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Cirque Alexandre Bouglione - Brüssel 2010
www.bouglione.be ; 68 Showfotos

Brüssel, 16. Oktober 2010: Wenn die beiden Jungs des Duo Vanegas über das sich immer schneller drehende Todesrad jagen, tobt das Publikum – und auch der weitgereiste Circusfreund bekommt feuchte Hände. So riskant gearbeitet wird an diesem Requisit selten. Geschwindigkeit und Höhe der Sprünge sind atemberaubend. Wenn Sprechstallmeister Pierre Paillé dann auch noch einen Salto auf dem rotierenden Außenrad ankündigt, ist man fast geneigt, auf diesen zusätzlichen Nervenkitzel freiwillig zu verzichten.

Doch darauf würden sich die beiden Hazadeure in Jeans und Muskelshirt wohl nie einlassen. Im Gegenteil, aus dem angekündigten Salto werden letztendlich zwei. Das vor der Gardine ausgelegte Luftkissen beruhigt da nur sehr begrenzt. Diese Sensationsnummer ist der Schlusspunkt eines außergewöhnlich starken und stimmigen Circusprogramms, welches die Familie von Alexandre Bouglione diesen Herbst am Atomium in Brüssel präsentiert. Nachdem die Shows in den Vorjahren unter ein Motto gestellt wurden (Zigeuner in 2008, Bollywood in 2009), ist „Le cirque des cirques“ ganz dem klassischen Circus gewidmet. Das Licht mit zig farbigen „echten“ Scheinwerfern zeigt, wie phantastisch ein warmes, starkes Licht ohne LEDs wirkt. Die Musik kommt (leider) aus der Konserve, ist dafür aber perfekt ausgewählt. Ebenso die handverlesenen Artisten, die allesamt in äußerst geschmackvolle Kostüme gekleidet sind. Lediglich den Herren der Schleuderbrett-Truppe würde man gerne einen Besuch bei einem hiesigen Friseur spendieren. Die Kritik an einem solchen Detail zeigt aber letztendlich, welche Perfektion ansonsten an den Tag gelegt wird. Und hierbei sprechen wir nicht von einer Soleil-Perfektion mit starr vorgegebenem Showablauf, sondern einer solchen, die von den individuellen Persönlichkeiten der Akteure lebt.


Maud Florees, Picasso junior, Tony Florees

Und derer gibt es eine Vielzahl im Vorweihnachts-Programm des Cirque Alexandre Bouglione. Für die Sparte der Jonglage gilt das sogar gleich doppelt. Picasso junior ist einer der beiden Vertreter, den wir u.a. von seinen Engagements bei Knie und Roncalli kennen. Er jongliert nach wie vor exzellent mit Tischtennisbällen (mittels Holzschläger bzw. Mund) und Tellern. Der Spanier versteht sich aber ebenso professionell auf das Spiel mit dem Publikum. Die klassischen Jonglierrequisiten Bälle, Keule und Reifen beherrscht Tony Florees in ebenfalls fantastischer Manier. Seine Nummer ist außergewöhnlich leistungsstark. Dass der junge Mann auch noch blendend aussieht und sich ansprechend zu verkaufen weiss, macht diese Darbietung zu einem perfekten Auftritt. Seine Ehefrau Maud Florees (geb. Gruss) haben wir lange Zeit im Circus ihrer Familie, dem Cirque National Alexis Gruss in Paris bewundern dürfen. Nun hat sie sich zusammen mit ihrem Partner quasi selbständig gemacht. Selbstverständlich erleben wir sie auch bei Bouglione im Pferdesattel. Im eleganten „Gruss-Stil“ reitet sie eine Hohe Schule. Ein stattlicher Friese, eine hübsche Reiterin im edlen Kostüm und perfekt gerittene Figuren der Hohen Schule – was will man mehr? Ein ganz besonderes Ereignis ist ebenfalls ihre Kür auf dem Drahtseil. Nach jeder Sequenz wechselt sie Musik und Kostüm. So entstehen die verschiedensten, aber immer stimmungsvollen, Bilder. Die Palette reicht von der ausgelassen tanzenden Zigeunerin bis zur Seil springenden „Lady mit Hut“.
 


Duo Vanegas

Ein weiteres artistisches Ausrufezeichen setzt das Duo Nikita mit seiner Darbietung an der Stirnperche. Während der männliche Part die Last auf seinem Kopf ausbalanciert, glänzt seine Partnerin auf der Spitze unter anderem mit einem Handstand. Auch diese starke Nummer wird wiederum äußerst elegant präsentiert. Sie gipfelt in der Überquerung einer Leiter im mittels einer Stirnperche gebildeten 2-Personen-Hoch. Fantastisch. Der weibliche Part des Duo Nikita zeigt zudem eine wunderschön anzusehende Kür an schneeweißen Vertikaltüchern. Ihre Version hat die bei diesem Genre so wichtige perfekte Balance aus Leistung und Schauwert. Es passt einfach. Zwei junge Damen und drei ebensolche Herren bilden die Truppe Stoian. Im ersten Teil zeigen sie in modernen, aber folkloristisch angehauchten Kostümen ihre Arbeit am Schleuderbrett. Diese gipfelt im mittels einer Perchestange gebildeten Turm aus drei Personen. Hier, wie bei der im Quartett gezeigten Darbietungen am russischen Barren, punkten sie zusätzlich mit ihrem jugendlichen Schwung. Die Sprünge der beiden Fliegerinnen am Barren enden mit einem zweimal hintereinander gesprungenen dreifachen Salto. Komplettiert wird die Riege der Akrobaten von Nancy Brand. An einem stählernen Halbmond zeigt die sympathische Artistin eine sehr schön anzusehende Choreographie. Den Genuss komplett macht der zugehörige Livegesang vom Weißclown des Pépin Léon Trio. Gemeinsam mit zwei Augusten spielt er ein klassisches Clowns-Entree.


Pépin Léon Trio, Nicolas Bouglione

Auch hierbei beweisen die drei überzeugend ihr musikalisches Können. Ihr Spiel – sowohl mit als auch ohne Instrumente – ist vergleichsweise fein und unterscheidet sich damit wohltuend von den Krawallauftritten mancher Kollegen. Sie glänzen mit den verschiedensten Instrumenten von der Tuba bis zum Flügel und ihren sympathisch präsentierten Späßen. Gegen ein baldiges Wiedersehen in hiesigen Manegen hätte ich nichts einzuwenden. Für die Reprisen sorgt, wie bereits seit vielen Jahren bei Bouglione, Rony. Meist tut er dies im Zusammenspiel mit Pierre Paillé. Der Monsieur Loyal ist ebenfalls ein vertrautes Gesicht im Cirque Alexandre Bouglione. Auf verbindliche und sehr charmante Art begleitet uns der stattliche Herr mit dem freundlichen Gesicht durch die Show. Natürlich gehört auch Junior-Chef Nicolas Bouglione fest zu diesem Unternehmen. Er präsentiert die beiden weiteren Darbietungen mit Tieren. Zu Beginn sehen wir eine Rarität in der heutigen Zeit. In seiner Raubtierdressur vereint er drei Pumas, zwei gefleckte und einen schwarzen Panther. Die Tiere demonstrieren ihr Sprungvermögen und im engen Zusammenspiel mit Nicolas das große Vertrauen zu ihrem menschlichen Partner. Direkt vor der Pause ist Jenny, die afrikanische Elefantendame des Hauses, mit ihm in der Manege zu erleben. Jenny beherrscht alle gängigen Tricks und überzeugt auch mit dem Fußball in Größe XXL.

Selbstverständlich präsentieren sich zum Finale nochmals alle Mitwirkenden in edlen Gewändern. Die Lichtregie zieht erneut alle Register und der prachtvolle Artisteneingang kommt abermals wunderbar zur Geltung. Eine grandiose, ungeheuer starke Circusshow geht zu Ende. Für mich eines der Highlights 2010 und ein perfekter, wenn auch sehr früher, Einstieg in die kommende Weihnachtscircus-Saison. Die Messlatte für den kommenden Winter liegt somit schon jetzt sehr hoch.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch