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Wintercircus Utrecht 2009
www.wintercircusutrecht.nl

Utrecht, 27. Dezember 2009: So oder zumindest so ähnlich müssen sie gewesen sein. Die Programme von Louis Knie senior, von denen alle Circusfreunde so schwärmen, die ich selbst aber leider nie gesehen habe. Dieser Gedanke schoss mir beim Anschauen des ersten Utrechter Wintercircus durch den Kopf. Der von Louis Knie junior und dem Unternehmer Jeroen Hillenaar veranstaltete Circus überzeugt mit einem wunderbar romantischen Ambiente in Vor- und Spielzelt, charismatischen Artisten und einer temporeichen Inszenierung, die den typischen Stil des Schweizer Circus Knie mit den besten Elementen einer Roncalli-Show kombiniert. Fehlt eigentlich nur noch ein vollwertiges Orchester. Denn die drei Musiker um Schlagzeuger Manfred Huber geben zwar ihr Bestes und meist gelingt ihnen die Kombination von Band- und Livemusik auch ordentlich, der Sound einer echten Kapelle würde das Programm aber nochmals aufwerten.


Golden Pyramids, Granadeiro Brothers, Francesco und Maximo

Dieses beginnt mit einer Parade aller Artisten, an deren Ende Magier Christian Farla den Weißclown Rui Luftmann hervorzaubert. Nachdem Luftmann einige Worte der Begrüßung gesprochen hat, beginnt die Show mit einer Kuh-Freiheit, vorgeführt von Manuel Frank, den wir im ersten Programmteil auch noch mit seiner trickreichen Hunde- und Ziegendressur erleben. Doch bevor es soweit ist, ist es an den Kraftakrobaten der Golden Pyramids das erste artistische Ausrufezeichen zu setzen. Ihnen folgt mit einem kurzen Auftritt am Solotrapez Ilona Pistekova, die Lebensgefährtin von Louis Knie. Gerade beim Circusfestival von Latina ausgezeichnet kommt die Truppe Selnikhin nach Utrecht. Ihre Arbeit besticht nicht nur elegante, ohne Absicherung durch einen Partner gelandete Sprünge, sondern ist auch deshalb einzigartig, weil die Landung ausschließlich auf einer wirklichen, durchgehend runden Stange ohne verbreiterte Landefläche erfolgt. Anschließend geben Rui und Maximo Luftmann unterstützt von Francesco alias Frank Bergmann das Bonbon-Entree. Maximo und Francesco begleiten das Programm zudem mit kurzen Reprisen, besonders bemerkenswert: ihre verblüffende Hand-auf-Hand-Einlage. Schlusspunkt von Hälfte eins ist dann das Todesrad der Granadeiro Brothers. Die Portugiesen verkaufen ihre Darbietung mit solch überschäumendem Temperament, dass es die Zuschauer in der von uns besuchten Vorstellung kaum mehr auf ihren Sitzen hält.


Louis Knie jr., Truppe Iriston, Christian Farla

„Tempo, Tempo, Tempo“ wird dann auch nach der Pause, im zweiten Programmteil, groß geschrieben. Lediglich Maximo Luftmanns Orchester-Version sorgt für eine kurze Atempause. Los geht es mit den Flying Mendes, die das übliche Repertoire bieten, wobei der Dreifache in der besuchten Vorstellung nicht gelingen will. Es folgt der holländische Star-Illusionist Christian Farla, der vom Publikum begeistert gefeiert wird, und vor allem mit seinem Entfesslungstrick unter Wasser Staunen macht. Dann noch mal die Granadeiros, dieses Mal mit einer eher unspektakulären Bola-Bola-Show. Ihnen folgt Louis Knie junior mit einer ausgereiften Pferdefreiheit, inklusive eines Blocks mitreißender Dacapi. Ebenso mitreißend: der junge Jongleur Juan Pablo Martinez, der mit Keulen, Tischtennisbällen und Strohhüten geradezu durch die Manege und den Zuschauerraum irrlichtert. Doch es geht immer noch etwas schneller, wie als Schlussnummer die Truppe Iriston beweist. Angetrieben von fiebriger Livemusik jagen die russischen Reiter durch die Manege. Und wie bereits am Schluss des ersten Teils bei den Granadeiros Brothers zeigt sich das Publikum auch jetzt total entfesselt. Frenetischer Applaus.

Im anschließenden Finale wird dann im Stehen applaudiert. Louis Knie und Ilona Pistekova – die beiden lassen sich als Familie Knie ankündigen - stellen gemeinsam alle Artisten namentlich vor, Pyramiden werden gebaut, Zugaben gegeben und zum Abschluss spielt Rui Luftmann auf dem Saxophon „My way“ – begleitet von Sängerin Edita Pistekova. Zum Dahinschmelzen! Und so habe auch ich mich zum Applaudieren von meinem Platz erhoben, denn das, was uns Louis Knie in Utrecht präsentiert, ist klassischer Circus wie er meiner Meinung nach sein sollte. Gut, es fehlt ein richtiges Orchester und auch traditionell zum Circus gehörende Großtierarten wie Raubkatzen oder Elefanten wären wünschenswert, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Vielleicht schon im nächsten Jahr, bei der geplanten zweiten Auflage des Utrechter Wintercircus.

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Text und Fotos: Sven Rindfleisch