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Internationales OVAG Varieté 2023
www.ovag-gruppe.de - 186 Showfotos

Bad Nauheim, 13. Januar 2023: Ein Varieté-Programm von über drei Stunden Länge zusammenzustellen ist schon an sich eine große Herausforderung. Noch dazu, wenn sich die Produktion auf höchstem Niveau bewegt und es keine Wiederholungen zu den Vorjahren geben darf. Hinzu kommt, dass die Auswahl der Darbietungen miteinander harmonieren soll, damit sich eine runde Show ergibt. Wie groß muss die Herausforderung sein, wenn aufgrund von Corona einfach mal so zwei Jahre ausfallen? Immerhin werden die Acts bereits 24 Monate im Voraus gebucht.

Dies verrät das professionell aufgemachte Programmheft. Wer kommt zum Zuge? Die Künstler, die für 2021 und 2022 gebucht waren oder die, die vielleicht schon für die aktuelle Ausgabe vorgesehen waren? Wer ist überhaupt verfügbar? Und ergibt das so zusammengesetzte Ensemble die gewünschte ausgewogene Mischung? Ähnliche Herausforderungen bei der Ticketlogistik. Auch hier ein Fact aus dem Programmheft. Während der laufenden Spielzeit werden bereits rund 60 Prozent der Karten für die folgende abgesetzt. Bei alljährlich rund 50 ausverkauften Aufführungen im großen Dolce Jugendstil-Theater kommen da schnell eindrucksvolle Zahlen zustande. Die meisten Zuschauer mit Tickets für die aufgrund der Pandemie abgesagten Shows haben diese behalten. Somit muss also sichergestellt werden, dass die Billetts ihre Gültigkeit behalten, keine Plätze doppelt vergeben werden und keine leer bleiben.


Finale

Die Herausforderungen in beiden Bereichen wurden hervorragend gemeistert. Konzentrieren wir uns nun auf die künstlerische Seite des „Internationalen OVAG Varieté“. Hierfür zeichnen einmal mehr Anne Naumann und Andreas Mattlé aus dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit des Veranstalters verantwortlich. Wiederum ist es ihnen gelungen, starke Acts zu verpflichten und daraus eine ausbalancierte Show zusammenzustellen. Einige der Mitwirkenden konnten wir bereits ein paar Jahre zuvor auf der Bühne des Dolce Theaters erleben, der Großteil des Ensembles feiert aber seine Bad Nauheim-Premiere. Sportlich gestalteten sich in diesem Januar auch die Proben. Denn teilweise waren die Artisten bis kurz vor Start noch bei anderen Produktionen engagiert. Die Truppe Khadgaa etwa war bis zum Sonntag noch in Würzburg beim Circus Krone. Einen Tag später schon wurde in der Wetterau Premiere gefeiert. So wird in der ersten Woche hinter der Bühne noch ordentlich gewirbelt, um dem Publikum vor dem Vorhang eine gelungene Show zu bieten. Dies letztendlich erfolgreich. Einzig einige der Umbaupausen geraten etwas lange. Ansonsten läuft es rund. Sicher ist es dabei auch von Vorteil, dass mit dem Team der Flashlight Veranstaltungstechnik ein eingespielter Partner für Licht und Ton dabei ist.


Karsten Stiers und die Vegas Showgirls, Selyna Bogino

Grandios gleich der Beginn. Auf der Bühne sind drei hohe Masten aufgebaut. Sway-Poles hat sie ihr Entwickler Hugo Noel genannt. Der ungemein kreative Artist hat damit den Schwankenden Mast neu erfunden. Denn diese Stangen sind extrem biegsam. An deren Spitzen haben sich zwei Damen in langen weißen Kleidern und ein Herr im schwarzen Frack festgeschnallt. Sie schwingen daran zu „Nothing else matters“ vor- und rückwärts so tief nach unten, dass sie den Gästen im Parkett recht nahe kommen. Den eigentlichen Auftakt im Greatest Showman-Stil übernehmen die Vegas Showgirls und Karsten Stiers. Die fünf Tänzerinnen sehen wir im Laufe des Abends noch öfters und Karsten Stiers ist unser Begleiter durch die Show. Gesanglich überzeugt er voll und ganz, ob beim Opener oder später etwa mit „Crazy“ und „Let me entertain you“. Seine Stimme ist wirklich grandios. Ansonsten wirkt Karsten Stiers etwas zurückhaltend. Es ist seine erste Moderation eines Varieté-Programms. Und dann gleich vor so einem großen Auditorium. Sicher hat er im Verlauf der knapp einmonatigen Spielzeit an Präsenz gewonnen. Die vermutlich kürzeste Anreise nach Bad Nauheim hatte Selyna Bogino, war sie doch zuvor im Frankfurter Tigerpalast zu erleben. Die aus Italien stammende Antipodistin verzaubert auch das Publikum in der Kurstadt im Nu. Virtuos jongliert sie Walzen, Tücher und Bälle mit den Füßen. Am Ende sind es fünf große türkise Bälle, die sie mit Händen und Füßen fliegen lässt. Das alles serviert mit einem überaus gekonnten Auftreten.


