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Tigerpalast - Spielzeit 2019/20
www.tigerpalast.de - 80 Showfotos

Frankfurt am Main, 26. September 2019: Es hat schon seinen ganz besonderen Reiz, kurz vor 22 Uhr seinen Mantel an der Garderobe abzugeben und durch eine Tür zu gehen, die in eine ganz eigene Welt führt. Im Saal mit seinen 170 Plätzen stehen unzählige runde Tische mit leuchtenden Lampen darauf. Der bunte Vorhang vor der Bühne wird mit einem Spot angestrahlt. Somit ergibt sich eine intime Atmosphäre. Schaut man zur Decke, blickt man auf ausgefeilte Holzarbeiten. Das Dach des Saals ist gerade so hoch, dass hier Luftnummern arbeiten können.

Über dem Zuschauereingang befindet sich eine Empore mit Raum für weitere 20 Gäste. Die vierköpfige Band sitzt auf einem Podium direkt über den Köpfen des Publikums. An diesem Ort geben sich nun im 31. Jahr Weltstars des Varietés und solche, die auf dem Weg dorthin sind, die Klinke in die Hand.


Blick in den Saal

Mitten in Frankfurt am Main spielt das Varieté Theater Tigerpalast von Mitte September bis Mitte April seine Shows. Von Dienstag bis Sonntag werden zweimal täglich die Gäste begrüßt. Und die sind so bunt gemischt wie das Programm auf der Bühne. Da sitzen auf den Bänken in der letzten Reihe und an den Seiten verliebte Paare. Geschäftsleute, die gerade einen Deal besiegelt haben, feiern mit Champagner. Teams aus Unternehmen genießen den Abend als Incentive. Ehepaare sind genauso da wie Freundeskreise oder die Familie auf Wochenendtrip in Frankfurt. Oftmals dient die Spätshow als Verlängerung des Dinners im zum Tigerpalast gehörenden Sternerestaurant.


Alix Dudel

Beim Übergang von der realen Welt in die Welt des Entertainment werden die Besucher stets begleitet. Am Eingang werden sie in Empfang genommen und zum Platz gebracht. Das versierte Servicepersonal kümmert sich um die Getränkewünsche. Und wenn es heißt „It's showtime!“ übernimmt Alix Dudel. Sie ist an diesem Abend zu später Stunde unsere charmante Begleiterin durch das Programm. „Darf ich mal durch?“, lautet der Titel ihres ersten Liedes. Genauso wie kurz zuvor die Zuschauer sucht sie sich ihren Weg durch den Theaterraum, geht auf Tuchfühlung mit den Gästen und schafft es schlussendlich auf die Bühne. Mit Chansons von Georg Kreisler, Friedrich Hollaender und Friedhelm Kändler hat sie uns schon durch so manche Frankfurter Varieté-Nacht begleitet. Sie gehört seit vielen Jahren zu einer Gruppe von Conferenciers, die sich zwischen den einzelnen Vorstellungen abwechseln. So ist sie mit dem Saal bestens vertraut und füllt ihn spielend aus. Den zum Schmunzeln anregenden Stücken verleiht sie mit ihrer einzigartigen Stimme eine unverwechselbare Note. Man fühlt sich bei ihr bestens aufgehoben. Natürlich obliegt es Dudel auch, die Artisten anzukündigen. Mit wenigen Sätzen bereitet sie ihnen die Bühne, stellt heraus, was den folgenden Künstler auszeichnet. Vier davon erleben wir vor der Pause, vier weitere danach.


Soslan Suanov, Alexander Mitin, Duo Minasov

Der Auftakt ist gleich ganz wunderbar besetzt. Vanessa Alvarez versteht sich exzellent auf die Kunst, mit den Füßen zu jonglieren. Bis zu vier Tücher lässt die Antipodistin gleichzeitig auf Füßen und Händen rotieren. Zudem lässt sie ihre Requisiten virtuos durch die Luft fliegen. Zwischendurch sorgt sie dafür, dass eine Gitarre auf ihren Füßen tanzt. Das alles im Stil ihrer spanischen Heimat. Wirklich grandios. Ein hohes Tempo ist auch bei Suslan Suanov angesagt. Der Russe jongliert mit den Händen und hat sich weiße Bälle als Requisiten ausgesucht. Diese wirft er bevorzugt zum Boden, um sie kurz aufzufangen und gleich wieder auf die Reise zu schicken. Neun Bälle sind es zum Schluss. Suanov beherrscht sein Handwerk perfekt. Ebenfalls das Spiel mit dem Publikum, was gerade in diesem intimen Rahmen so wichtig ist. Alexander Mitin gewann beim European Youth Circus 2018 den Preis des Tigerpalastes. Dieser ist bekanntermaßen mit einem Engagement verbunden. Mit seiner Kontorsion setzt er den ruhigen Kontrapunkt zu den beiden ersten Nummern. Der russische Nachwuchsartist beweist mit seiner ausgefeilten Kür, dass er bereits in jungen Jahren ein wahrer Profi ist. Seine Handstände und extremen Körperverbiegungen sind vom Feinsten. Gestandene Bühnen- und Manegenpersönlichkeiten sind Victor und Elena Minasov. Wir konnten sie etwa schon im Circus Roncalli mit ihren Quick Change-Illusionen erleben. Es geht wirklich Schlag auf Schlag, wenn Elena ihre Kleider wechselt. Das menschliche Auge kann nicht folgen. Auch Victor lässt es sich nicht nehmen, in Windeseile ein neues Outfit anzuziehen. Dazu tanzt das Duo Minasov in seinem ureigenen Stil. Mit vollem Tempo und vollem Einsatz reißen sie das Publikum mit. An diesen energiegeladenen Auftritt schließt sich die Pause an.


Kristina Bautina, Pellegrini Brothers, Alex & Barti

An deren Ende wird traditionell umgebaut. Die in der Mitte des Saals sitzenden Zuschauer finden einen neuen Platz auf der Bühne. Aufgrund des nun leeren Bodens haben die beiden folgenden Luftnummern den Raum, die sie brauchen. Los geht es mit Kristina Bautina. Ihr Act am Trapez wurde von ihr gemeinsam mit Alexander Grimaylo choreographiert und im Jazz-Milieu angesiedelt. Stilgebend sind die vielen Body Waves, Wellenbewegungen des Körpers. Knie-, Fersen- und Zehenhang kommen hinzu und vereinen sich zu einem ungeheuer sinnlichen Auftritt. Drehungen und Posen am Boden transportiert Sergey Akimov in die Luft. Den Schwung, den er unten produziert, nimmt er mit unter das Dach des Theaters. An den Strapaten überzeugt der Gewinner eines Bronzenen Clowns (2008) mit Trickstärke und Präsenz. Nach fünf Darbietungen aus Russland in Folge, entführen uns die Pellegrini Brothers nach Italien. Sizilien ist die Heimat der vier Brüder, die nach wie vor beneidenswerte Körper besitzen. Mit ihrer Handstandakrobatik im Quartett haben sie Maßstäbe gesetzt. Einmal mehr sind sie nun im Tigerpalast zu Gast. Hier haben sie ebenfalls schon den Platz in der Saalmitte eingenommen. Ihr jetziger Auftrittsort auf der Bühne ist deutlich beengter. Bei einem Kunststück sind die Füße des Obermanns nicht mehr zu sehen. Mit keinen derartigen Einschränkungen hat Barti zu rechnen. Der Star der Finalnummer misst nicht einmal einen Meter. Kein Wunder, denn Barti ist „nur“ eine Marionette. Das vergisst man jedoch schnell, denn Alex Jorgensen zieht ganz virtuos Bartis Fäden. Der Puppenspieler fasziniert mit einer einzigartigen Präzision und Liebe zum Detail. Sogar die Augen kann Barti bewegen. Und die Finger. Damit spielt der blonde Schelm Klavier und Gitarre. Witzig ist insbesondere, wie er immer wieder seinen hinter ihm stehenden menschlichen Partner wegschieben will. Es entsteht die perfekte Illusion, dass hier zwei Menschen miteinander interagieren. Der Auftritt des Dänen mit seiner Marionette ist wirklich große Kunst. Dennoch hätte ich mir für diese insgesamt stark besetzte Show einen mitreißenderen Schluss gewünscht. Zumindest eine Darbietung, bei der ein charismatischer Mensch im Vorderrund steht. Eben eine jener Nummern, für die der Tigerpalast so bekannt ist.

Die Zusammenstellung der Show wird sich in Kürze schon wieder ändern. Künstler gehen während der laufenden Spielzeit, andere kommen hinzu. Die Homepage informiert, wer wann zu sehen ist. Offen bleibt, welcher Conferencier durch das Programm führt. So ist der Besuch im Tigerpalast immer mit zumindest einer Überraschung verbunden. Und was wäre das Leben ohne Überraschungen? Zumal sie hier nur positiv sein können. Dieser Abend zu später Stunde jedenfalls war einmal mehr ganz großes Entertainment im intimen Rahmen. Kurzum, ein einzigartiger Genuss. Wenige Augenblicke nach Mitternacht schließt sich nach dem Finale endgültig der Vorhang. Zeit, den Mantel an der Garderobe abzuholen, nach Hause zu gehen oder tiefer in das Frankfurter Nachtleben einzutauchen. Eine Option ist es da, gleich vor Ort zu bleiben. Die Palastbar hat noch bis 1 Uhr geöffnet.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch