousi
rundum überzeugt. Dazu spielt er ausdrucksstark die
zugrundeliegende Story.
Donial Kalex, Veronica Fontanella
Ein
düsterer Typ macht Donial Kalex das Leben schwer. Aus einem
Koffer wirft er ihm unzählige weiße Bälle vor die Füße. Viel
mehr, als der Jongleur eigentlich haben wollte. Doch der junge
Mann mit den pinken Haaren lässt sich davon nicht
einschüchtern. Er spielt mit ihnen, dass es eine wahre Freude
ist. Schon die Jonglagen mit den Händen haben es in sich.
Gewitzt arbeitet Donial Kalex Touren, die nicht alltäglich
sind. Richtig faszinierend wird es, wenn er die Füße
hinzunimmt. Denn auch mit ihnen fängt er Bälle und befördert
sie wieder nach oben. Noch einmal kommt ein Koffer zum
Einsatz. In diesem bringt Veronica Fontanella ihre roten
Strapatentücher auf die Bühne. Künstlerkollegen helfen ihr,
diese auszupacken, aufzuhängen und unter die Bühnendecke zu
ziehen. Schon die Kür selbst verzaubert. Dank Licht und
Livemusik wird daraus ein einziger Rausch. Die Artistin aus
der italienischen Schweiz startet im Morgenmantel, den sie
bald ablegt um in einem funkelnden Kostüm weiterzumachen. Ihre
Tricks sind vielfältig und anspruchsvoll. Ihr Charme
bezaubernd. Ein Traum, der ewig weitergehen könnte. Doch nach
einer magischen Einlage von Sonambul geht es in die Pause.
Danach erleben wir noch einmal Donial Kalex. Vor einer
Sternenwand bewegt er zwei leuchtende Stäbe. Bei
entsprechender Geschwindigkeit ergeben sich spannende Effekte.
Duo
Elja, Andy Jordan
Julia und
Ele Janke bringen Lokalkolorit genauso wie internationales
Flair in die Show. Denn sie stammen aus dem Rhein-Main-Gebiet
und haben schon in vielen renommierten Produktionen
mitgewirkt. Ihre Akrobatik am Trapez erinnert bei aller
Eigenständigkeit ein wenig an die Sorellas. Auch der Name
würde passen, denn die Mitglieder des Duo Elja sind
Schwestern, sogar eineiige Zwillinge. Beim European Youth
Circus 2008 gewannen sie unter anderem den Publikumspreis.
Nach wie vor überzeugen sie mit anspruchsvollen Haltefiguren
und schwungvollen Elementen. Ein wenig Nervenkitzel ist immer
dabei, wenn die Schwestern in luftiger Höhe agieren. Noch
einmal wird jongliert. Doch auch die Nummer von Andy Jordan
ist alles andere als gewöhnlich. Im Retro-Stil arbeitet er mit
Ringen. Diese wirft er aber nicht nur nach oben, sondern
ebenfalls nach unten. Quasi Bouncing-Jonglagen mit Ringen.
Anders als in der Variante mit Bällen, wirft er seine
Requisiten aber nicht vertikal nach unten, sondern leicht nach
vorne. Von dort springen sie zurück in die Hände von Andy
Jordan. Es ergeben sich nie zuvor gesehene Bilder. Technisch
sind seine Jonglagen ohnehin anspruchsvoll. Die Präsentation
im nostalgischen Habitus macht die Performance rund.
Sebastian Stamm, Szene aus dem Finale
Dann kehrt
der düstere Herr aus dem ersten Teil zurück, jetzt ohne
Koffer. Bei seiner Akrobatik am Chinesischen Mast dürfen wir
uns davon überzeugen, dass Sebastian Stamm eigentlich ein ganz
sympathischer Zeitgenossen ist. Und einen extrem muskulösen
Body hat er noch dazu. Dies beweist er eindrucksvoll, wenn er
sich seines Oberteils entledigt. Dabei hält er sich nur mit
den Füßen am Pole fest. Es bereitet ihm scheinbar keine Mühe,
die Stange immer wieder auf neue Weise zu erklimmen, daran
Kunststücke zu machen und rasant wieder hinunter zu rutschen.
Letzteres auch gerne mit dem Kopf voraus. Sein Mast spielt
zudem beim folgende Finale eine Rolle. Alle Mitwirkenden
gruppieren sich zu einem Schlussbild daran. Dabei dürfen die
Artisten zudem den frenetischen Applaus des Publikums
entgegennehmen – alleine und gemeinsam als Ensemble. |