Hans Davis, High Tension, Kateryna Nikiforova

Schattenspiele in einer neuen Dimension zelebriert Hans Davis. Die Figuren, die er mit den Händen formt und die auf eine runde Leinwand projiziert werden, sind unerreicht filigran. Thematisch geht es von Tieren, die zugehörigen Laute inklusive, bis zur Welt des Films. Sogar bestimmte Persönlichkeiten stellt der Belgier so dar, dass sie bestens erkennbar sind. Für mich auf diesem Niveau vollkommen neu und absolut faszinierend. Die Sorellas haben 2015 im Dolce Theater mit ihrer Arbeit am Trapez brilliert. Christoph Gobet und Rodrigue Funke haben inzwischen ihre gemeinsame Arbeit beendet. Mit Julian Kaiser hat Christoph Gobet einen neuen Partner für das Trapez gefunden. Was die beiden nun als Duo High Tension zeigen, steht der preisgekrönten Nummer der Sorellas in nichts nach. So gut wie alle grandiosen Tricks von damals sind wieder dabei. Für Hochspannung ist also im wahrsten Sinne des Wortes gesorgt, ist der Auftritt doch wahrlich riskant. Dabei machen die beiden noch eine blendende Figur. Zumindest ein wenig Entspannung für die Zuschauer ist angesagt, wenn Kateryna Nikiforova ihre weißen Bälle tanzen lässt. Für ihre Bouncing-Jonglagen hat sich die Ukrainerin ein gläsernes Requisit mit drei Flächen ausgesucht. So sind neuartige Touren zu bewundern.


Daniel Golla, Silvia Gaffurini, Oleg Issozimov

Bei der folgenden Luftnummer bleibt der Hauptakteur am Boden. In einer Pilotenuniform schickt Daniel Golla seine Modellflieger auf die Reise. Mittels Fernsteuerung lässt er sie tollkühne Kunstflüge ausführen. Dies vorzugsweise über den Köpfen der Gäste im Saal. Auch durch die von den Vegas Showgirls im Outfit von kessen Flugbegleiterinnen gehaltenen Reifen steuert Daniel Golla eines seiner Miniaturflugzeuge souverän. Fliegen darf auch Emelie. Bei ihr geht es auf kleiner Plattform immer im Kreis. Gemeinsam mit Partner Royer erleben wir sie in einer rasanten Rollschuhdarbietung. Das blendend aussehende Duo hat neben den Klassikern des Genres auch Ungewöhnliches im Repertoire. So etwa eine Fahrt, bei der Royer seine Partnerin kopfüber in der Vertikalen rotieren lässt. Ein wenig Pech mit der offensichtlich recht trockenen Luft im Gebäude hat an diesem Abend Silvia Gaffurini. Einige ihrer vergänglichen Kunstwerke zerplatzen, bevor sie ihre ganze Schönheit entfalten können. Die Seifenblasen in vielerlei Varianten entstehen in liebevoller Detailarbeit. Mal pustet sie diese direkt mit dem Mund auf, mal mit einer kurzen, dann wieder einer langen gläsernen Röhre. Mit Rauch sorgt Silvia Gaffurini für zusätzliche Effekte. So entstehen schillernde Schönheiten, die äußerst charmant präsentiert werden. Zum Schluss lässt sie hunderte von Bubbles fliegen. Wenn es um formvollendete Handstandakrobatik zu Opernarien geht, kommt einem sofort ein Artist in den Sinn - Oleg Issozimov. Dabei stammt der von Luciano Pavarotti interpretierten Song „Caruso“ gar nicht aus einer Oper, sondern er erschien erstmalig 1986. Wie dem auch sei, das Stück passt wunderbar zur Equilibristik, die Oleg Issozimov wie immer im weißen Kostüm eines klassischen Balletttänzers zelebriert. Es ist faszinierend zu sehen, wie er nach wie vor hochkonzentriert schwierigste Kunststücke zeigt. Lange hält er sich zumeist auf nur einem Arm im Gleichgewicht ohne abzusetzen. Als Solist fesselt er für rund fünf Minuten die volle Aufmerksamkeit des Publikums.


Groupe Dobrovitskyi

Nach der folgenden Pause geht es in größerer Besetzung weiter. Im Quintett präsentiert die Groupe Dobrovitskyi Flugpassagen zwischen zwei statischen Fangstühlen. In historisch inspirierten Kostümen geht es für die beiden Fliegerinnen und den Flieger zwischen den beiden Fängern hin und her. Wir erleben raumgreifende Sätze. Besonders reizvoll sind die beiden Sprünge über Kreuz. Große rote Federn sind der Blickfang an den Kostümen der Vegas Showgirls, wenn sie tanzend das nächste von Karsten Stiers interpretierte Lied begleiten. Das Engagement von Yuchan Iizuka stellt insofern eine Premiere dar, als dass sie die erste Artistin aus Japan beim OVAG Varieté ist. Ihre Disziplin sind die Strapaten, auch als Tänzerin hat sie bereits gearbeitet. Beides verbindet sie zu einer wunderbaren, trickstarken Kür über der Bühne. Das traumhafte Lichtdesign macht den Genuss perfekt. Gar eine Weltpremiere ist der Auftritt von Sheyen Caroli. Schließlich hat sie ihre Kontorsions-Darbietung komplett neu gestaltet. In Anzughose, Weste, Hemd, Krawatte und Mütze sowie mit Zigarette in der Hand betritt sie die Szenerie, einen zwielichtigen Club mit Billardtisch. Letzterer dient als Podest für die unglaublichen, aber immer ästhetischen Verbiegungen ihres Körpers. Erst kurz vor Schluss fällt die Maskerade, aus dem vermeintlichen Herrn wird eine attraktive Lady. Ein knappes Outifit trägt Sheyen Caroli, wenn sie mit den Füßen einen Pfeil mit einer Armbrust abschießt. Dies als Doppelauslösung. Die eigentliche Zielscheibe befindet sich hinter ihr.


Marc Métral, Truppe Khadgaa, Leosvel & Diosmani

Traditionelle Varietékunst in eleganter Präsentation alter Schule ist das Metier von Marc Métral. Der Franzose ist einfach ein Entertainer durch und durch. Als Ventriloquist verleiht er seine Stimme. Zunächst an einen Vogel sowie einen Löwen aus Stoff, sodann an Lisa. Lisa ist eine weiße, quicklebendige Hundedame, die Dank ihres Herrchens sprechen kann. Bereits von sich aus sprechen können die vier Gäste, die Marc Métral zum Abschluss auf die Bühne holt. Er aber gibt ihnen neue Stimmen und lässt sie Dinge sagen, die sie so vermutlich vor großem Publikum nicht mitgeteilt hätten. Ein junger Mann legt sich schlafen und als sich die Decke seines Betts wieder hebt, kommt eine Hexe zum Vorschein. So beginnt die Magic Show von Magus Utopia. Im Reich von gruseligen Fabelwesen erlebt der Protagonist faszinierende Großillusionen. Bekannte, verblüffende Tricks werden hier sehr effektvoll in Szene gesetzt. Am Ende ist dann doch alles nur ein Traum, aus dem der Mann im Pyjama schließlich wieder erwacht. Gemeinsam mit seinen fünf Bühnenpartnerinnen und -partnern nimmt er den Applaus entgegen. Die Truppe Khadgaa vereint Handvoltigen und Kraftakrobatik in einer folkloristisch aufgemachten Darbietung. Prachtvolle Kostüme, einzigartige Choreographien und geheimnisvolle Klänge kennzeichnen ferner den Auftritt der Mongolen. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn acht Personen einen Turm bilden, der auf zwei starken Männern ruht. Die Vegas Showgirls sorgen vor der ersten Sitzreihe für Ablenkung, während hinter ihnen der letzte Aufbau des Abends stattfindet. Dieser ist für Leosvel & Diosmani und ihre atemberaubende Akrobatik am Mast. Schon das Erscheinen der Kubaner mit ihren trainierten Bodys sorgt für Raunen. Standing Ovations gibt es gar, wenn sie ihren Schlusstrick gezeigt haben, den einarmigen Handstand auf dem Oberkörper des Partners, den dieser im rechten Winkel von der Stange abdrückt. Zuvor haben sie mit vielen weiteren Übungen fasziniert, die ungeheure Kraft erfordern und bei Lesosvel & Diosmani ganz einfach aussehen. Die ausgelassene Stimmung überträgt sich auf das Finale, in dem das Publikum das gesamte Ensemble regelrecht feiert.

Alle Mühen haben sich also gelohnt, die OVAG hat die Gäste einmal mehr glücklich gemacht. Die Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft sagt ihren Kunden somit auf höchst originelle Weise „Danke“. Mit dem Varieté wurde längst eine Tradition begründet. Aufgrund der Pandemie befinden wir uns nun ein Jahr vor statt nach dem großen Jubiläum. Denn 2024 wird die 20. Produktion gefeiert.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch