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GOP Essen - "Quebec 2nd Avenue"
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Essen, 5. Januar 2012: Es gibt wohl kaum ein anderes Land auf der Erde, dem man die Entwicklung des Nouveau Cirque heute mehr zurechnet, als Kanada. Obwohl eigentlich im Frankreich der 1960er Jahre entstanden, wird dieser alternative Stil stark von dort aus, genauer gesagt von der östlichen Provinz Quebec aus, geprägt. Der Cirque du Soleil ist ebenso ansässig wie renommierte Zirkusschulen, die Jahr für Jahr artistisch wie künstlerisch hochwertige Artisten ausbilden.

Diese finden sich nicht zuletzt dann auf europäischen Varieté-Bühnen und manchmal auch in Zirkus-Manegen wieder. Eine dieser Zirkusschulen befindet sich in der gleichnamigen Hauptstadt Quebecs und ist in einer ehemaligen Kirche untergebracht – an der „2nd Avenue“. So war gleich schon der Name geboren für jenes Programm, welches nun acht ehemalige Artisten dieser Schule auf die GOP.-Bühne (bis Ende Februar in Essen, anschließend in Hannover) bringen. Sie präsentieren nicht schlicht ihre Nummern, sondern haben das Programm konzipiert und selbst Regie geführt. Erzählt wird dabei die Geschichte, wie eine Schule zum Treffpunkt junger Menschen wird, die miteinander interagieren, sich verlieben oder einander Scherze spielen, die auch mal aneinander geraten, um doch am Ende eine Gemeinschaft zu sein.


Vincent Dubé und Sébastien Tardiff

Jene Gemeinschaft wird besonders im ersten Teil deutlich. Dieser lebt vom hinreißenden Spiel der Künstler miteinander: mit anziehendem Charme, vielen wunderbaren Ideen - etwa dann wenn die Körper der Akteure zu lebenden Gegenständen werden – und einer guten Mischung aus Poesie und herrlichem Slapstick. So ist etwa das gemeinsame Box-Entree, bei dem die beiden Komiker Vincent Dubé und Sébastien Tardiff im Mittelpunkt stehen, dank origineller Einfälle wirklich zum Lachen und mein persönlicher Höhepunkt der Show. Im zweiten Teil sind diese Ensemble-Auftritte leider auf das Opening, eine nicht nachvollziehbare Klingelbeutel-Szene und das Finale begrenzt – Schade, gerne hätte man noch mehr davon gesehen!


Norbi Withney, Geneviéve Drolet, Julie Lavergne und Geneviéve Bérubé

Im artistischen Bereich sind typische Genres des Nouveau Cirque vertreten: Handstand-Equilibristik (Geneviéve Drolet), Diabolo- und Ringjonglage (Norbi Withney), Partnerakrobatik (Duo Reflex), Luftring (Geneviéve Bérubé) und Cyr (Julie Lavergne) werden solide, aber ohne besondere Leistungen dargeboten. Außergewöhnlicher ist da schon Geneviéve Bérubés Darbietung an einem an Bungee-Seilen hängenden Stuhl, mit dem sie über die Bühne und durch die Luft springt. Glanzpunkte sind auch die zwei weiteren Luft-Nummern: David Bonneville überzeugt mit starker Leistung an den Strapaten und die drei weiblichen Gruppen-Mitglieder Geneviéve Drolet, Julie Lavergne und Geneviéve Bérubé bilden mit einer ästhetisch wie leistungsstarken Arbeit (mehrere Abfaller) im Kubus den Schlusspunkt des Programms.

„Quebec 2nd Avenue“ zeigt auf vortreffliche Weise, warum die kanadischen Zirkusschulen zu den renommiertesten ihres Faches gehören: Die Artisten zeigen nach ihrem Abschluss nicht nur technisch starke Darbietungen, sondern sie sind zu wahren Persönlichkeiten mit einer einnehmenden Bühnenpräsenz geworden.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: GOP