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Weltweihnachtscircus Stuttgart 2008
www.weltweihnachtscircus.de

Stuttgart, 12. Dezember 2008: Die vergangenen zwei Jahre konnten wir mit den Programmen des Weltweihnachtscircus nicht viel anfangen. Natürlich gab es immer die großen Sensationen. Aber irgendwie schien es, als hätte man einfach alles engagiert, was wichtige Preise gewonnen oder sportliche Rekorde gebrochen hat – ohne Blick dafür, ob der circensische Verkauf sowie Ausstrahlung und Persönlichkeit der Künstler stimmen. Reglose Mienen, martialische Präsentation, geschmacklose Kostümierungen, zweifelhafte Auftritte von Kindern – vieles hat uns gestört. 2008 scheint es plötzlich, als habe Stardust Circus International uns erhört.

Eine ganz wunderbare Zusammenstellung von Darbietungen ist den Machern in diesem Jahr geglückt: eine Schatztruhe von Nummern, die entweder klassisch verkauft werden oder auf eine Weise „modern“ gestaltet sind, die sich in ein echtes Circusprogramm bestens einfügt. Bravo! Noch dazu gibt es in diesem Jahr ausreichend Tiere – inklusive Raubtiernummer – und, wie eigentlich immer, herrliche Clowns. Die Balance von Tieren, Clowns und Akrobaten stimmt. Ungelöst ist aber nach wie vor die Frage, wie ein solches Aufgebot großer Nummern mit vielen Umbauten und aufwendigen Requisiten in eine durchgängige Show der schnellen Schnitte oder fließenden Übergänge gekleidet werden könnte. So begnügt man sich weiter damit, dass Ansager Peter Goesmann vor jeder Nummer einfach so lange redet, bis der Umbau abgeschlossen ist – auch wenn’s gar nicht viel zu sagen gibt. Hinzu kommt, dass viele seiner Texte sich von Jahr zu Jahr wiederholen: Der Stammbesucher kann schon mitsprechen. Ein Jammer ist, dass das große, fantastische Orchester, das so herrlich druckvoll spielen kann, nur selten eingesetzt wird. Von 14 Artistik- und Tier-Darbietungen arbeiten zehn zu Band-Musik. Auch die Knie-Pferdenummern, auch Victor Minasov im Ballon. Das pompöse Licht lässt dagegen keine Wünsche offen.


Truppe aus Pjöngyang, Shenyang Acrobatic Troupe, Truppe Hebei

Zurück zum Lob: In diesem Jahr gefallen uns sogar die Asiaten! Ganz traditionell arbeiten die Nordkoreaner in einer noch nicht gesehenen Kombination aus Russischer Schaukel und Hochreck. Sprünge, Salti, Schrauben von der Schaukel zum Reck und umgekehrt werden von sieben Herren und einer Dame präsentiert, außerdem auch spektakuläre Flüge übers Reck hinweg zur Fangmatte – bis hin zum Fünffach-Salto und zum Blindflug durch einen Reifen in mehreren Metern Höhe. Die ursprünglich angekündigten Alexis Brothers, seit Monaten in einer Verletzungspause, wurden ersetzt durch den Chinesen Zhang Fan mit seinem Sensationsrepertoire auf dem Schlappseil. Die Shenyang Acrobatic Troupe mit ihren spektakulären Schwertbalancen beim Seidentücher-Flug sowie die fröhliche Fahrrad-Nummer aus Hebei – Stichwort: zwölf Mädchen auf einem Rad – waren vor zwei Jahren Highlights im benachbarten Heilbronner Weihnachtscircus. Nun sind sie auch hier in einem Programm vereint.


Géraldine Katharina Knie und Maycol Errani

Von Roncalli bestens bekannt sind die Minasovs: als Paar in der wohl rasantesten Kostümillusion überhaupt, Victor Minasov allein bei seinem absurd-witzigen Überraschungsauftritt im Luftballon. Künstlerisch wertvoll und hochriskant zugleich ist das Pas de Deux am Vertikalseil der Bobrovs, eine weitere „Roncalli-Leihgabe“. Ebenso stark vertreten ist das Knie-Programm 2008: mit der Hohen Schule im Tangorhythmus von Géraldine Katharina Knie und Maycol Errani sowie der großen Freiheitsdressur mit Pferden, Ponys, Trampeltieren, Lama und neuen Vorführern: Géraldine Knie und Maycol Errani, der sich hier mit großem Lauf-Engagement unter anderem an der Präsentation der Kamele versucht. Mit durchaus respektablem Ergebnis. Weitere Highlights aus dem Knie-Tourneeprogramm: der kraftvolle Strapatenauftritt Anton Belyakovs und die Ikarischen Spiele der Errani-Brüder zur neuen, besonders mitreißenden Latino-Musik.


Kovgar, Truppe Elena Drogaleva

Eine echte Neuentdeckung ist dagegen die Truppe von Elena Drogaleva vom Nikulin-Circus: drei Herren und die Namensgeberin jonglieren ganz elegant in Nadelstreifen, wobei Elena im Stile der großen Marlene Dietrich auftritt. Zwei hohe Sockel machen Wurfmuster über drei Ebenen möglich. Eine Darbietung, die klassisch und modern gleichzeitig wirkt. Großartig. Echter Circus-klassisch modern: das gilt auch für die Schleuderbrett-Truppe Kovgar, die eine geschmackvolle Präsentation mit folkloristisch anmutenden Kostümen und Musikbegleitung „von heute“ gefunden hat. Zum Repertoire gehören irrwitzige Sprünge auf Stelzen, zum Vier-Mann-Hoch ohne Hilfsmittel oder hinauf auf ein wackliges Konstrukt aus einer Art „russischem Barren“, auf dem ein Mann auf hohen Stelzen eine Perche mit Sessel am oberen Ende trägt.


Darix Huesca und Fumagalli, Tom Dieck junior

Nach drei Jahren ohne Raubtiere ist nun Tom Dieck junior mit seinen fünf Löwen zu Gast im Weltweihnachtscircus. Die Nummer überzeugt mit vielen Sprüngen, Hochsitzern, Scheinangriffen und dem differenzierten Spiel zwischen Mensch und Tier. Die abwechslungsreiche Musikbegleitung, live gespielt, macht den Genuss perfekt. Und dann ist da noch Fumagalli – der Publikumsliebling zurück in Stuttgart! Diesmal wieder als Dirigent und mit anderen kleinen Späßen zum Auftakt, mit neuen Gags in der bekannten Kaskadeur-Nummer und – neu – einem Entree im „Spukschloss“, das freilich witzig ist, aber trotz aufwendiger Requisiten, zahlreicher Geister-Akteure und viel Technik-Einsatz mit Blitz und Donner an den Bienchen-Bienchen-Lachschlager nicht herankommt.

Weltweihnachtscircus 2008 – das sind ausschließlich begeisternde Circus-Nummern, ohne einen Fehlgriff stimmig ausgewählt. Nun müsste man noch daran arbeiten, dass das Gesamte mehr ist als die Summe seiner Teile, dann wäre das Glück perfekt. Ansonsten können wir vom zweiten Gastspieltag vermelden: wie immer volle Ränge, zum Finale wie immer Stehbeifall.

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Text: Markus Moll, Fotos: Tobias Erber