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Schweinfurter Varieté Festival - Traumwelten
www.varietefestival.de

Schweinfurt, 26. Mai 2006: Wahre Poesie. Mut zum Experiment. Spektakulär gutes Licht mit wechselnden Hintergründen auf der Bühne. Perfekter Ton. Eher große Bühnenshow als Kleinkunst. Seiner Zeit voraus war das Programm „Traumwelten“ beim 2. Internationalen Varietéfestival „Magische Momente“ in Sennfeld. Von den sieben unterschiedlichen Shows an zwölf Tagen hat Festival-Initiator Dirk Denzer nur drei fertige Programme eingekauft (darunter „Elf – die Fußballshow“); die anderen hat er selbst zusammengestellt – und große Erfolge gefeiert.

Die prägende Figur des dreistündigen Traumwelten-Programms (plus Pause!) ist Stefan Alexander Rautenberg. Er ist der Magier und Zeremonienmeister mit Stab und Gehrock, der Mann von Stil, Noblesse und Eleganz, dessen Conférence die Teile zu einem Ganzen formt. Allein seine Sprachfertigkeit und die Geschultheit seiner Stimme machen es zu einer Lust, ihm zuzuhören: Er kündigt die Artisten wortreich an, zitiert Goethe und die anderen Klassiker, schlägt von seinen Zaubereien die Brücke zu den Darbietungen der Künstler – etwa vom „magischen Seil“ zu jenen „die das Seil beherrschen“.


Tr'espace, Kristalleon und Duo Leopards

Die das Seil beherrschen, das sind Tr’espace, der Schweizer Roman und die Deutsche Petronella, deren tänzerischer, fehlerfreier, schwieriger Diabolo-Auftritt vom Publikum mit tosendem Applaus aufgenommen wird. Und noch eine Seilkünstlerin ist es, die besonders gefeiert wird: La Spina, eine hübsche Dame am Vertikaltuch, die – unmittelbar vor der Tribüne –Ver- und Entwicklungen, Wirbel und Abfaller präsentiert. In die Luft gehen auch die zwei Trapezkünstlerinnen „KrisKats“, die ihren Auftritt aus einem „Picknick“ entwickeln: Ihre grüne Sicherungsmatte ist als Blumenwiese dekoriert, Vögel zwitschern, zwischen allen Varianten der Verknotung zweier Körper nutzt eine „KrisKat“ ein Trapezstangen-Ende als Jagdhorn. Genauso poetisch: Die Jonglage von Almut Sarrazin, die ihre Keulen aus großen Blütenkelchen ihres Bühnenbilds pflückt – eine zauberhafte Idee, auch wenn die Nummer artistisch nicht so stark ist wie künstlerisch. Außerdem jongliert Aleko mit einem Riesenwürfel – eine Sparte der Artistik, deren Reiz sich mir nicht erschließt –, zeigt das Duo Leopards schwierige Hand- auf Hand-Akrobatik, entlockt Kristalleon im Harlekin-Kostüm wassergefüllten Gläsern wunderbare Klänge, schafft Michael Menes hinter einem halbhohen Paravent die llusion, er würde Rolltreppe oder Fahrstuhl fahren.


Christof Engels und Crazy Flight

Artistischer Höhepunkt des Abends und Schlussnummer sind die vier Jungs von „Crazy Flight“ mit ihren sensationellen Handvoltigen. Leider geht ihr Auftritt ein bisschen unter, da das Publikum sich zuvor beim Berliner Chaos-Komiker Christof Engels völlig verausgabt, die Stimmung am Siedepunkt ist, als dieser, freilich mit Publikumsbeteiligung, sich im Einradfahren und Jonglieren mit brennenden Fackeln übt. Eine herrlich komische Nummer, die – je nach Sichtweise – nicht zum poetischen Programm passt, oder – positiv formuliert – einen erfrischenden Kontrapunkt setzt. Vielleicht hätte man die beiden letzten Nummern besser tauschen, Engels Comedy direkt vor dem Finale platzieren sollen. So oder so: Besser kann Varieté kaum sein. Am Ende gab es Ovationen im Stehen.

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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch