Ebenso beim
Finale, wenn mittels Gebläse Klopapierrollen abgewickelt werden
und die Papierbahnen ins Publikum fliegen. Auch Ambiente und
Lichtdesign erinnern an „alte Zeiten“, die doch erst ein knappes
halbes Jahr her sind. Mit Tatjana Kastein, Alexander Xelo, Yulia
Galenchyk und dem Duo Vanegas sind fünf Lieblinge aus den
vergangenen Flic Flac-Jahren im Programm. Wie von Flic Flac
gewohnt, sind (nahezu) alle engagierten Darbietungen von hoher
Qualität und geben so zusammen ein äußerst starkes Programm ab,
Nervenkitzel inklusive.
Alain Alegria,
Yulia Galenchyk, Duo Vanegas
Dafür sorgt gleich
zu Beginn Alain Alegria, der mit seinem Washington-Trapez bis
ganz unter die Kuppel gezogen wird und somit in außergewöhnlich
großer Höhe arbeitet. Seine Balancen auf dem ruhenden und
schwingenden Trapez sind ohnehin sehr riskant. Durch die große
Entfernung zum Boden wird der Effekt nochmals gesteigert. Die
Zuschauer sind so von Anfang an mit großer Begeisterung dabei.
Ein hohes Risiko gehen auch die beiden Kolumbianer des Duo
Vanegas ein. Auf ihrem Todesrad drehen sie aberwitzige Runden.
Gekrönt wird ihre Arbeit von dem zweimal gezeigten Salto auf dem
rotierenden Außenrad. Wenngleich die Arbeit auf mich im
kleineren Chapiteau des Cirque Alexandre Bouglione kürzlich noch
intensiver gewirkt hat, geht das Publikum auch in Kassel enorm
mit. Effektvoll, aber nicht ganz so gefährlich da mittels Longen
gesichert, ist die Kür des Duo Pisarev am Trapez. Er trägt zum
weißen Hemd eine zerrissene Jeans, sie ein weißes Kleid, dazu
erklingt düstere Musik. Die Anpassung der Präsentation auf Flic
Flac ist unübersehbar. Bereits in der letzten Produktion „ARTgerecht“
dort zu sehen war Yulia Galenchyk. Mit ihrer Arbeit am Netz, das
sie wie Vertikaltücher in verschiedenen Varianten einsetzt,
begibt auch sie sich unter die Kuppel des Chapiteau, um dort mit
ihren elegant gearbeiteten Tricks zu begeistern.
Truppe Borzovi,
Peking-Truppe, Truppe Ruban
Die Riege der
Luftnummer wird von den Borzovi komplettiert. Die acht Russen
haben wir seit 1995 beim Circus Krone erleben dürfen. Zunächst
noch innovativ, spektakulär, wurde daraus zum Schluss eine
normale Flugtrapeznummer, zu der der opulente, bombastische
Verkauf nicht mehr so recht passen wollte. In Kassel nun
präsentieren sich die acht Russen mit neuem Schwung. Der Beginn
ihrer Show erinnert an ihre Ursprungsnummer, wenn nämlich eine
Artistin mit einem Ring um die Hüfte von oben nach unten schwebt
und eine Kollegin unter die Kuppel befördert. Der Fangstuhl über
dem Flugtrapez wird nur am Beginn kurz genutzt, von der
russischen Schaukel gibt es einen langen Sprung. Ansonsten wird
das Repertoire einer guten Flugtrapeznummer gezeigt, Dreifacher
inklusive. Die Passage gibt es leider nicht. Das alles wurde im
Gegensatz zu ihren letzten Auftritten bei Krone flotter
vorgetragen. Dazu weiße Kostüme mit Neon-Applikationen und Musik
im bekannten Borzovi-Stil. Neben den Borzovi beinhaltet das
Programm zwei weitere große Truppen. Die Ruban präsentieren ihre
Schleuderbrett-Artistik höchst ungewöhnlich im Disko-Stil der
1970er Jahre. Die neun jungen Artisten, eine Dame inklusive,
katapultieren sich in bunten Fransenkostümen mit Schlaghosen zu
„Dancing Queen“ von Abba und weiteren Diskoknallern wie “Daddy
Cool“ durch die Luft. Dazwischen machen sie Seifenblasen,
während aus den Lautsprechern „Thank you for the music“
erklingt. Artistisch glänzen sie vor allen Dingen durch sehr
hohe Sprünge mit zig Salti, welche auf einer Matte gelandet
werden. Sprünge, die auf einem Menschenturm gefangen werden,
haben sie ebenfalls im Repertoire. Ganz klassisch im Verkauf
agieren hingegen die zwölf Mitglieder der „Peking Truppe“ mit
ihrer Schalenpagode. Die Chinesen beenden das Programm mit ihren
schier unglaublichen Handvoltigen, wobei die Mädchen während der
Sprünge von Partner zu Partner kleine Schälchen mit den Füßen
balancieren. Stimmungsvoll ergänzt werden die großen Szenen der
gesamten Truppe von der Equilibristik eines Paares.
Stand
Flights |
Zu fünft
präsentieren sich die Utkin am Quadratreck. Die
kraftvollen Sprünge werden sicher ausgeführt. Etwas
wackeliger erscheinen da die Menschenpyramiden und
Handvoltigen der vier „Stand Flights“. Mit ähnlichen
Formationen wie „Atlantis“ oder „Crazy flight“ können sie
(noch) nicht ganz mithalten. Drei Solisten komplettieren
den artistischen Bereich. Tatjana Kastein sorgt mit ihrer
Equilibristik über einer Spiegelfläche für den ruhigsten,
romantischsten Programmpunkt. Alexander Xelo nutzt
geschickt den gesamten Raum bis unter die hohe Kuppel.
Neben der Jonglage von vier Diabolos sorgt vor allen
Dingen das Spiel im Dunkel mit zwei beleuchteten Diabolos
für hörbare Begeisterung auf den steil abfallenden Rängen.
Nicht ganz in den Rahmen passen mag die Kür auf dem
Drahtseil von Kilian Caso. Seine Nummer, bei der er
zunächst die rote Clownsnase am Seil abstreift, ist zu
verkopft angelegt. Artistisch legt er gleich mit einem
Rückwärtssalto, was hohe Erwartungen für den Rest seiner
Show weckt. Es folgt unter anderem Seiltanz sowie ein
kraftvoll gesprungener Flic Flac. Doch den Vorwärtssalto
steht der junge Franzose an diesem Nachmittag nicht.
Weitaus besser meinen Geschmack trifft Justin Case. Der
australische Komiker hat es mit den Fahrrädern. Einen
Drahtesel in Originalgröße zerlegt er und baut ihn in den
aberwitzigsten - aber voll fahrtüchtigen - Kombinationen
wieder zusammen. |
Alexander Xelo, Justin Case,
Tatjana Kastein
Auch ein
Freiwilliger aus dem Publikum muss als lebendes Hindernis
herhalten, wobei er von Case in einer herrlichen Mischung aus
Englisch und abgelesenem Deutsch auf die Bühne gebeten wird. Den
größten Applaus erhält er aber für seine Touren auf winzigsten
Fahrrädern mit und ohne Feuer-Effekten. Ebenfalls für
Erheiterung soll Parodist und Comedian Christian Schiffer
sorgen. Er imitiert Promis wie Angela Merkel, Franz Beckenbauer
oder Oliver Kahn. Wen er da gerade nachmacht, wird oftmals erst
durch die Inhalte seiner Stand ups klar, nicht durch die Stimme
selbst. Ich fand seine Auftritte nur bedingt witzig, kein
Vergleich jedenfalls zu Dave Davis im Vorjahr. Schiffer hat
zudem die Aufgabe, Flic Flac-Basecaps ins Publikum zu werfen und
so die Mitglieder der Jury zu bestimmen. Denn die drei
Preisträger dieses Festivals werden wiederum von den Zuschauern
gewählt. Und das ist auch in diesem Jahr wieder keine leichte
Aufgabe. Nahezu alle Nummern bewegen sich auf höchstem Niveau.
Hinzu kommen viele sympathische Artisten. Ich jedenfalls bin
sehr gespannt, wer am Ende zu den Publikumslieblingen gehört.
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