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Circustraum Conelli 2010
www.circus-conelli.ch

Zürich, 30. Dezember 2010. Schöner als Conelli auf dem Bauschänzli kann ein Circus kaum platziert sein. Die kleine Insel im Zürichsee liegt direkt in der Innenstadt, ein paar Schritte nur von der Haupteinkaufsmeile Bahnhofstraße entfernt. Somit zentral gelegen, aufgrund der Lage im See aber gleichzeitig sehr romantisch. Es sieht einfach wunderbar aus, wie sich die üppigen Lichtornamente des Chapiteaus auf dem Wasser spiegeln. Einziger Nachteil: Der Platz ist sehr begrenzt, die Zeltbauten passen gerade so auf das Eiland. Doch die Direktionsfamilie Gasser löst dieses „Problem“ auf höchst elegante sowie originelle Weise.

Der Pianist im Foyer wird samt Flügel einfach eine Etage höher gesetzt. Will heißen, er spielt auf einer gläsernen Plattform über dem Eingangsbereich. Da für die beiden Geigerinnen auf dem Orchesterpodium kein Platz mehr ist, erhalten sie eben zu beiden Seiten jeweils einen Anbau. Zwei Beleuchter kommen noch oben drüber. Die Einzelstühle auf dem Gradin stehen dicht an dicht. Viel Platz hat der einzelne Besucher nicht, dafür ist es eben schön kuschelig. Das Programm ist ebenso dicht besetzt: Ein großes Orchester (15 Musikerinnen und Musiker), eine Gospelgruppe (acht Sängerinnen und Sänger), ein Ballett (sechs Damen) und zahllose Artisten sowie Clowns – alles ist vorhanden. Glücklicherweise stimmt nicht nur die Quantität, sondern ebenfalls die Qualität. Alle Genres sind bestens besetzt. Einziger Wehrmutstropfen: Tiere fehlen leider komplett. Aber ganz ehrlich: In dieser Show werden sie nicht wirklich vermisst, wenngleich Hunde oder Seelöwen sicher gut in den Rahmen gepasst hätten.


Enemy Squad, Vince Bruce, Ballett

Während also zum Einlass im Vorzelt ein Pianist spielt, unterhält in der Manege ein Streicher-Trio das Publikum. Da macht das Warten im äußerst edlen Ambiente sogar richtig Spaß. Zum akustischen Genuss kommt der optische, denn die Masten des Chapiteaus befinden sich außen, sodass es keinerlei diesbezüglichen Sichtbehinderungen gibt. Zum Start der aktuellen Produktion „Pure Imagination“ spielt das großartige Orchester unter der Leitung von Alex Maliszewski auf. Zwei elegante farbige Sänger in chiquen Fracks begrüßen das Publikum singend und das Ballett erscheint in prächtigen weißen Kostümen mit vielen Federn. Die erste Nummer ist die einzige, die nicht so recht in dieses Programm der Persönlichkeiten passt. Denn Klischnigger Taras Nadtochii arbeitet in einem dunklen Ganzkörper-Outfit, welches auch seinen Kopf komplett verhüllt. Das Gesicht des Ukrainers sehen wir leider erst beim Finale. Die „weiße“ Grundstimmung des Openings nehmen aber gleich darauf Enemy Squad wieder auf. Das ungarische Quartett hat den Break Dance manegenfein gemacht. Damit waren sie beispielsweise bei Flic Flac und Knie zu erleben. Inzwischen enthält ihre Darbietung mehr artistische Elemente, was ihre ohnehin vorhandene Circus-Tauglichkeit weiter erhöht.
 


Charly Borra

Dann hat der bei Big Apple und Ringling in den USA populär gewordene Clown mit Schweizer Wurzeln seinen ersten Auftritt. Bello Nock erscheint in einem bunten Würfel aus Stoff und pumpt sich bzw. sein Outfit sodann zu einem XXL-Bello auf. Die Damen des Balletts leiten über zum Duo „Just two men“. Die Grazien helfen den beiden coolen Ukrainern mit den trainierten Bodys aus den Sakkos. Dass sie ihre Körper nicht nur aus optischen Gründen gestählt haben, beweisen sie bei ihrer folgenden kraftvollen Kür an den Strapaten. In den Wilden Westen geht es mit Cowboy Vince Bruce. Natürlich nicht ohne dass das Ballett vorher zu „Wild Wild West“ in Fransenkostümen und Cowboyhüten getanzt hat. Bruce ist eine jener gestandenen Künstlerpersönlichkeiten, die leider rar geworden sind, von denen die aktuelle Conelli-Produktion mit Charly Borra und Gaston (Häni) aber noch zwei weitere in petto hat. Der inzwischen in Chicago lebende Engländer verkauft seine Lasso- und Peitschenspiele so überzeugend, dass es eine wahre Freude ist. Auch vor Selbstironie schreckt er nicht zurück, denn sein Einrad, mit dem er durch ein Lasso springt, ist als Steckenpferd gestaltet. Gaston hat in diesem Jahr nicht nur seinen bekannte Partner Roli dabei, sondern zusätzlich seinen Sohn. Der Junior ist dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten und kann genauso herrlich doof dreinschauen wie der Senior. Quasi als Reprise auf die Darbietung von Vince Bruce versuchen sich die beiden Gastons beim Schießen auf Metalldosen. Ein Manegen-Profi durch und durch ist ebenfalls Claudius Specht.


Gospelsängerin, Bello Nock, Tetiana Konobas

Der sympathische Basler versteht sich nicht nur perfekt auf das elegante Spiel mit Keulen und Bechern, sondern ist während seiner Jonglagen im steten Kontakt mit dem Publikum. Das zeichnet wahre Publikumslieblinge aus. Quasi ganz nebenbei meistert er sieben Keulen, die ihm von seinem vollautomatischen Requisitenspender zugeworfen werden.  Nachdem ihre zaghaften Jonglierversuche im bisherigen Verlauf der Vorstellung unterbunden wurden, hat nun Tetiana Konobas ihren eigenen Auftritt. Die zweite Siegerin vom letzten European Youth Circus verblüfft auch in Zürich mit ihrer innovativen Artistik an drei Medizinbällen. Und dann heißt es „Gemma klaun.“ Nach seinen Manipulationen mit Zigaretten(rauch) macht sich Charly Borra auf, um drei Herren aus dem Publikum ihrer Habseligkeiten zu erleichtern. Charmant greift der großartige Entertainer sich alles, was er in die Finger bekommt – bis hin zu Brille und Krawatte. Die Bungee-Nummer von Bello Nock ist genial verpackt in eine Szene mit allen Clowns, die gemeinsam ein Transparent aufhängen wollen. Hier zeigt sich wieder einmal wie wunderbar eine kreative Regie einzelne Nummern bzw. ganze Programme aufwerten kann. Mit vereinten Kräften schaffen es die vier letztendlich das Transparent zu enthüllen, welches die Pause ankündigt.


Claudius Specht, Gaston und Gaston jr., Just two Men

Teil zwei beginnt musikalisch, wobei hier wieder alle Register gezogen werden: Auf der Orchesterbrücke musiziert fulminant das Orchester, in der Manege singt das Gospel-Ensemble und wird dabei mit der E-Gitarre unterstützt von Jeremy Gasser, dem Junior des Hauses. Rotes Licht und Tangorhythmen runden die elegant-riskante Duo-Arbeit am Trapez von Carly Sheridan und Ivan Dotsenko perfekt ab. Unter dem Titel „Tempo Trapez“ zeigen sie Voltigen und Haltefiguren. Anschließend hat der Mann mit der irren vertikal ausgerichteten Frisur seinen großen Auftritt. Bello Nock übt sich mit Hilfe einer Dame aus dem Publikum und aus Luftballons modellierten Requisiten als Kunstschütze. Er begeistert mit originellen Tricks, vielmehr aber noch mit wirklich tollem komödiantischem Können. Vielleicht dürfen wir ihn bald einmal länger hier in Europa erleben. Zu wünschen wäre es. Das Gospel Ensemble kommt uns nun mit herrlichem Blues in wiederum neuen, edlen Kostümen. Dass noch während ihres Auftritts das Requisit für den nächsten Künstler aufgebaut wurde, hat man – wie nahezu alle Umbauten – gar nicht mitbekommen. So perfekt läuft diese Show ab.


Roman Kaperskiy

Auf vier sehr langen, verschiebbaren Stangen zeigt Roman Kaperskiy seine Handstand-Equilibristik. Verdammt cool drückt der muskulöse Russe seine Handstände. Jugendlich locker präsentieren sich nach einer weiteren Einlage des Balletts auch die beiden Anastasini Brothers. 13 und 21 Jahre jung sind die beiden Newcomer in der Ikarier-Szene, von denen man noch hören wird. Sie beenden ihre höchst sympahtisch verkaufte Show auf der Trinka mit einem doppelten und sofort danach 25 einfachen Salti. Was folgt ist das, was bei Didi Hallervorden der „gespielte Witz“ war. Hobby-Weihnachtsmann Roli trifft auf Gaston, um mit diesem ein perfektes Bescherungs-Ritual einzustudieren. Die beiden sind in Sachen Mimik, Timing und Wortwitz so schnell nicht zu schlagen. Ich jedenfalls habe gelacht wie selten im Circus.

Das Finale, wie sollte man es bei dieser Show anders erwarten, wird perfekt zelebriert. Zunächst erscheinen die Sänger in weißen Gewändern, dann alle Artisten und das Ballett mit Wunderkerzen. Die Mitwirkenden verabschieden sich einzeln, es gibt Zugaben, es regnet Schnee und es regnet Glitter. In der Mitte der Manege stehen die vier Menschen, die diese grandiose Produktion, den „Circustraum Conelli“, verantworten: Roby Gasser mit Cindy Gasser Lee sowie Nadja Gasser Streich und Leszek Streich. Ihnen gilt unser großer Dank für einen perfekten Ausklang des Circusjahres 2010. Wir werden wiederkommen. Für diesen Traumcircus lohnt sogar der Weg nach Zürich. Bis Ende 2011 also.

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Text und Fotos:
Stefan Gierisch