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Paris,
13. Januar 2007: Pferde, ein
Elefant, ein paar engagierte Artisten, dazu drei Generationen
der Direktionsfamilie als Tierlehrer, Artisten und Clowns. So
weit, so gut. Familiencircusse dieser Art gibt es viele. Wenn
dazu aber noch ein großes Orchester, ein Chapiteau mit fünf
Reihen Loge und 16 Reihen Gradin sowie 3 „Clowns“ (zwei goldene,
ein silberner) in Monte Carlo kommen, passt die Beschreibung nur
noch auf einen Circus - nämlich den von Alexis Gruss. „Cirque
National Alexis Gruss“ nennt er sich in voller Länge und
„Allegro Sportissimo“ heißt das aktuelle Programm. Es ist die
insgesamt 33. Création des „Cirque à
l’ancienne“. |
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Erdacht von Alexis Gruss, wurde
sie von seinem ältesten Sohn Stephan inszeniert. Dieses
Spectacle ist wieder „typisch Gruss“. Pferdedressuren wechseln
sich ab mit Artistik und komischen Einlagen, lebhafte Bilder
gehen in poetischen Szenen über. Mal füllt das ganze Ensemble
die Manege, mal ziehen einzelne Artisten die Aufmerksamkeit des
Publikums auf sich. Die Regie sorgt für einen Ablauf ohne Längen
und Umbaupausen. Das von Blasinstrumenten dominierte Orchester
spielt traditionell, das Licht ist dezent und die Kostüme sind
im Stil vergangener Tage gehalten. „À l’acienne“ heißt
schließlich, so das Wörterbuch, „auf alte Weise“ oder auch „nach
Hausmacherart“. Beides passt auf diesen Cirque Gruss. Wie es der
Titel vermuten lässt, steht der Sport im Mittelpunkt der
Inszenierung. Wenn der Gast seinen Platz in der mit Holz
verkleideten Loge einnimmt, fällt der Blick auf die Olympischen
Ringe, die auf dem Manegenteppich liegen. Im Eröffnungsbild
dienen sie als Requisiten für eine farbenfrohe Gruppenjonglage
des gesamten Ensembles. Gleich zu Beginn herrscht eine fröhliche
Stimmung, die ansteckt. Der Luftringe gibt es hier gleich fünf.
Angeordnet sind auch sie wie die olympischen Ringe. Nach dieser
kurzen gymnastischen Einlage über der Manege füllt die
Flaggenparade der teilnehmenden Sportler/Artisten das Rund. Aus
dieser Gruppe löst sich Maud Gruss und erklimmt mit einer
Fackel in der Hand das Schrägseil, um unter der Kuppel das
olympische Feuer zu entzünden. Die Spiele sind eröffnet. |
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Auf einem
Billardtisch präsentiert Firmin Gruss, der jugendliche Star des
Programms, seine Artistik an der freistehenden Leiter, bevor die
erste Pferdedarbietung gezeigt wird. „As des oxers“ heißt sie
und ist dem Springreiten gewidmet. Pferde springen über
verschiedene feste und bewegliche Hindernisse. Gipsy Gruss
reitet im Damensattel über ein Hindernis, lässt ihr Pferd Seil
springen sowie steigen. Anschließend lenkt Nathalie Gruss,
Ehefrau von Stephan, die Blicke unter die Circuskuppel, wo sie
ihre schwungvolle Kür am Trapez zeigt. Davor und danach gibt es
komische Einlagen. Einen Weitsprungwettbewerb mit einem Maßband
aus Gummi und den üblichen Scherzen sowie eine Entenjagd, die im
Tontaubenschiessen endet. Firmin Gruss und Jonny Bogino sind die
Hauptakteure bei diesen sportlichen Auftritten der Clowns.
Weitere folgen. Den
nun folgenden Wettstreit zwischen Mensch und Tier leitet
wiederum Alexis Gruss. Immer neue Pferde rennen mit ihren
zweibeinigen „Gegnern“ um die Wette. Staffelhölzer werden
übergeben.
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Im Team „Mensch“ u.a. dabei die engagierten Artisten Romaric Sinoir und Charlie Placais. Nach vielen Runden des
Wettstreits wird es auf einmal ruhig. Ein weißes Pony spielt auf
der einen Seite der Manege, auf der ändern macht der kleine
Louis, ein Enkel von Alexis, auf einem Teppich Aufwärmübungen.
Das Pony bewegt sich auf Louis zu und die beiden spielen
miteinander. Aus dem Gegeneinander wird ein Miteinander. Einfach
schön, poetisch, wenngleich natürlich ein wenig kitschig. Es
folgt eine kurze Dreier-Freiheit und selbstverständlich gibt es
eine Siegerehrung. Pom-Pom-Girls stürmen die Manege, gefolgt vom
männlichen Teil des Ensembles in Fußball-Trikots. Es wird
gekickt: Die Band spielt südamerikanische Rhythmen, der Kleinste
macht den Schiedsrichter.
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Eine ausgelassene Atmosphäre irgendwo zwischen
Bolzplatz und großem Stadion. Star auf dem Platz aber ist Syndha.
Die indische Elefantendame der Familie Gruss beweist Ballgefühl,
ganz egal ob sie den Zuschauern den Ball zuspielt oder ihn im
Tor versenkt. Klar, dass es zum Schluss einen Pokal gibt. Nicht
irgendeinen, sondern den Fifa World Cup im XXL-Format, den
Frankreich im letzten Sommer so knapp verpasst hat. Nach der
Pause verwandelt sich die Manege in einen Turnsaal. Ein Pferd
ist aufgebaut und die Männerriege sowie Maud Gruss in weißen
Trikots trainieren ihre Sprünge. Natürlich verlegen sie ihre
Übungen bald auf Pferde aus dem hauseigenen Marstall. Die Damen
übernehmen mit rhythmischer Sportgymnastik am Boden und in der
Luft (Tücher, Luftreif). Abgerundet wird dieser Teil von den
Clowns an Barren, Kasten und Ringen. Anschließend zeigt Maud
Gruss vier Korbpferde. Ihr Bruder Stephan jongliert mit Keulen
in der Choreographie eines asiatischen Kampfkünstlers. |
Als letzte
Darbietung kommt eine der großen Pferdenummern, für die dieser
Cirque Gruss so berühmt ist. Alexis Gruss zeigt das Karussell:
Sechs Füchse, acht Schimmel und zehn dunkle Pferde verschiedener
Rassen bilden im Gegenlauf insgesamt drei Kreise. Auf ihrem
Rücken tragen sie jeweils eine blaue, weiße oder rote Fahne,
sodass die französischen Nationalfarben nur so flattern. Ein
wahre Augenweide, die nur einen Fehler hat. Sie ist viel zu
schnell vorbei und schon erscheinen alle menschlichen
Mitwirkenden zum Finale. |
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Es
ist schon eine ganz besondere Art von Circus, den Alexis Gruss
und seine Familie jedes Jahr inszenieren. Traditionell, voller
Lebensfreude, stimmungsvoll und auf jeden Fall mit sehr viel
Herzblut gemacht. Der Begriff „Kammerspiele des Circus“ ging mir
durch den Kopf als ich unter dem Chapiteau am Bois de Boulogne
in Paris saß. Vielleicht ist das die beste Kurzbeschreibung für
den „Cirque National Alexis Gruss“ und sein 33.
Spectacle „Allegro Sportissimo“. |
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Text: Stefan Gierisch; Fotos:
François Dehurtevent
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