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Chamäleon Theater Berlin - Versus
www.chamaeleonberlin.com

Berlin, 29. September 2010: „Versus“ heißt die neue Produktion des Berliner Chamäleon-Varietés in den Hackeschen Höfen. Das Theater in dem schönen Jugendstil-Ballsaal wird formell die meiste Zeit von der Produktionsfirma „Circle of Eleven“ bespielt, faktisch stehen hinter Theater und Produktionsfirma jedoch die gleichen Personen: Volker Brümmer und Anke Politz. Ihr Ziel ist, die jeweiligen Produktionen zunächst im „Stammhaus“ in Berlin zu zeigen und daran weiter zu feilen, ehe sie später auf Tournee gehen sollen. Die Produktion „Soap“ war beispielsweise auch in München, London und Edinburgh zu sehen. Auch „Versus“, die neueste Produktion von „Circle of Eleven“, setzt auf eine außergewöhnliche Bühnenkonstruktion.

In „Soap“ zeigten die Artisten ihre Kunst in Badewannen, in „MyLife“ wurde eine heb- und senkbare Mittelbühne geschaffen. Auch „Verus“ spielt nun wieder in der Mitte des Raumes. Die quadratische Bühne steht diesmal, rautenförmig sozusagen, mit den Ecken zu den Längs- und Schmalseiten des Raumes. In jeder der vier Ecken steht ein chinesischer Mast; an deren oberen Enden bilden Traversen ein Quadrat, an denen vier Trapeze hängen. Weitere Luftnummern ermöglicht ein zentraler Aufhängepunkt mitten über der Bühne – und von der Bühne zur Rückwand des Raumes führt ein „Deckenlauf-Requisit“, so dass die weiblichen Artisten stets kopfüber zu ihren Auftritten gehen. Als „Weiterführung des klassischen Varietés und des Cirque Nouveau“ beschreibt „Circle of Eleven“ den eigenen Stil. Der Star ist die Show, die Akteure können durchaus wechseln, während die Produktion über einen längeren Zeitraum gehalten wird. Von der Premierenbesetzung steht aktuell nur noch eine Künstlerin auf der Bühne. Kein Glitzer, sondern schlichte Outfits, düsteres Licht, oft melancholische Musik – Versus hat, wie schon die Vorgängershow „MyLife“ einen edlen, modernen, trendigen „Look“. „Versus erzählt von der Begegnung zweier Welten, die nach und nach zueinander finden, um schließlich zu einem neuen Universum zu verschmelzen“, schreibt der Pressetext – ganz praktisch heißt dies, dass im ersten Programmteil die vier weiblichen und die vier männlichen Artisten jeweils getrennt auftreten, nach der Pause dann stets in männlich-weiblichen Kombinationen, Liebesgeschichten erzählend. Ein Video mit programmatischen Aussagen („Ich habe aufgehört zu sagen, ich will wie alle sein“) und Forderungen („Ich will keine gespaltene Gesellschaft“) läuft zu Beginn der Show auf einer Leinwand im Hintergrund, nach der Pause auf einer Stoffbarriere auf der Bühne mit den Aussagen in umgekehrter Reihenfolge – eine Barriere, die von den beiden Lagern, Männern und Frauen, nun überwunden wird, sie zusammenkommen lässt.


Manda Rydmann, Anthony Weiss und Katharina Lebedew, Anthony Weiss

Am Beginn schwebt Manda Rydmann am Luftring, während Alessandro di Sazio sie vom Boden aus beobachtet, ihre Bewegungen nachahmt, Sehnsucht nach ihr zeigt. Synchron arbeiten die vier Artistinnen am Trapez, dann schwingen sie weit aus, jeweils zwei Artistinnen fassen sich, und nach zwei Platzwechseln von Trapez zu Trapez arbeiten jeweils zwei der Damen im Duo. Verena Schmidt erklimmt das Vertikalseil, präsentiert sich tief ins Seil verstrickt – der Typ in schwarzen Klamotten will es ihr im Anschluss nachmachen, doch er schafft es nicht, das Vertikalseil hinaufzuklettern, er zieht vielmehr das Seil zu Boden. Julian Schulz spielt in der einzigen komischen Nummer des Abends mit dem Publikum, lässt jede der vier Seiten im Saal ein anderes Geräusch machen, wenn er den Mast erklimmt und hinuntersaust. Katharina Lebedew wiederum präsentiert eine elegante Handstand-Equilibristik. An einem ansonsten von Frauen dominierten Requisit, aber ohne femininen Touch, sondern männnlich-kraftvoll arbeitet Anthony Weiss an gelben Seidentüchern. Nach einer Wiederaufnahme bzw. Fortsetzung der Luftring-Kür Manda Rydmanns geht es mit dem dynamischen Auftritt der Herren an den chinesischen Masten in die Pause. Im zweiten Programmteil ist also die Zeit der Liebesgeschichten gekommen. Zunächst faszinieren Manda Rydmann (Kontorsion) und Alessandro Di Sazio (Breakdance) mit einer höchst interessanten Kombination zweier grundverschiedener Genres. In einer Strapaten-Doppelschlaufe arbeiten zunächst Anke von Engelshoven und James Kingsford-Smith, wenig später dann Anthony Weiss und Katharina Lebedew am drehbar aufgehängten Duo-Trapez. Dazwischen gibt es noch eine originelle Szene, in der sich zwei Akteurinnen (Manda Rydmann, Verena Schmidt) beim Deckenlauf begegnen, einander umarmen – ihre beiden Beobachter am Boden, Julian Schulz und Alessandro di Sazio, tun es ihnen nach. Und so entwickelt sich eine Art Neck-Spiel, in dem die Damen immer schwierigere Vorlagen geben, denen die Herren nachzukommen versuchen – bis sich die Frauen küssen, was die beiden Bewunderer dann doch unterlassen. Das Schlussbild vereint nochmals alle Akteure auf der Bühne – zu einem akrobatischen Tanz an Seidentüchern, die sich zu einem Netz verspinnen.


Schlussbild

Insgesamt ist es die starke Dominanz der Luftnummern ähnlicher Prägung, aufgrund derer ein wenig die Abwechslung fehlt, welche der Kunstform Varieté doch ihren Namen gibt. Die Stärken der Produktion liegen dagegen in der geschlossenen Ensembleleistung, interessanten Inszenierungseinfällen inklusive der außergewöhnlichen Bühne und dem beschriebenen edel-modernen Gesamtbild.

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Text: Markus Moll; Fotos: Lutske Veenstra (Ring, Duotrapez, Tuch), Tobias Erber