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OVAG Neujahrs-Varieté 2014
www.ovag-gruppe.de - 85 Showfotos

Bad Nauheim, 11. Januar 2014: Kaum ist die Weihnachtscircus-Saison zu Ende, geht es für die 1. Liga der Artisten weiter: Budapest, Massy, Monte Carlo rufen – und Oberhessen. An den zuerst genannten Orten locken renommierte Festivals mit begehrten Auszeichungen. In Oberhessen ein Varieté der Extraklasse. Und das bereits im zwölften Jahr. Das Programm dauert dreieinhalb Stunden und hat so fast schon eine Monte Carlo-verdächtige Länge. Das Line up ist dabei sehr hochwertig. Noch eine weitere Gemeinsamkeit verbindet die Spektakel an der Cote d'Azur und in Oberhessen.

Beide haben einen finanzstarken Veranstalter. Während das Fürstentum vom Glücksspiel und anderen Einnahmequellen lebt, trägt sich die Ovag als Energieversorger für die Region. Will heißen, das Variete muss sich nicht alleine durch die Eintrittsgelder amortisieren, die in der Tat vergleichsweise günstig sind. „Als regionales Unternehmen wollten wir kein Geld für beispielsweise Radiowerbung investieren, sondern lieber der Region und unseren Kunden etwas zurückgeben. So kam unser Leiter der Öffentlichkeitsarbeit Andreas Matlé vor rund zwölf Jahren auf die Idee eines Varietés. Es sollte etwas sein, was sehr viele Menschen begeistert und nicht nur einen kleinen Interessentenkreis“, sagt Anne Naumann, PR-Referentin bei der Ovag und gemeinsam mit Matlé für das Varieté verantwortlich. Gespielt wird an den Standorten Bad Nauheim und Wartenberg. Das Dolce Theater in Bad Nauheim ist eine perfekte Location. Der wunderschöne Saal im Jugendstil bietet nicht nur Platz für 720 Personen, sondern dank einer Bühne mit großer Tiefe genügend Raum für aufwendigere Requisiten. Zudem sind Umbauten ohne Pause möglich: Während vorne der Conférencier das Publikum unterhält, wird hinter dem Vorhang beispielsweise eine Reckkonstruktion aufgebaut.


Willer Nicolodi, Steve Eleky, Christian Farla

Als Conférencier fungiert in der aktuellen Spielzeit Willer Nicolodi. In seine Moderationen lässt er natürlich seine Fähigkeiten als Bauchredner einfließen. So sehen wir ihn in seinen Überleitungen zwischen den Nummern etwa mit einem Strumpf, den er zum Leben erweckt. Selbstverständlich hat Nicolodi zusätzlich einen eigenständigen Auftritt. Diesen beginnt er im Dialog mit einer frechen Maus. Gleich darauf leiht er vier Zuschauern seine Stimme, was auch in Bad Nauheim für Lachsalven sorgt. Noch mehr Heiterkeit verbreitet nur Steve Eleky. Als Schotte mit Hai versucht er sich als Jongleur und Magier. Beide Auftritte sind so gekonnt dilettantisch, dass es eine wahre Freude ist. Wenngleich sein Auftritt jeden Abend (weitgehend) gleich abläuft, amüsiere ich mich nach wie vor immer wieder prächtigst. Ins Gespräch mit dem Publikum geht auch Christian Farla. Der niederländische Magier zeigt gemeinsam mit den „Showgirls of Magic“ spektakulär präsentierte Großillusionen. Er lässt sich nicht einfach nur so zersägen, sondern nutzt für diesen Trick einen riesigen Skorpion aus Metall. Das ist natürlich äußerst effektvoll. Gleiches gilt für die groß aufgemachte Entfesselung in einem Wasserbassin oder die Durchdringung einer Metallplatte. Farla und seine Girls beherrschen die aufwendige Show einfach perfekt.


Gina Althoff, Larissa Kastein, Lisa Rinne

Eröffnet wird die Show von einer Artistin aus einer traditionsreichen Circusfamilie. Gina Althoff debütierte mit ihren Antipodenspiele im Circus Siemoneit-Barum. Damals noch im Kostüm eines Pagen, hat die Enkelin des legendären Franz Althoff („Rennbahn-Circus“) die Form der Präsentation natürlich weiterentwickelt: „Eine Frau macht Urlaub, irgendwo im Süden, ein Cocktail, draußen tobt die Hitze und die Urlauberin versprüht ausgelassene Freude“, so beschreibt Althoff selbst die Idee ihres dynamischen Auftritts. Eine Lebensfreude, die einfach ansteckt. Kopfüber auf ihrer Trinka liegend, jongliert sie so zu Rumbamusik mit den Füßen Bälle, Ringe, Tücher und eine große Truhe. Ebenfalls aus einer, wenngleich deutlich jüngeren, Circusfamilie kommt Larissa Kastein. Die Flic Flac-Juniorin legt ihre Bluse auf einem Stuhl ab, um sich dann sündig bekleidet an einer Stange artistisch zu betätigen. Bei ihrer Akrobatik am Mast, oder wie es im Programmheft heißt „Chinese Pole“, verbindet sie fließende Bewegungen mit anspruchsvollen Tricks. Ganz klar ein echter Hingucker. Die Siegerin des letzten European Youth Circus in Wiesbaden heißt Lisa Rinne. Im Sommer konnten wir sie bei der Höhner Rockin' Roncalli Show erleben. Jetzt sorgt die sympathische Blondine für die einzige Luftnummer in der Show. Zunächst erklimmt sie auf höchst originelle Weise eine Strickleiter. Ihr eigentliches Requisit aber ist das Schwungtrapez. Hier zeigt sie longengesichert atemberaubende Sprünge. Die Riege der Solistinnen komplettiert Ana Yang. Zu sagen, die Vietnamesin würde mit Seifenblasen spielen, ist deutlich zu kurz gegriffen. Sie kreiert filigrane Kunstwerke in den unterschiedlichen Größen. Mal spielt sie mit einer riesigen Seifenblase, mal verwandelt sie die Bühne in einen wahren Regenschauer aus unzähligen kleinen Bubbles. Faszinierend sind zudem die Gebilde aus mehreren Seifenblasen, für die sie oftmals Rauch als zusätzlichen Effekt verwendet.


Hugo Noel, Tyrone Laner & Andrea Kissova, Daniel Wurtzel

Einziger männlicher Soloartist ist Hugo Noel. Mit seinem Cyr-Rad rollt der Kanadier über die große Bühne. Die mit hohen Schwierigkeitsgraden gespickte Kür lädt dank der eleganten, fließenden Präsentation zum Träumen. Noel ist zudem Mitglied der Catwall Acrobats. Ihre Trampoline inklusive „Haus“ haben sie in diesem Jahr gegen das Schleuderbrett eingetauscht. Dabei werben die vier Herren um die Gunst der Dame, was letztendlich in hohen Sprüngen mündet. Auf einer Bühne erscheinen diese noch wirkungsvoller als unter einem Chapiteau mit vergleichsweise hoher Kuppel. Spektakulär ist die Kunst des Messerwerfens in der Variante von Tyrone Laner vor allen Dingen deswegen, weil seine Partnerin Andrea Kissova viel in Bewegung ist. Während sie am statischen Brett steht, bewegt sie ihren Körper hin und her. Zum Schluss schnallt Laner die Lady auf eine runde Scheibe, die rotiert, während die Messer fliegen. Obwohl sie aus Italien und Tschechien kommen, gestalten sie ihren Auftritt im Tangostil. Zum Tanzen bringt Daniel Wurtzel mithilfe von Ventilatoren verschiedene Tücher, ohne aber selbst in Erscheinung zu treten. Dank entsprechender Beleuchtung ergeben sich so interessante Bilder. Sehr effektvoll und gleichzeitig leistungsstark sind die Figuren, die das Trio Laruss bildet. Ganz in Gold lassen die drei Ungarn im Zeitlupentempo immer neue Bilder der Equilibristik entstehen. In der kommenden Saison werden wir sie wieder bei Roncalli erleben können.


Elena Drogaleva, D'Holmikers, Atlantis

Immer wieder ein Genuss sind die rasanten Jonglagen von Elena Drogaleva und ihren drei Gentlemen. Faszinierend, wie die vier ständig ihre Positionen wechselnd die Keulen in der Luft halten. Es geht über mehrere Ebenen. Mal stehen zwei der Partner auf hohen Gestellen, mal liegen die drei Herren am Boden und werfen Elena Drogaleva die Keulen zu. Drogaleva ziert zudem im aparten Marlene Dietrich-Stil das Deckblatt des Programmhefts. Im Eingangsvideo, in dem alle Mitwirkenden das Publikum begrüßen, sehen wir die D'Holmikers in Zivil und dürfen feststellen, dass es sich hierbei um durch und durch sympathische junge Menschen handelt. Wenn sie aber später in der Show ihre Kapriolen am Barren zeigen, tun sie dies im Stil von Frankenstein-Monstern. Das mag sicher originell und witzig sein, nimmt aber zumindest mir ein wenig die Freude an dieser artistisch überzeugenden Darbietung. „Flying to the Stars“ konnten wir nicht nur 2012 beim Circusfestival in Monte Carlo (Bronzener Clown), sondern zudem beim letzten Heilbronner Weihnachtscircus sehen. Zwischen zwei Reckstangen haben die fünf Ukrainer ein Trampolin gestellt, was innovative Sprung- und Flugkombinationen erlaubt. Gerade noch bei Flic Flac in Dortmund engagiert waren Atlantis mit ihren Equilibristik-Figuren sowie Handvoltigen. Das Ganze wird, wie der Name verrät, in maritimer Aufmachung präsentiert und war so einige Jahre im Saisonprogramm des Circus Krone zu erleben.


Vegas Showgirls

Ein Novum für das Neujahrs-Varieté ist die Aufwertung der Show durch ein Ballett. Wie bei der Auswahl der artistischen Nummern, haben die Veranstalter auch hier Wert auf hohe Qualität gelegt. Mit den Vegas Showgirls sind sechs junge Damen am Start, die nicht nur verdammt gut aussehen, sondern zudem noch perfekt tanzen und eine tolle Ausstrahlung haben. Ihre Auftritte sind vielfältig und reichen vom Rock'n Roll bis zur klassischen Girlsreihe mit ordentlich Federn und Strass. Eine wahre Augenweide. Wo also das Auge verwöhnt wird, muss das Ohr etwas zurückstecken. Die Musik kommt aus der Konserve, wird aber sehr gut eingespielt. Für das Lichtdesign ist die Firma Flashlight verantwortlich. Abendregisseur Dominik Paysan und sein Team sorgen für flotte Umbauten. Bei den Shows in Wartenberg werden noch Modell-Kunstflieger Daniel Golla und Taschendieb Christian Lindemann dabei sein. Auf Schleuderbrett, Barren und Reck muss dafür an diesem Standort verzichtet werden.

Insgesamt 45 Mitwirkende stehen – so das aufwendige Programmheft - zum Finale auf der Bühne, welches gegen 23:30 Uhr endet. Die Zuschauer im (in jeder Vorstellung) ausverkauften Saal haben ein großartiges Programm erlebt. Scheinbar sind die Gäste in Bad Nauheim (laut Eigenwerbung eine „Gesundheitsstadt“!) dieses Niveau bereits gewohnt oder einfach nur von der Fülle „erschlagen“. Die Begeisterung könnte, ja müsste, deutlich größer sein. Denn die Veranstalter sind nicht nur finanzkräftig, sondern haben bei Zusammenstellung und Umsetzung dieses Neujahrs-Varietés einen äußerst gutes Händchen beweisen. Sie machen ihrem Publikum direkt nach Weihnachten noch ein besonders hochwertiges Geschenk. Dafür ganz herzlichen Dank!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch