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Tigerpalast 2023/24 - "Jubiläumsrevue"
www.tigerpalast.de - 90 Showfotos

Frankfurt am Main, 15. September 2023: Am 30. September 1988 öffnete der Tigerpalast zum ersten Mal seine Pforten. Es war ein verregneter Freitag, wie Sabine Börchers in ihrem Buch zum 25-jährigen Bestehen des Varieté Theaters schreibt. Mithin steht der 35. Geburtstag kurz bevor. Doch natürlich wird die gesamte Saison über gefeiert. Die Jubiläumsrevue erlebte ihre Premiere Ende August und wird bis in den Februar des kommenden Jahres laufen. Viele Highlights gab es in diesen dreieinhalb Jahrzehnten. Etwa den Lauf auf dem Seil von Philippe Petit zum 1200-jährigen Bestehen Frankfurts 1994.

Dieser führte den Franzosen von der Paulskirche zum Dom. Oder die Auszeichnung mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt (2000) sowie mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen (2007). Oder die ausführlich zelebrierten Premieren mit allem, was Rang und Namen hat in der Gesellschaft der Rhein-Main-Region. Doch im Kern seines Wesens war und ist der Tigerpalast einfach da. Als nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der – je nach Sichtweise – Kultur- oder Unterhaltungsszene Frankfurts. Zuverlässig öffnen sich die Türen und entführen in eine Welt, die so ganz anders ist als das Umfeld, in dem das Theater steht.


Tigerpalast in der Heiligkreuzgasse in Frankfurt am Main

In der Heiligkreuzgasse befinden sich neben dem Varieté unter anderem Gerichtsgebäude und ein ehemaliges Polizeigefängnis. Die parallel verlaufende Zeil ist an ihrem östlichen Ende ein nicht eben einladender Ort. Dass dort ein Polizeirevier angesiedelt ist, hat sicher seine Gründe. Das alles spielt keine Rolle mehr, wenn man seinen Mantel an der Garderobe abgegeben hat und an seinen Sitzplatz im Saal mit dieser einzigartigen Atmosphäre geleitet wurde. Schnell steht das bestellte Getränk auf dem runden Tisch mit der markanten Lampe. Die vierköpfige Band spielt erste Stücke und bald öffnet sich der bunte Vorhang, um die Bühne für Stars des internationalen Varietés freizugeben. Hier kann man sie aus nächster Nähe erleben, ohne große Inszenierung, ohne Schnörkel. Die jeweilige Persönlichkeit und ihre Kunst sind es, die überzeugen müssen. Und natürlich tun sie das auch.


Finale der Jubiläumsrevue

Dafür, dass das so ist, sorgt insbesondere Margareta Dillinger. Sie ist Direktorin und künstlerische Leiterin. Sie hält die Artistenfamilie des Tigerpalast zusammen und hält Ausschau nach neuen Mitgliedern. Ihr Pendant ist Johnny Klinke, ebenfalls Direktor und ein Frankfurter Urgestein. Gemeinsam mit dem viel zu früh verstorbenen Matthias Beltz haben sie das Varieté Theater gegründet und führen es bis heute erfolgreich. Als geschäftsführender Gesellschafter fungiert Robert Mangold. Der gelernte Hotelier und Gastronom kümmert sich insbesondere um die mit Sternen dekorierte Gastronomie im Haus des Varietés sowie im Palmengarten. Dieses Trio steuert den Tigerpalast bis heute durch ruhige und stürmische Zeiten. Insbesondere die Corona-Krise wurde zu einer existenziellen Bedrohung. Die Pandemie liegt hinter uns, ihre (wirtschaftlichen) Auswirkungen werden noch lange nachwirken. Von diesen Herausforderungen soll das Publikum möglichst wenig mitbekommen. Es soll für ein paar Stunden den Alltag und seine Sorgen vergessen. Tauchen wir also ein in die Jubiläumsrevue 2023/24.


Ewunia, Simone Al Ani

Wie gehabt, gibt es während der Spielzeit Veränderungen in der Besetzung, über die auf der Homepage informiert wird. Die besuchte Vorstellung ist eine Mischung aus neuen Gesichtern und Artisten, die von vorherigen Besuchen wohl vertraut sind. Ihr Debüt auf dieser Bühne darf Ewunia feiern. Die in Frankreich lebende Künstlerin mit polnischen Wurzeln ist Schauspielerin, Autorin und Chanson-Sängerin. Mit dem Song „Willkommen“ aus dem Film „Cabaret“ eröffnet sie das Programm. Mit weiteren Stücken, etwa von Edith Piaf oder aus ihrer polnischen Heimat, begleitet sie uns durch den Abend. Ewunia bezaubert nicht nur mit ihrer wunderbaren Stimme und wechselnden Kleidern, sondern ebenfalls mit ihrer sympathischen Art. Während ihrer Lieder geht sie gerne auf Tuchfühlung mit dem Publikum im Saal. Die Künstlerkollegen kündigt sie mit einem Mix aus Englisch und Deutsch an. Den Auftakt macht Simone Al Ani. Der Italiener fordert sofort die Konzentration der Zuschauer. Ganz in schwarz gekleidet, lässt er zwei Ringe auf magische Weise scheinbar ihre eigenen Wege nehmen. Noch faszinierender sind seine Manipulationen mit Glaskugeln, die er gegen Ende der Show zeigt. Auch diese haben scheinbar ein Eigenleben. Sie verschwinden auf wundersame Weise, rollen über den Unterarm von Simone Al Ani oder entwickeln solch einen starken Drang Richtung Bühnendecke, dass er sie mit beiden Händen nach unten drücken muss.


Gabriel Grandpierre, Elena Gambi, Ruslan Fomenko

Mit der Schwerkraft spielt auch Gabriel Grandpierre. Als Equilibrist und Kontorsionist beherrscht er streng genommen die Kunst des Gleichgewichts und des Sich-Verbiegens. Doch irgendwie schafft es der gerade volljährig gewordene Ungar, die Erdanziehung auszutricksen. Anders scheinen seine variantenreichen Handstände zu ruhiger Musik nicht möglich. Ein junger Mann, der seinen Weg gehen wird. Ein Engagement im Tigerpalast macht sich in seinem künstlerischen Lebenslauf in jedem Fall sehr gut. Die vierte im Bunde der neuen Gesichter ist Elena Gambi. Sie hat eine Ballett-Ausbildung an der Londoner Royal Academy absolviert. Zudem ist die blonde Spanierin Jongleuse. Beides verbindet sie in ihrem Auftritt, in dem sie tänzerisch mit Reifen und Bällen jongliert. Die Choreografie zu dieser Darbietung stammt von Aurelia Cats, die mit ihrer Kür am Trapez auch schon hier zu erleben war. Ein Frankfurt-Rückkehrer ist Ruslan Fomenko. Mit seinen unbekümmerten Jonglagen voller Lebensfreude im bunten folkloristischen Kostüm steuert er die fröhlichste Nummer des Abends bei. Einzigartig sind seine Requisiten. Dabei handelt es sich um jeweils zwei Bälle, die mit einer Schnur verbunden sind. Etliche davon wirft der Artist aus Kiew gleichzeitig nach oben, um sie anschließend sicher wieder aufzufangen. Der Raum über der Bühne reicht dafür gerade so aus.


Csaba Méhes, Alyona Pavlova, Nathalie Enterline

Immer mal wieder zu Gast im Tigerpalast ist Csaba Méhes. Er versucht sich als Violonist. Doch mit mehreren Bögen und keiner Geige wird das schwierig. Also wechselt er ans Klavier, um dort die „Forelle“ von Franz Schubert zu spielen, was letztendlich auch gelingt. Doch dazwischen gibt es etliche Missgeschicke, die natürlich so gewollt sind. Denn der Herr im Anzug, mit Brille und streng zurückgekämmten Haaren ist Pantomime. Csaba Méhes versteht es genial, Panne an Panne zu reihen und damit für größte Heiterkeit zu sorgen. Wenn der Hocker zu dicht am Klavier steht, wird einfach das Instrument ein wenig nach hinten geschoben und schon passt alles. Mit seinem feinen Spiel erobert sich der vermeintliche Tollpatsch die Sympathien des Publikums. Komplettiert wird die aktuelle Show von zwei Frauen, die es jede auf ihre eigenen Weise verstehen, den Theaterraum ganz für sich einzunehmen. Da ist zunächst Alyona Pavlova. Für ihre Darbietung am Luftring müssen ein paar der Gäste ihren Platz wechseln. Denn sie fliegt mitten durch den Saal. Dabei weht ihr blondes Haar. Es sind traumhafte Flugsequenzen mit schwierigsten und nicht ungefährlichen Tricks. Doch bei Alyona Pavlova sieht alles so leicht aus - ob sie mit dem Genick oder den Fersen am Ring hängt oder aber Umschwünge zeigt. Immer ist die quirlige Akrobatin in Bewegung, immer hält sie den Kontakt zu den Zuschauern am Boden. Es ist ein einziger Rausch. Die traumhafte Choreografie dazu stammt von ihrem russischen Landsmann Alexander Grimaylo. Die andere Frau ist Nathalie Enterline. Sie schafft es von der Bühne aus, die gespannte Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Bei mir erzeugt sie das, was man in ihrer Heimat New York „goosebumps“ nennt, also Gänsehaut. Da steht nicht irgendwer im Scheinwerferlicht, sondern eine wahre Legende der internationalen Artistenwelt. Den Einstieg macht sie als Charlie Chaplin. Dann verwandelt sie sich in eine Tänzerin par excellence. Mit einer unglaublichen Körperbeherrschung und -spannung wirbelt sie in einer einzigartigen Choreographie über die Bühne. Twirlingstab und Hut werden dabei für Jonglagen eingesetzt. Ihr rotes Kostüm passt perfekt, ihre raumgreifende Präsenz komplettiert den Hochgenuss. Auf diesen Act folgt das Finale, in dem sich alle Mitwirkenden ausführlich verabschieden. Auch die den ganzen Abend über fantastisch spielende Band bekommt einen großen Applaus. Ebenso die Bühnencrew und die Techniker.

Damit endet die Geburtstagsfeier zumindest für diesen Abend. Viele weitere werden folgen. Nicht nur in dieser Spielzeit, sondern hoffentlich auch in den kommenden Jahren, Jahrzehnten. Der Tigerpalast ist ein einzigartiger Ort. Ihn gibt es nur einmal, nämlich hier in Frankfurt am Main. Diese Atmosphäre und dieses Konzept sind nicht beliebig reproduzierbar. Mit der in der Jubiläumsrevue präsentierten Mischung aus etablierten Stars und interessanten neuen Gesichtern sollte die Zufriedenheit beim Publikum garantiert sein.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch