Schon der Anblick der Pelouse de Reuilly,
eines gewaltigen Kirmesplatzes im Pariser Osten, bietet in den
ersten Dezembertagen einen unvergleichlichen Anblick: links, an
der Längsseite des Platzes, steht Pinder – hinten quer der
riesenhafte Agenturcircus Phénix – rechts in der Mitte Arlette
Gruss. Ein „Circus-Festival“, das wohl weltweit seinesgleichen
sucht.
Gigantisches "Circus-Festival": links Pinder, mittig Phénix,
rechts Arlette Gruss
Nur in Paris nutzt Pinder sein gewaltiges
Sechs-Mast-Chapiteau mit reichlich 5000 Plätzen, dahinter stehen
zwei weitere Viermastzelte, in denen große Gruppen von
Betriebsfest-Buchungen verköstigt werden. Die französische
Tradition, die Firmenweihnachtsfeier mit dem Besuch einer (Circus-)Veranstaltung
zu verbinden, ist der Grund für das überreiche circensische
Angebot im weihnachtlichen Paris. Aufwendig gestaltet schon
Pinders Eingangsbereich mit den jeweils hell erleuchteten Front-
und Kassenwagen, großem Gitterbogen mit Leuchtschrift, riesigen
Figuren von Weihnachtsmann, Elefant und Drache. Im ersten
Vorzelt sind historische Pinder-Fahrzeuge ausgestellt, im
zweiten finden wir die Restauration in der Art eines
Weihnachtsmarktes. Pompös dann der Anblick des Chapiteau-Inneren:
mit einem edlen, samtroten Artisteingang, Teppichboden überall,
einer gewaltigen Lichtanlage.
Luftnummer,
Schleuderbrett, Illusionsshow, Lassonummer
Neu für Paris
sind drei Truppennummern aus China: eine große Luftnummer mit
drei stehenden Fängern hintereinander und einem vierten Fänger
an einer drehbaren Schaukel in der Mitte. Die Fliegerinnen und
Flieger zeigen ein breites Repertoire bis hin zum traumhaft
sicheren „Dreifachen“. Im Trend liegen die Lassonummern aus
China – hier erleben wir abermals eine neue Variante mit vielen
Salti im Techno-Rhythmus. Eher unter den Erwartungen bleibt dann
jedoch die Schleuderbrettnummer vor dem Finale. Zwar wird das
gängige Repertoire bis zum Vier-Mann-Hoch und Flug zum Sessel
auf einer Perchestange geboten, doch wirken die Sprünge
merkwürdig plump. Perfekt ist Sophie Edelsteins
Großillusionsshow mit spektakulärem Tricks und toller
Präsentation mit fünf knackig-durchtrainierten Tänzern.
Sacha Houcke,
Martis Brothers, Gaby Dew
Aus dem
Saisonprogramm des Circus Pinder wurden sämtliche Darbietungen
übernommen, die im vergangenen Winter noch nicht in Paris zu
sehen waren: die ungewöhnlich kraftvolle und zugleich erotische
Luftring-Arbeit von Akaena, die verführerische Romina Michellety
mit ihren Hula-Hoop-Reifen und Kontorsionselementen, ihr Partner
Francois Bori mit seiner famosen Keulenjonglage und die
Musikalclowns Harizanov. Die kubanische Truppe Havanna zeigt
hier nur die lebensfrohe, starke Arbeit auf dem russischen
Barren, nicht aber das Seilspringen. Als Abräumer erwiesen sich
die Hand-auf-Hand-Akrobaten Martis Brothers. Nun gehört diese
Darbietung sicher nicht zu den stärksten des Genres, doch mit
ihrem Verkauf des Stuhltricks – erst geplantes Scheitern, dann
Gelingen – rockten die beiden Italiener in der besuchten
Vorstellung in eleganten weißen Kostümen das Zelt, brachten das
Publikum zum Toben. Es sind gerade die Tiernummern, welche zum
besonderen Glanz dieses Programms beitragen: Durch Tier-Masse
(neun Löwinnen, drei Löwen, vier Tiger – 16 Tiere!) und
Trick-Klasse (Fächer, Hechtsprung auf abliegende Löwen u.v.m.)
zeichnet sich die Raubtiernummer von Frederic Edelstein aus.
Phänomenal die trick- und temporeiche Arbeit der beiden
Elefantendamen, die von Sacha Houcke in wahrer Meisterschaft
fast beiläufig vorgeführt werden. Mit ebensolcher Nonchalance
präsentiert Gaby Dew ihre hochklassige Freiheit mit acht braunen
und weißen Pferden. Umgestellt hat Sacha Houcke den Exotenzug:
An die variantenreiche Laufarbeit von sechs Kamelen, die noch
nicht ganz perfekt läuft, schließt sich hier die großartige
Karussell-Szene mit Kamelen, Eseln, Zebras, Lamas und
Fjordpferden an.
- Perfekt ist das Pinder-Spektakel jedoch nicht: Dazu fehlt zum
einen das Orchester, zum anderen könnten die Umbaupausen noch
gestrafft werden. Ein wenig disziplinlos bis ungeplant wirkt
leider das Finale. Schade, denn trotz heftigen Beifalls für
Einzeldarbietungen während der Vorstellung bleibt folglich der
Schlussapplaus fast aus. Jammerschade. |