Und die drei Tribünen stehen dann nochmal
mehrere Meter von den Logenreihen weg – Stimmung kommt da
garantiert nicht auf. Hätte man die mobilen Ränge nicht
wenigstens zusammenrücken können? „Holiday on Ice“, mit 30
Tänzern auf der Eisfläche und Riesen-Brimborium, das mag man
sich hier noch vorstellen. Was das kleine Sarrasani-Programm in
der Kongresshalle verloren hat, ist künstlerisch aber nicht zu
begründen. Vermutlich geht’s ums liebe Geld: Es müssen keine
Zelte aufgebaut werden; gastronomische und sanitäre
Infrastruktur sowie nicht-künstlerisches Personal sind
vorhanden. Zu allem Überfluss wurden wir trotz größtenteils
leerer Ränge beim Kartenkauf unmöglich platziert – mit Blick von
schräg hinten aufs Geschehen, für 23 Euro pro Person. Das
Buchungssystem machte gerade Zicken.
Lloyd Kandin, Jinan Acrobatics Troupe,
Alex und Marina
Das Programm war am zweiten Tag der Spielzeit
schlicht zu kurz. Die Trampolinspringer „Street Kick“, im
Programmheft genannt, fehlten. Sarrasani hatte im Vorfeld
offenbar mehrere Künstler-Ausfälle zu verkraften, in der
Premiere und späteren Vorstellungen wurde das Programm noch
ergänzt. Eine Entschuldigung für das Kurz-Programm durch den
Moderator blieb in der von uns besuchten Vorstellung aus. So
dauerte die erste Programmhälfte dreißig (!), die zweite vierzig
Minuten inklusive Finale. Ein Logenbesucher quittierte dies mit
Buh-Rufen beim Schlussapplaus und dem aufgebrachten Ruf: „Das
ist Verarschung!“. Nun, „Sensations“ ist in der Tat frei von
Sensationen, und unter einem „Spektakel“ ist auch anderes,
Bombastischeres zu verstehen. Immerhin gibt sich der –
namentlich nicht genannte – Choreograph wirklich erkennbar die
größte Mühe, aus dem Wenigen ein gefälliges Programm zu formen.
Die Sarrasani-Band begleitet, das ist zu loben, jede Nummer
live; der charmant-gutaussehende Musical-Darsteller Lloyd Kandin
singt, mit weißen Engelsflügeln auf dem Rücken, Weihnachtliches
zwischen den Darbietungen und spinnt so einen roten Faden
zwischen den artistischen Nummern. Derer gibt es in der ersten
Hälfte drei: eine solide Schalenpagode der Jinan Acrobatics
Troupe of China, eine nicht sehenswerte Würfel-Jonglage der
„Group of Risks“ und ein wunderbarer, leistungsstarker Tango am
Trapez mit Alex und Marina.
I Baccala, Group of Risks, Jinan Acrobatics Troupe
In Hälfte zwei sehen wir „The Group of Risks“
nochmal, die hier mit einem überbreiten russischen Barren jedes
Risiko einer Fehllandung ausschaltet – und überdies hat das
Requisit so etwas wie „Schulterhaken“ an den Enden, das den
beiden Fängern die Arbeit erleichtert. Von wegen Requisit: Dies
ist das spektakulärste an der Perche-Darbietung des Duo Beretsov.
Die Perches sind hier als Spirale, als mit sich drehenden
Sternen besetzter Bogen oder als eine aus drei Ringen bestehende
Kugel geformt. Die Jinan Acrobatics Troupe, die das Programm
eröffnet hat, sorgt auch für den Abschluss, nun mit einer guten
Reifenspringer-Darbietung. Das Glanzlicht des Programms sind
aber die Clowns „I Baccalà“ mit mehreren Auftritten, teils
inmitten der Publikumsränge. Ihre Paradenummer: der mühevolle
Aufstieg aufs Trapez – herrlich komisch, selbst aus der größten
Distanz.
Hätte, ja hätte, Sarrasani dieses
Programm im intimeren Ambiente eines Zelts gezeigt, und
wäre André Sarrasani dagewesen, um die fehlende Stunde
Programm mit Zauberei und seinem Ballett zu füllen, es
hätte ein schöner Abend werden können. So standen die „Sensations“
am 22. Dezember im merkwürdigem Kontrast zur
Sarrasani-Philosophie, nur in ausgesuchten Städten
aufzutreten und sich dort ein treues Stammpublikum zu
erspielen.
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