CHPITEAU.DE

Berliner Artistenschule - S.P.O.R.T.
www.absolventenshow.de ; 43 Showfotos

Stuttgart, 11. Juli 2012: Schon traditionell gehen die Absolventen der Staatlichen Schule für Artistik Berlin nach dem Ende ihrer Ausbildung gemeinsam auf große Deutschlandtournee. Die Tour läuft bis zum 4. September, aktuell ist das Ensemble im Friedrichsbau-Varieté Stuttgart zu Gast. Fünf Artistik-Absolventen, eine Ballerina aus der Fachrichtung Bühnentanz und drei Noch-Artistenschüler treten auf. Dabei bewegen sich die Darbietungen auf hohem Niveau. Allesamt erscheinen sie fürs Varieté und eher weniger für den Circus gemacht.

„S.P.O.R.T.“ lautet das Programmotto der Absolventenshow im Jahr der Olympischen Spiele. Viel offener und extremer als im Alltag träten im Sport Emotionen zutage, heißt es im Programmheft. Daher ließen sich mit dem Thema „Sport“ die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens besonders gut auf die Bühne bringen. Immer wieder allerdings wurden der Berliner Artistenschule auch eine übergroße Betonung der „sportlichen“ Ausbildung und eine Vernachlässigung künstlerischer Aspekte nachgesagt. Da mutet das Programmmotto fast schon wie ein ironischer Kommentar zu der Dauerkritik an. Für die Gestaltung des Programms konnte mit dem Belgier Marc Bogaerts, der in Berlin lebt, ein äußerst renommierter Choreograph gewonnen werden. Getreu seinem Motto, dass jede Bewegung Tanz ist, arbeitet er interdisziplinär in den Grenzbereichen von klassischem und modernem Tanz, Sport und „Cirque Nouveau“. Im Ergebnis hat die Absolventenshow ein modern und frisch wirkendes Antlitz erhalten.


Ensemble

Wie aus den vergangenen Jahren gewohnt, werden die Darbietungen der einzelnen Absolventen und Noch-Artistenschüler durch Zwischenspiele verbunden. Mit den Mitteln von Artistik, Tanz, Schauspielerei und Gesang kreisen sie um das Leitmotiv Sport, ohne dass die Geschichten allzu konkret würden. Sehr „modern“ bzw. „nouveau“ ist allerdings auch der Einfall, dass die jungen Künstler zum Ende ihrer Darbietungen jeweils nur kurz nach vorne treten, um dann quasi von der Bühne zu schleichen. Damit enden mehrere Darbietungen merkwürdig unvermittelt. Das klassische Kompliment ist demgegenüber doch wesentlich gefälliger und publikumswirksamer. Von Trios oder gar Truppen kann man in den Absolventenshows weiterhin nur träumen, in diesem Jahrgang fehlt gar ein Duo im Ensemble - und schon deshalb können spektakuläre Circus-Genres wie Schleuderbrett, Flugtrapez und Co. nicht ausgebildet werden. Dafür gibt es zum Beispiel bei den drei Luftnummern – Kette, Seil, Tuch – unübersehbare Parallelen im Trickrepertoire.

 
Marie Oldenbourg, Sascha Jacob, Max Loos

Zunächst gehört die Bühne dem Berliner Sascha Jacob, der über die Kinder- und Jugendcircusse Juxcircus und Cabawuzi letztlich zur Berliner Artistenschule kam und unter seinen Referenzen unter anderem zwei Saisons beim Traumtheater Salome vorweisen kann. In seiner innovativen Nummer, die zwei Jonglier-Genres verbindet, lässt er zwei Diabolos übers Seil tanzen und jongliert gleichzeitig mit drei Bällen. In einem weiteren Auftritt im zweiten Programmteil misslingt an diesem Abend die Jonglage mit vier Diabolos knapp (ohne Wiederholungsversuch), anschließend hält Jacob jedoch drei Diabolos ausdauernd in der Luft. Auch Max Loos kam über einen Kinder- und Jugendcircus zur Artistenschule und hat sich hier auf den Chinesischen Masten spezialisiert. Ganz in weiß mit Kapuze, ein Piercing ziert seine Unterlippe, beginnt er seine „cool“ dargebotene Nummer mit einem Vorwärtssalto am Masten. Schwierige Haltetricks wechseln mit kräftezehrenden Aufgängen und wagemutigen Abgängen, unter anderem kopfüber, nur mit den Beinen gehalten – einer der stärksten Auftritte des Abends. Marie Oldenbourg nutzt ihr Doppel-Schwungseil vor allem für schnelle, dynamische Positionswechsel zwischen den beiden Seilschlaufen. Spektakulär schon der erste Trick, bei dem sie sich vom Fußhang am oberen Seil in den Kniehang am unteren Seil stürzt. Es folgen Spagat, Schulterstand auf dem Seil, Genickhang am schwingenden Seil sowie leidenschaftlich vorgetragene Verstrickungen und Verschlingungen. Leistungsturnen und ebenfalls ein Kinder- und Jugendcircus führten die Münchnerin an die Artistenschule.


Sarah Stiefel, Oscar Kaufmann, Nathalie Wecker

Oscar Kaufmann ist noch Artistenschüler, darf jedoch bereits mit auf Tour gehen. Damit ist nun erstmals ein Cyr-Rad in einer Absolventenshow zu sehen. Geschickt nutzt der junge Artist die beschränkten Platzverhältnisse auf der Bühne – wenn das Rad sich, fast horizontal, nur knapp über dem Boden dreht und der Artist sich aus dieser Position wieder in die Vertikale emporschraubt, sorgt dies für großen Anklang im Publikum, genauso wie beispielsweise die Drehungen, bei denen er sich nur mit den Händen am großen Reifen hält. Ebenso noch Artistenschülerin ist auch die ehemalige Leistungsturnerin Nathalie Wecker, die bei ihren eleganten Handständen auf einem und zwei Armen einen Ball zwischen den Füßen, in den Kniebeugen oder zwischen Fuß und Schienbein hält. So wird dem Handstand-Genre eine andere Facette abgewonnen. Sarah Stiefel, von der Sportakrobatik kommend, demonstriert in einer akrobatischen Luftnummer an zwei Kettenschlaufen Kraft und Beweglichkeit, unter anderem bei Genickhang, Spagat, Überschlägen im Seitspagat und schließlich auch bei kontorsionistischen Elementen.


Elisabeth Schmidt, Ihor Yakymenko, Paulina Wehrberger

Polina Wehrberger entstammt der Fachrichtung Bühnentanz der Berliner Ballett- und Artistenschule; ihre Teilnahme soll auch die enge Verbindung der beiden Schulzweige demonstrieren. Ihr sinnlicher Tanz als Boxsportlerin könnte sich durchaus auch in ein Varietéprogramm fügen. Mit 15 Jahren von der Ballett- in die Artistikabteilung der Schule gewechselt ist Ihor Yakymenko, der sich ebenfalls noch in Ausbildung befindet. Er hat einen Chinesischen Masten mit einer kleinen Rundplattform am oberen Ende versehen und präsentiert an dem Requisit eine Symbiose aus Mast- und Handstandakrobatik. Die Übergänge zwischen den Tricks der beiden Genres sind fließend, der Applaus kräftig. Die Ehre der Schlussnummer kommt Elisabeth Schmidt mit ihrer dynamischen, schwungvollen Arbeit an zwei roten Tuchschlaufen zu. Posen im Handstand und im Spagat, Abfaller und mehr werden mit viel Ausstrahlung gezeigt.

Die Schüler und Absolventen aus Berlin demonstrieren in ihrer aktuellen Show einen hohen Leistungsstand in modernen, ansprechenden Choreographien ohne Verstaubtheit. In jedem Varietéprogramm könnte man sich die Nummern vorstellen - und die jungen Künstler werden hoffentlich auch Circus-Engagements nicht ausschließen.

__________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber