Trotz aller EU
Angleichungsnormen gibt es immer noch traditionelle
Unterschiede. Einer ist die Organisation französischer
Firmen-Weihnachtsfeiern. Die Mitarbeiter werden mit ihren
Familien dazu eingeladen. Sie erhalten ein festliches Diner, die
Kinder bekommen ein Geschenk, die Mitarbeiter eine
Gratifikation, Prämie o. ä. und anschließend wird gemeinsam dem
gebuchten Programm beigewohnt. Oft ist dies ein Circusbesuch, da Circus in der franz.
Gesellschaft einen kulturell anderen Stellenwert
genießt, als Circus bei uns. Vor diesem
Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass zur
Vorweihnachtszeit zeitweise mehr als ein Dutzend
Circusse gleichzeitig in Paris aufspielen. Ein
Wochenendtrip zu dieser Zeit ist der Himmel auf
Erden für Circusverrückte und eine
Härteprüfung für mitreisende Ehefrauen. Sehen
wir einfach einmal, was der circusinteressierte
Parisreisende an einem ganz normalen Freitag im
Advent erleben kann.
Es ist 11 Uhr, als wir
nach viereinhalbstündiger Anfahrt und schnellem
einchecken aus unserem, auch nach strategischen
Gesichtspunkten gewählten, Hotel aufbrechen. Es
liegt unmittelbar an einer Auffahrt zur
Périphérique, der 35 km langen Ringautobahn die
Paris umschließt und die Grenze zu den
Vorstädten bildet. Drei Autobahnstationen
entfernt im Südosten der
Neun-Millionen-Metropole ist der Bois de
Vincennes gelegen. Dieser zweite Pariser
Stadtwald ist ein weitläufiges Areal für
Freizeitaktivitäten, der auch den Pariser Zoo
beheimatet. Am westlichen Ende in Charenton liegt
die Pelouse de Reuilly, ein Festplatz von
immensen Ausmaßen. Auf der linken Hälfte hat
sich Pinder etabliert.
Die rot/gelben Hausfarben bilden einen reizvollen
Kontrast zum weihnachtlichen Grün
der hohen Kiefern, die den Platz im hinteren
Bereich säumen. Hinter der Fassade und der
anschließenden lang gestreckten
Vorzeltkonstruktion erhebt sich ein gigantischer
Sechsmaster, der reichlich 5000 Besuchern Platz
bietet. Dieses seit 2000 genutzte Chapiteau wird
nur auf diesem Platz errichtet. Seine Höhe ist
so, dass Crazy Wilson bei seiner Arbeit vom
darüber hängenden Flugtrapez-Apparat nicht
behindert wird. Stallungen und Wohnwagen
komplettieren diesen Teil des Pinderareals. Es
schließen sich zwei große Chapiteaus, in denen
die Saisongastspiele absolviert werden, an. In
diesen erhalten die Galagäste ihre Diners.
Pinderfahrzeuge in sonst nie gesehener Anzahl
runden das Bild ab.
In Fassade und Vorzeltbereich
werden einige der historischen Fahrzeuge der Aera
Spiessert präsentiert. Der gesamte Boden im
Vorzelt und Chapiteau ist komplett mit rotem
Teppichboden ausgelegt. Alle Gänge unter dem
Gradin sind ringsum mit rotem Stoff verkleidet.
Hinter den vierreihigen Logen und breitem Gang
ist das einundzwanzigreihige Gradin teilweise mit
Schalensitzen ausgestattet. Eine fantastische,
nur in Paris installierte, Lichtanlage verzaubert
mit rund 250 Scheinwerfern und Scannern das
Programm. Paris wird nur zu Weihnachten, dieses
Jahr von 11. November bis 14. Januar, bespielt.
So zeigt man das jeweilige Saisonprogramm, dass
durch eine Elefantendarbietung ergänzt wird.
Ronald Spindler mit seinen drei Dickhäutern ist
heuer zum zweiten Mal, nach Hardy Weisheit,
dabei.
Die
rechte Seite der Pelouse de Reuilly gehört Arlette
Gruss. Prächtig anzusehen, wie immer,
sind auch hier Galazelte
hinzugekommen. Die Zuschauerkapazität des
Chapiteaus wird mit einem kleinen Kniff erhöht.
Das Zelt, mit höheren Masten und Rondellstangen
ausgestattet, erhält so einige zusätzliche
Gradinreihen über den während der Saison, mit
einem Vorhang abgetrennten, Gang. Auch bei
Arlette Gruss ist Paris die letzte Saisonstadt. Den hinteren
Teil des Festplatzes belegt Cirque
Phenix. Ein Agenturcircus
der in Paris im Chapiteau, sowie bis Ende Februar
in verschiedenen Städten in Hallen gastiert. In
einem riesigen Festzelt sind Eingangsbereich und
Restauration sowie die beiden Kassenschalter
untergebracht. Komplett mit rotem Teppichboden,
die Seiten und Decken komplett mit Stoff,
ausgekleidet wähnt man sich eher in einem
Theaterfoyer denn in einem Circuszelt. Die Anzahl der Dinerzelte und
Hinweisschilder an den Eingängen belegen, dass
die überwiegende Anzahl der jährlich rund
400000 Besucher auf Grund von komplett gebuchten
Arrangements den Circus besucht. Das rechteckige
Chapiteau, eine für europäische Circusse
ungewöhnliche Konstruktion wird von sechs
mächtigen außenliegenden Gitterbögen
überspannt. Die daran aufgehängte Zeltplane,
kommt im Innern vollkommen ohne Masten und
Stangen aus. Je nach Ausstattung finden bis zu
neuntausend Besucher Platz in 7 Logenreihen und
Gradin. Eine kleine Stufe in dem Logenpodest
verheißt nicht unbedingt beste Sichtbedingungen
in den hinteren Reihen, bewirkt aber, dass die
beiden ersten Gradinreihen tiefer als die Logen
liegen. Die Manege ist in ein Podium von ca 28 x
18 m eingelassen. Nach einem Moskauer
Circus auf Eis in 2004 und dem chinesischen
Programm der vergangenen Spielzeit präsentiert
man nun unter dem Titel Jubilee die
Sterne des Circus von Moskau. Duett Blue, Oleg
Izossimov und die Truppe Iriston sind auch aus
deutschen Manegen wohlbekannt. Ein artistisch
außergewöhnlich starkes Programm wird im Finale
vom einzigartigen Können von Alexandr Yenivatov
als Elastic Icon gekrönt. Hervorragendes Licht
und inspirierte Lifemusik geben der Show den
letzten Schliff und lassen den Besuch im
ausverkauften Riesenchapiteau zu einem ganz
besonderen Erlebnis werden. Nach
einem Mittagessen in unmittelbarer Nähe
des Circusplatzes fahren wir auf der
Périphérique in den Nordosten. Die
Heimat des Theatro Equestre
Zingaro, direkt an einem
großen Boulevard in einer etwas dubiosen
Gegend gelegen, gleicht einem
Hochsicherheitstrakt. An der Sprechanlage
des massiven, versperrten Tores am
Haupteingang werden wir kurz und knapp
beschieden, dass es erst wieder nach
Weihnachten eine Chance auf
Eintrittskarten gibt. So können wir nur
an zwei Seiten des Geländes den Zaun
entlang wandern und die hölzernen Circusgebäude sowie einige Fahrzeuge aus
der Ferne bestaunen.
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Nur
eine Autobahnstation weiter, ebenfalls in
Aubervilliers ist unmittelbar am Kreisverkehr der
Ausfahrt der Circus
Diana Moreno Borman seit mehr als zehn
Jahren fest installiert. Massiv umzäunt, am
Rande eines ziemlich heruntergekommenen
Gewerbegebietes gelegen, ist das Gelände klein
und eng und die ganze Umgebung wirkt wenig
einladend. Die Hausfarben, lila und weiß finden
sich auf Zelten und Wagen wieder. Die Gestaltung
von Chapiteau, Zäunen, Laternen und Dekoration
erinnert an Roncalli und Il Florilegio. Das
Zeltinnere mit seinen verzierten Logen,
6-reihigem Schalensitz-Gradin und Balkonlogen, sowie dem schön
gestalteten Artisteneingang, verbreitet eine ansprechend
und stimmungsvoll Atmosphäre. |
Das Programm wird
gänzlich von der Familie bestritten und beginnt mit der sehr
guten hauseigenen Tigerdressur. Elefanten und ein großer
Exotenzug sind weitere Highlights, die in einem Familiencircus nicht unbedingt zu erwarten
sind. Alle Nummern sind choreographiert,
erzählen eine Geschichte. Bemerkenswert die
Musikauswahl zu den Darbietungen. Die Vorliebe zu
monumental-bombastischen hoch dramatischen
Klängen unverkennbar. Im dichten Verkehr geht es in
westlicher Richtung voran. Im vergangenen Jahr
noch auf der Pelouse de Reuilly, ist der kleine Cirque
Tsigane von Délia und Alexandre Romanès
in dieser Spielzeit an den Boulevard de Reims, am
nördlichen Stadtrand, umgesiedelt. Ein kleines
rot/grünes Kioskzelt, ohne Maste und Stangen,
mit Rondellwänden aus groben Holzplanken ist die
Spielstätte. Grün/rot ist auch das Dutzend der
umherstehenden Campings gestrichen. Die wenigen
Tiere, Lama, Pony, Ziegen, waren einfach
angepflockt. Das Programm ist zu einem
folkloristisch anmutenden Zigeunerfest
durchgängig gestaltet. Lifemusik eines typischen
Zigeunerorchesters mit Geigenklang, Tanz und
Gesang. Lagerfeuer-Romantik bildet den Rahmen zu
Seiltanz, Luftnummern und Jonglagen sowie den
anderen Darbietungen eines Familiencircus. An der Porte Maillot, einem
riesigen Verkehrsknotenpunkt biegen wir in den
Bois de Bologne ab. Dieser ausgedehnte Stadtwald
beheimatet, neben Pferderennbahn und
vielfältigen anderen Vergnügungsmöglichkeiten,
an seinem nördlichen Rand den Jardin
d Acclimation, einen kleinen
Kinder-Freizeitpark, zu dessen
Attraktionen auch der Circus
Phenix jun. zählt. Dessen Chapiteau ist dem
großen gleich in der Konstruktion, nur dass es
einem Zweimaster entspricht. Das Gradin, komplett
Schalensitze, fasst ca. 1000 Zuschauer. Die Show,
ohne Tierdarbietungen dauert ca. eine Stunde und
ist eher theatermäßig, mit vorzüglichem Licht
und Tonbandmusik, inszeniert.
Inmitten des Bois de Bo0logne
finden wir die Pelouse de Passy. Auf der Lichtung
im Kiefernwald sind dieses Mal drei Circusse zu
sehen. Alexis
Gruss gastiert hier seit vielen Jahren
von Oktober bis Februar mit seinen kunstvoll
gestalteten, mit vielfältigen Pferdedarbietungen
angereicherten Programmen. Die sehr zahlreichen
hellblauen Sattelzüge, das große weiße
Chapiteau mit Vorzelt sowie Stallungen und
Dinerzelte füllen diesen Teil der Lichtung aus.
Nur wenige Meter weiter, durch Gebüsch getrennt,
finden wir zwei weitere Circusse direkt
nebeneinander. Heftige Regenfälle geben dem
Slogan Circus unter Wasser eine ganz
neue Bedeutung und wir befürchten fast zu den
beiden Chapiteaus schwimmen zu müssen. Zuerst
geht es zum Cirque
Messidor. Dieser Agenturcircus
präsentiert nun im zweiten Jahr den Cirque
National en Laponie, also den
Nationalcircus aus Lappland. Chapiteau und
übriges Equipment werden angemietet. In dieser
Spielzeit ist ein innen und außen silbergraues
2-Masten-Chapiteau von etwa 40 m Durchmesser
aufgebaut. Nur vier Quaterpools stützen die
Zeltbahn über dem komplett mit Schalensitzen
bestücken Gradin. Treffen Sie Elfen,
Zwerge und andere feenhafte Wesen und die anderen
fantastischen Sagenfiguren des
Nordens
.. beginnt die Werbebotschaft
dieser Show, doch leider präsentiert man sich
sehr phantasie- schmuck- und lieblos. Ohne
Vorzelt und Restauration, keinerlei Dekoration im
Chapiteau, keine Logen - die Klappstühle stehen
verloren im Raum, eine schlichte Stoffbahn als
Artisteneingang. Das Zelt hat keine Atmosphäre,
es wirkt leer kalt und unpersönlich. Das
ordentliche Programm wird so deutlich unter Wert
verkauft. Einziger Bezug zu Lappland sind die
beiden Rentiere, die zweimal während Umbauten um
die Manege geführt werden.
Neu auf diesem Gelände ist
Passion Cirque, der Circus
Christiane Bouglione. Bisher war man auf
einer kleinen Grünfläche an der Porte Maillot
angesiedelt und hat sich nun hierher verändert.
Der nostalgische Frontzaun, die Logen und der
geschmackvolle Artisteneingang erinnern an
Roncalli. Der kleine Viermaster, mit Logen und
6-reihigem Gradin restlos ausgefüllt, bietet 800
- 900 Personen Platz. Man engagiert jährlich ein
erstklassiges Programm für die Weihnachtsgalas,
das neben Newcomern auch immer große etablierte
Namen aufzuweisen hat. Ein eleganter
Monsieur Loyal, hervorragendes Licht
und stilvolle Inszenierung werden dem Namen
Bouglione vollauf gerecht. Die anheimelnde
Atmosphäre, so stellt man sich Weihnachtscircus
vor, in Verbindung mit dem Gebotenen lassen einen
Besuch hier immer wieder zu einem Erlebnis
werden. Im Nordwesten der Hauptstadt, etwa
10 Km von der Porte Passy in der Vorstadt Chatou,
findet man die Seineinsel Ile des
Impressionistes. Hier gibt sich der Circus Joseph
Bouglione die Ehre. An diesem
Spätnachmittag war man noch mitten im Aufbau
für die Premiere am nächsten Tag. Das neue
große ovale Zelt, mit vier Masten in einer
Reihe, wurde allerdings nur als runder Zweimaster
errichtet. Eine eingehende Beschreibung dieses
Circus findet sich an anderer Stelle auf
Chapiteau.de (siehe hier).
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