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Da Capos Cult - 2010
www.dacapo-variete.de ; 40 Showfotos

Darmstadt, 1. Dezember 2010: Da Capo ist erwachsen geworden. Zumindest, was das Erreichen der hierzulande dafür notwendigen Altersgrenze angeht. Seit nunmehr 18 Jahren präsentiert James Jungeli seinem Darmstädter Publikum pünktlich zur Vorweihnachtszeit eine neue Show in seinen Zeltpalästen. Nicht nur die haben sich in diesem Zeitraum des öfteren verändert, auch deren Inhalt, sprich die Shows, mit denen Jungeli und sein Team ihr Publikum unterhalten. Insbesondere diese Kreativität ist es, die die Leistung, ein solches Unternehmen so lange zu führen, besonders macht.

Da Capo ist Kult, in diesem Jahr sogar „Cult“. Denn so lautet der Titel der Produktion 2010/2011. „Cult“ steht dabei für „Cool und Kult“, so Jungeli. Ist aus dem vergangenen Jahr noch die Sängerin als musikalisches Highlight in Erinnerung, so herrschen nun rockige Balalaika-Klänge vor. Gab es vor zwölf Monaten noch eine Vielzahl verschiedener Solo- und Ensembleartisten, so bestreitet nun eine einzige Truppe den Hauptteil der Show. Und natürlich ist auch das Programm 2011/2012 bereits in Jungelis Kopf entstanden. Es geht also weiter.


Iana Zaiets und Andrii Matviienko, Bingo-Ensemble

Doch bleiben wir bei der aktuellen Show, bei Cult also. Im Mittelpunkt steht die Truppe Bingo aus der Ukraine. Und zwar im Kern jenes Team, das auf Saison 2010 beim Schweizer Nationalcircus Knie zu sehen war. Für die Darmstädter Produktion sind noch ein paar Mitglieder hinzugekommen. Sie übernehmen nicht nur den Löwenanteil der Darbietungen, sondern sorgen ebenfalls für die Gesamtinszenierung. Wobei anzumerken ist, dass es hierzulande eine Variante von „Cult“ bereits 2009 im Friedrichsbau in Stuttgart zu sehen gab. Die Musik ist für unsere Ohren sehr exotisch, denn die Band besteht aus drei Jungs mit E-Balalaikas und einem Akkordeon-Spieler. Ein Schlagzeuger ist ebenfalls mit von der Partie. Da der Sound bei der Premiere noch einen Tick zu laut ist, beanspruchen die zumeist sehr rockigen Stücke das Gehör ordentlich. Doch gerade die bekannten Titel wirken in der Balalaika-Version wahlweise besonders mitreißend („Black or White“ von Michael Jackson) oder ergreifend („My heart will go on“ von Celine Dion). Bei den weiteren Vorstellungen wurde die Lautstärke übrigens schon reduziert. Nur selten lösen Originalstücke die Livemusik ab. Dies gilt beispielsweise für die Rahmenhandlung, in dem die Liebesgeschichte zweier junger Menschen (Iana Zaiets und Andrii Matviienko) mittels ausdrucksstarkem akrobatischem Tanz erzählt wird. Was für die beiden Tänzer gilt, gilt für alle Mitglieder von Bingo, weiblich wie männlich: Sie sind jung, sie sind richtige Persönlichkeiten und sie sehen einfach blendend aus. So ist es eine wahre Freude, Ihnen bei den Ensembleszenen, besonders aber den verschiedensten artistischen Disziplinen zuzusehen.


