Der Pianist im
Foyer wird samt Flügel einfach eine Etage höher gesetzt. Will
heißen, er spielt auf einer gläsernen Plattform über dem
Eingangsbereich. Da für die beiden Geigerinnen auf dem
Orchesterpodium kein Platz mehr ist, erhalten sie eben zu beiden
Seiten jeweils einen Anbau. Zwei Beleuchter kommen noch oben
drüber. Die Einzelstühle auf dem Gradin stehen dicht an dicht.
Viel Platz hat der einzelne Besucher nicht, dafür ist es eben
schön kuschelig. Das Programm ist ebenso dicht besetzt: Ein
großes Orchester (15 Musikerinnen und Musiker), eine
Gospelgruppe (acht Sängerinnen und Sänger), ein Ballett (sechs
Damen) und zahllose Artisten sowie Clowns – alles ist vorhanden.
Glücklicherweise stimmt nicht nur die Quantität, sondern
ebenfalls die Qualität. Alle Genres sind bestens besetzt.
Einziger Wehrmutstropfen: Tiere fehlen leider komplett. Aber
ganz ehrlich: In dieser Show werden sie nicht wirklich vermisst,
wenngleich Hunde oder Seelöwen sicher gut in den Rahmen gepasst
hätten.
Enemy Squad, Vince Bruce, Ballett
Während also zum
Einlass im Vorzelt ein Pianist spielt, unterhält in der Manege
ein Streicher-Trio das Publikum. Da macht das Warten im äußerst
edlen Ambiente sogar richtig Spaß. Zum akustischen Genuss kommt
der optische, denn die Masten des Chapiteaus befinden sich
außen, sodass es keinerlei diesbezüglichen Sichtbehinderungen
gibt. Zum Start der aktuellen Produktion „Pure Imagination“
spielt das großartige Orchester unter der Leitung von Alex
Maliszewski auf. Zwei elegante farbige Sänger in chiquen Fracks
begrüßen das Publikum singend und das Ballett erscheint in
prächtigen weißen Kostümen mit vielen Federn. Die erste Nummer
ist die einzige, die nicht so recht in dieses Programm der
Persönlichkeiten passt. Denn Klischnigger Taras Nadtochii
arbeitet in einem dunklen Ganzkörper-Outfit, welches auch seinen
Kopf komplett verhüllt. Das Gesicht des Ukrainers sehen wir
leider erst beim Finale. Die „weiße“ Grundstimmung des Openings
nehmen aber gleich darauf Enemy Squad wieder auf. Das ungarische
Quartett hat den Break Dance manegenfein gemacht. Damit waren
sie beispielsweise bei Flic Flac und Knie zu erleben. Inzwischen
enthält ihre Darbietung mehr artistische Elemente, was ihre
ohnehin vorhandene Circus-Tauglichkeit weiter erhöht.
Charly Borra |
Dann hat der bei
Big Apple und Ringling in den USA populär gewordene
Clown mit Schweizer Wurzeln seinen ersten Auftritt. Bello Nock
erscheint in einem bunten Würfel aus Stoff und pumpt sich bzw.
sein Outfit sodann zu einem XXL-Bello auf. Die Damen des
Balletts leiten über zum Duo „Just two men“. Die Grazien
helfen den beiden coolen Ukrainern mit den trainierten
Bodys aus den Sakkos. Dass sie ihre Körper nicht nur aus
optischen Gründen gestählt haben, beweisen sie bei ihrer
folgenden kraftvollen Kür an den Strapaten. In den Wilden
Westen geht es mit Cowboy Vince Bruce. Natürlich nicht
ohne dass das Ballett vorher zu „Wild Wild West“ in
Fransenkostümen und Cowboyhüten getanzt hat. Bruce ist
eine jener gestandenen Künstlerpersönlichkeiten, die
leider rar geworden sind, von denen die aktuelle
Conelli-Produktion mit Charly Borra und Gaston (Häni) aber
noch zwei weitere in petto hat. Der inzwischen in Chicago
lebende Engländer verkauft seine Lasso- und
Peitschenspiele so überzeugend, dass es eine wahre Freude
ist. Auch vor Selbstironie schreckt er nicht zurück, denn
sein Einrad, mit dem er durch ein Lasso springt, ist als
Steckenpferd gestaltet. Gaston hat in diesem Jahr nicht
nur seinen bekannte Partner Roli dabei, sondern zusätzlich
seinen Sohn. Der Junior ist dem Vater wie aus dem Gesicht
geschnitten und kann genauso herrlich doof dreinschauen
wie der Senior. Quasi als Reprise auf die Darbietung von
Vince Bruce versuchen sich die beiden Gastons beim
Schießen auf Metalldosen. Ein Manegen-Profi durch und
durch ist ebenfalls Claudius Specht. |
Gospelsängerin,
Bello Nock, Tetiana Konobas
Der sympathische
Basler versteht sich nicht nur perfekt auf das elegante Spiel
mit Keulen und Bechern, sondern ist während seiner Jonglagen im
steten Kontakt mit dem Publikum. Das zeichnet wahre
Publikumslieblinge aus. Quasi ganz nebenbei meistert er sieben
Keulen, die ihm von seinem vollautomatischen Requisitenspender
zugeworfen werden. Nachdem ihre zaghaften
Jonglierversuche im bisherigen Verlauf der Vorstellung
unterbunden wurden, hat nun Tetiana Konobas ihren eigenen
Auftritt. Die zweite Siegerin vom letzten European Youth Circus
verblüfft auch in Zürich mit ihrer innovativen Artistik an drei
Medizinbällen. Und dann heißt es „Gemma klaun.“ Nach seinen
Manipulationen mit Zigaretten(rauch) macht sich Charly Borra
auf, um drei Herren aus dem Publikum ihrer Habseligkeiten zu
erleichtern. Charmant greift der großartige Entertainer sich
alles, was er in die Finger bekommt – bis hin zu Brille und
Krawatte. Die Bungee-Nummer von Bello Nock ist genial verpackt
in eine Szene mit allen Clowns, die gemeinsam ein Transparent
aufhängen wollen. Hier zeigt sich wieder einmal wie wunderbar
eine kreative Regie einzelne Nummern bzw. ganze Programme
aufwerten kann. Mit vereinten Kräften schaffen es die vier
letztendlich das Transparent zu enthüllen, welches die Pause
ankündigt.
Claudius Specht,
Gaston und Gaston jr., Just two Men
Teil zwei beginnt musikalisch, wobei hier wieder alle
Register gezogen werden: Auf der Orchesterbrücke musiziert
fulminant das Orchester, in der Manege singt das Gospel-Ensemble
und wird dabei mit der E-Gitarre unterstützt von Jeremy Gasser,
dem Junior des Hauses. Rotes Licht und Tangorhythmen runden die
elegant-riskante Duo-Arbeit am Trapez von Carly Sheridan und
Ivan Dotsenko perfekt ab. Unter dem Titel „Tempo Trapez“ zeigen
sie Voltigen und Haltefiguren. Anschließend hat
der Mann mit der irren vertikal ausgerichteten Frisur seinen
großen Auftritt. Bello Nock übt sich mit Hilfe einer Dame aus
dem Publikum und aus Luftballons modellierten Requisiten als
Kunstschütze. Er begeistert mit originellen Tricks, vielmehr
aber noch mit wirklich tollem komödiantischem Können. Vielleicht
dürfen wir ihn bald einmal länger hier in Europa erleben. Zu
wünschen wäre es. Das Gospel Ensemble kommt uns nun mit
herrlichem Blues in wiederum neuen, edlen Kostümen. Dass noch
während ihres Auftritts das Requisit für den nächsten Künstler
aufgebaut wurde, hat man – wie nahezu alle Umbauten – gar nicht
mitbekommen. So perfekt läuft diese Show ab.
Roman Kaperskiy
Auf vier sehr
langen, verschiebbaren Stangen zeigt Roman Kaperskiy seine
Handstand-Equilibristik. Verdammt cool drückt der muskulöse
Russe seine Handstände. Jugendlich locker präsentieren sich nach
einer weiteren Einlage des Balletts auch die beiden Anastasini
Brothers. 13 und 21 Jahre jung sind die beiden Newcomer in der
Ikarier-Szene, von denen man noch hören wird. Sie beenden ihre
höchst sympahtisch verkaufte Show auf der Trinka mit einem
doppelten und sofort danach 25 einfachen Salti. Was folgt ist
das, was bei Didi Hallervorden der „gespielte Witz“ war.
Hobby-Weihnachtsmann Roli trifft auf Gaston, um mit diesem ein
perfektes Bescherungs-Ritual einzustudieren. Die beiden sind in
Sachen Mimik, Timing und Wortwitz so schnell nicht zu schlagen.
Ich jedenfalls habe gelacht wie selten im Circus.
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