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3. Internationales Varieté Festival Schweinfurt
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Sennfeld, 14. bis 24. Mai: Es ist schon ein außergewöhnliches und mutiges Konzept: Mitten in der Provinz, im kleinen Städtchen Sennfeld, an Schweinfurt angrenzend, hat Dirk Denzer nun zum 3. Mal sein „Internationales Varietéfestival Magische Momente“ veranstaltet. An elf Tagen wurden den Besuchern sieben verschiedene Shows geboten. Gespielt wurde wiederum in einem 1400-Plätze-Chapiteau inmitten der idyllischen Freizeitanlage Sennfeld. Trotz guter Grundideen vor allem bei den Themenshows "Wasserwelten" und "Musica" boten die Programme auch Anlass zu kritischen Bemerkungen.


Atmosphäre innen und außen, Dirk Denzer

Das Unternehmen des Festivalinitiators, „Dirk Denzer Performing Arts“, plant und veranstaltet für große Unternehmen wie BASF und Kärcher Events und Shows mit Varietékünstlern – offenbar wirtschaftlich und künstlerisch erfolgreich, wie die Hochglanz-Jahresberichte des Unternehmens  zeigen. Das „Internationale Varietéfestival Magische Momente“ bot nun nach 2004 und 2006 zum dritten Mal die Möglichkeit, Dirk Denzers Schaffen in öffentlichen Veranstaltungen zu erleben. Somit lieferte das Festival – zumal keinerlei Preise vergeben wurden – weniger einen Blick auf Trends und Entwicklungen der Varietészene generell, sondern war vielmehr „Hausmesse“, bei der Dirk Denzer die Leistungsfähigkeit seines Unternehmens präsentierte. Die aufwendigeren Produktionen „Musica“ und „Wasserwelten“ wurden jeweils an drei Abenden gezeigt, außerdem gab es eine „Comedy-Night“ und die Illusions-Show „Magic Moments“ an jeweils einem Abend. Komplettiert wurde das Programm durch die Nachmittagsveranstaltung „Erlebnisvarieté“ mit Mitmachkünstlern und eine Abschlussgala, in der Highlights des Festivals gezeigt wurden. Nachdem alle Veranstaltungen ganz oder praktisch ausverkauft waren, wurde noch eine Zusatzshow angesetzt. Im 46-Meter-Zelt schlossen sich der Bühne ein ebenerdiger Logenbereich mit Vierertischen und danach eine große Tribüne an, so dass die hinteren Reihen doch weit vom Geschehen entfernt waren. Besonderer Clou war ein 40 Quadratmeter großes LED-Netz im Bühnenhintergrund, das vielfältige Lichteffekte ermöglichte. Wir haben vier Shows besucht.


Phoenix Firedancers, Groove Connect und Giakomo, Michel Lauzière

„Musica – ein musikalisches Varietéspektakel“ war die erste große Produktion überschrieben (14.-16. Mai). Hier sollte die Musik die Hauptrolle spielen, und in der Tat waren es vor allem die Klänge, die begeisterten: Der Schweinfurter Michael Christof Schmidt alias Giakomo spielte auf seiner gläsernen Violine, begleitet von der famosen Frankfurter Band Groove Connect, sphärische Eigenkompositionen. Zum Motto „Musica“ gut ausgewählt war auch die Nummer des Duos „Viola“: Auf einem wunderschön geformten, sich drehenden Holzstuhl spielte die Bratschistin Mariana Vozovik, während ihr Partner Viktor Nebrik (für unser Empfinden etwas holprig) Handstände zeigte. Die Artisten in „Musica“ arbeiteten zu Giakomos musikalischen Kreationen statt zu ihrer Originalmusik (Reifenjonglage – Duo Vetrich, Strapaten – Duo Excellence, Hand auf Hand – Cosmic Artists). Hier wurde also von allen Festivalprogrammen am stärksten „inszeniert“, sprich: aus vorhandenen „Zutaten“ etwas Neues geformt. Einer der herausragenden Künstler des gesamten Festivals war der kanadische Komiker Michel Lauzière, der auf skurrile Weise Musik machte – zum Beispiel mittels eines Overalls, an dem 18 Hupen angebracht sind, die mit Händen, Füßen und vollem Körpereinsatz bedient werden können. So hupte er Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ mit fließendem Übergang zu „Old McDonald had a farm“. Lauzière wurde bei seinen Auftritten zunächst mit viel Jubel und Bravo-Rufen bedacht, kehrte dann aber wohl zu oft wieder, so dass die Reaktionen mit der Zeit nachließen. Insgesamt war der Abend für unsere Begriffe eher weniger Varieté, sondern eher „Performance“ oder ganz allgemein “Bühnenshow“ – eben eine Art von Entertainment, die man sich gut zur Feier eines großen Firmenjubiläums vorstellen könnte. Und genau das ist ja Dirk Denzers Spezialgebiet. Der Eindruck beruht vor allem auf der Auswahl der weiteren Darbietungen: Die Leuchtstab-Jonglage in Roboteroutfits sowie die Feuershow der „Phoenix Firedancers“ und die skurrilen Fabelwesen auf Stelzen der Münchner Gruppe „Zebra“ hatten eher Schau- denn artistischen Wert; die Sprünge und Salti der Cosmic Artists aus Berlin auf einem prall gefüllten Luftkissen konnten die Herkunft der Künstler aus dem Sportbereich nicht verhehlen. Die zweite der drei „Musica“-Vorstellungen wurde im Finale mit großem Beifall bedacht. Fotogalerie mit 15 Musica-Fotos


Rigolo, Junge Junge, Sos Petrosyan junior

Für die Illusionsshow „Magic Moments“ am 18. Mai hatte Dirk Denzer eine Auswahl hervorragender Zauberkünstler engagiert. Der preisgekrönte Comedy-Zauberer Topas aus Ostfildern führte durch den Abend und zauberte selbst mit Partnerin Roxanne – originell, verblüffend und unterhaltsam war zum Beispiel sein Auftritt vor der Pause, in dem er zahlreiche riesige Lautsprecherboxen aus einem Pappkarton zauberte. Besonders originell die „szenische Magie“ von „Junge Junge“: Die beiden Stuttgarter Brüder zeigten eine kleine Geschichte, in der sich ein „Englishman in New York“ die Schuhe putzen lässt – plötzlichen Farbwechsel der Schuhe von braun nach weiß und eine von Schwertern durchbohrte Kiste anstelle seines Kopfes inklusive. Unterhaltsam auch Roy Gardner als blasierter Graf, dem nichts so recht gelingen will, so dass sein Butler mit mitleidig-strafendem Blick eine Taube nach der anderen herbeihext. Der Quickchange-Nummer des Duos Petrosyan können wir – vor längerer Zeit schon einmal in Stuttgart gesehen – aufgrund der bemüht modernen Aufmachung mit Techno-Musik nach wie vor nichts abgewinnen, im Gegensatz zum Auftritt der beiden Petrosyan-Söhne: Der elfjährige Sos junior zauberte mit für sein Alter erstaunlich viel Ausstrahlung und Bühnenpräsenz Unmengen von Spielkarten herbei und bewies sich – assistiert vom neunjährigen Bruder Tigris – als Entfesslungskünstler. Gut taten dem Programm – zum Aufwärmen sinnvoll am Beginn platziert – die beiden artistischen Darbietungen (avantgardistisch: Reifen-Jongleur Jochen Schell, ungewöhnlich: Tamara Gray als Frau an den Römischen Ringen). Für besonders magische Momente sorgte außerdem der Schweizer Rigolo, der in seiner Solo-Performance aus lose aufeinander gelegten, getrockneten Palmblättern ein gewaltiges Mobile schuf. Auf atemlose Stille während seiner Darbietung folgten Riesen-Jubel und Bravo-Rufe nach getanem Werk. Starke Nummern, durch eine witzige Conférence verbunden – mehr brauchte es nicht für einen launigen Varieté-Abend. Von den vier besuchten Shows des Festivals fanden wir diese am unterhaltsamsten. Fotogalerie mit 30 Magic-Moments-Fotos


Fafa, Cotton McAloon, Krissie Illing

Zur „Comedy Night“ lud Dirk Denzer am 19. Mai. Besonders vor der Pause herrschte beste Stimmung im Publikum, fast alle Künstler ernteten viel Gelächter und großen Jubel. Das gilt zunächst für Slapstick-Künstler Tom Murphy, der beim Versuch, Einrad zu fahren und auf der freistehenden Leiter zu jonglieren, in alle erdenklichen Pannen schlitterte. Bestens kamen – wie am Vorabend mit ihrer Schuhputzszene – „Junge Junge“ an. Nun formten die beiden Künstler aus weißen Hüten immer neue Miniatur-Kostümierungen und wechselten zu passender Musikbegleitung blitzschnell von einer Rolle in die nächste. So bekam man Napoleon, einen Panflötisten, einen Boxkampf, die Sister-Act-Nonnen und den Untergang der Titanic zu sehen. Eindeutiger Publikumsliebling aber war Comedy-Jongleur Cotton McAloon, der – „halb  Ami, halb Franzose, ich wohne in Kreuzberg“ – die Marotten verschiedener Kulturen aufs Korn nahm. Fafa als qualmende Französin beim Frühstück und die bekannte Queen-Parodistin Krissie Illing hatten es dagegen schwerer. Das dürfte auch an der Größe des Raumes gelegen haben. Im zweiten Teil flaute die Stimmung zunächst merklich ab; Bauchredner Frank Rossi und erneut Krissie Illing, diesmal in einer Blinddate-Szene, fanden nicht die Gunst der Zuschauer. Wie gut, dass dann Alexander Xelo, die Rampensau, mit seiner mitreißenden Diabolo-Jonglage die Stimmung wieder kräftig anheizte. Michel Lauzière, Star der „Musica"-Show, setzte mit seinem Hupen-Overall und – ähnlich wie von Victor Minasov (Roncalli) bekannt – im überdimensionalen Ballon den Schlusspunkt. Wie in den „Magic Moments“ hatte auch für die Comedy-Night Topas die Conférence übernommen (nur mit Standup-Comedy, ohne Illusionen), und auch mit dem „Grafen“ Roy Gardner und Butler James gab es ein Wiedersehen. Wir hätten aus Gründen der Abwechslung gerne neben Xelo noch eine zweite „ernsthafte“ artistische Nummer gesehen. So oder so: Am Ende des Finales entschied sich das Publikum für Beifall im Stehen. Fotogalerie mit 25-Comedy-Night-Fotos


Alona Jouravel, Power Percussion, Bellowski

Für die zweite große Show „Wasserwelten“ (20. – 22. Mai) war es Dirk Denzer tatsächlich gelungen, ausnahmslos Künstler zu verpflichten, deren Darbietungen einen Bezug zum nassen Element hatten. Eine spektakuläre Lasershow als Auftakt, ein zehn Meter hoher Regenvorhang an der Bühnenkante und der Auftritt von „Fisch“ und „Hummer“ im Eröffnungsbild – zwei wundervollen Kreationen der Kostümbildnerin Anna Möntmann – zeugten vom Ehrgeiz, eine „Inszenierung“ zu bieten. Freilich war in der Kürze der eintägigen Probezeit aber kaum mehr möglich, als die Darbietungen rund ums Thema Wasser durch eine passende Conférence zu verbinden. Diese wurde von den „Physikanten“ aus Dortmund übernommen, die in allerhand Experimenten physikalische Phänomene erläuterten. Das war lehrreich, zum Teil auch recht unterhaltsam, aber für die vielen Auftritte nicht witzig genug. Im artistischen Teil hatte das Wasser die Aufgabe, für Sinnlichkeit und Erotik zu sorgen, was Handstandkünstlerin Alona Jouravel im drehbaren Würfel mit Sprühregen bestens gelang, Dmitry Ikin aber nur zum Teil – der junge Jongleur arbeitete in einem sehr flachen Wasserbecken stehend, was zur Folge hatte, dass die Bälle glitschig wurden und ihm oft entglitten. Bei seiner abschließenden Dusche unterm Regenvorhang zog er sich durch das Zerreißen seines T-Shirts, was besonders sexy wirken sollte, gar Unmut im Publikum zu. Die Caesar Twins begannen mit ihrer mit Abstand stärksten Darbietung, einer höchst anspruchsvollen Hand-auf-Hand Nummer, und weckten so Erwartungen, die sie später bei ihren Salti auf einem Luftkissen und – als Schlussnummer – der Akrobatik auf und in einem Plexiglas-Wasserbecken nicht mehr erfüllen konnten. Zudem ähnelte das Requisit zu sehr dem von Amazonia, die zur Programmeröffnung Kontorsion in und über einem fast baugleichen Wasserbecken gezeigt hatte. Außerdem im Programm: Power Percussion aus München mit Wassertrommeln, Michael Menes mit einer Jonglage wassergefüllter Schalen an einem Seil sowie im Rettungsring "auf hoher See" und die schöne Trapeznummer des weiblichen Duos „Neptuna“ als Unterwassernixen. Ein kleines Glanzlicht setzte im Übrigen Bellowski mit seinen schillernden Skulpturen aus Seifenblasen. Das Premierenpublikum spendete im Finale freundlichen Beifall. Fotogalerie mit 40-Wasserwelten-Fotos

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber (15), Veranstalter (1)