Stanislaus Pryvalov

Victor und Viktoriya Kosnirov beherrschen die der Jonglage. Die Geschwister haben sich außergewöhnliche Requisiten ausgesucht, denn sie jonglieren mit langen Stäben, die an beiden Enden mit Kugeln versehen sind. Maryna Tkachenko und Oleksandr Krachun nutzen bei ihrer Kür am Duo-Trapez den hohen Raum über der großzügig dimensionierten Bühne. Die Nummer vor der Pause ist ideal besetzt mit der Handstand-Equilibristik von Anastasia Lomachenko und Mykhailo Romanenko. Die beiden jungen Artisten zeigen eine kraftvolle Partnerarbeit und machen dabei einfach eine verdammt gute Figur. Das Zuschauen ist schlichtweg ein Genuss. Sehr stark von der anrührenden Titanic-Titelmelodie lebt die Strapaten-Kür von Stanislaus Pryvalov, bei der er von einer Tänzerin umgarnt wird, die ihn auch kurz in die Luft begleitet. Natürlich lastet der Celine Dion-Schnulze immer ein Hauch von Kitsch an. Aber gerade zum Circus bzw. Variete gehören derartige Szenen, wie eben zum Kino, einfach dazu. Die Nummer verfehlt ihre Wirkung beim Publikum jedenfalls keineswegs. Ein Einrad, zwei Brüder: Das ist das Duo Unicycle aus Moldawien, welches viele artistischen Kabinettstückchen auf einem Rad zeigt. Bereits im Knie-Programm 2010 hatte Daria Shcherbyna ihre Soloauftritt. Auch bei Da Capo verblüfft die Kontorsionistin mit der abgefahrenen Irokesenfrisur das Publikum. Ihre Körperbeherrschung ist immer wieder beeindruckend. Zudem lockt sie von den Plakaten zum Besuch der Show. Eröffnungs- und Schlussnummer sowie die komischen Zwischenspiele sind aus Bingo-Sicht „extern besetzt“.

Sprich, hierfür wurden Artisten engagiert, die nicht zu dieser Truppe gehören. Die erste Darbietung gehört Egorov und Hoy (Duo Crossroads), welche „mit verbundenen Augen“ auf zwei über Kreuz aufgestellten Schlappseilen agieren. Ob sie nun wirklich nichts sehen, sei dahingestellt. Ihre Darbietung jedenfalls ist höchst originell und leistungsstark. Das gilt ebenfalls für die des Trio Tereshchenko am Fangstuhl. Kraftvoll schmeisst Roman Tereshchenko seine beiden Partnerinnen Elena und Anna in die Luft, um diese nach ihren Drehungen wieder sicher aufzufangen. Sowohl Egorov und Hoy als auch die Tereshchenkos sind jugendliche, sympathische Artisten, womit sie perfekt zu Bingo passen.


Egorov und Hoy, Niels Weberling, Trio Tereshchenko

Nicht ganz trifft dies auf den Pantomimen Niels Weberling zu. Jung ist er, aber ein ganz schräger Vogel, dabei aber nicht unsympathisch. Sein Aussehen erinnert ein wenig an „Maddin“ Schneider, wobei man (für ihn) hofft, dass die Augenstellung nur gespielt ist. Was er in Sachen Pantomime draufhat, ist schon große Klasse. Gleich sein Spiel mit einer Flasche zu Beginn fasziniert. Die weiteren Auftritte tun dies ebenfalls, zumal hier Dinge gezeigt werden, die man nicht in jedem zweiten Circus bzw. Variete sieht. Das Finale wird eingeleitet mit Seilspringen in den verschiedensten Varianten. Die ganze Truppe Bingo ist auf den Beinen. Dazu erklingt eine rockige Version von „Black or White“. Das geht richtig ab, reißt mit. Und doch lässt sich das Publikum davon nur zu einem gewissen Grad beeindrucken. Das mag zu einem guten Teil daran liegen, dass viele Firmen Da Capo für ihre Weihnachtsfeier nutzen und die Mitarbeiter die Show nur als „Nebensache“ zum servierten Essen und dem Plausch mit den Kollegen sehen.

 Ganz gewiss liegt es aber nicht an der Show selbst. Denn die ist rockig, mitreissend und artistisch stark. Vor allen Dingen ist sie komplett andersartig als die des letzten Jahres. Und ganz sicher wird die nächste Produktion wieder völlig neuartig sein. Wir jedenfalls sind schon sehr gespannt, mit was uns Da Capo 2011/2012 überraschen wird.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch