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Cirque Pinder - Paris 2010
www.cirquepinder.com

Paris, 10. Dezember 2010: Keine Frage, nominell gesehen zeigte der Cirque Pinder auch in diesem Jahr wieder das stärkste Programm, das es in der Weihnachtszeit in Paris zu sehen gab. Meinen Geschmack traf die Show, die dem klassischen circensischen Dreiklang huldigt und alle relevanten Großtierarten in die Manege bringt, aber auch heuer nicht. Was in erster Linie an der Art der Präsentation liegt, die Wohlmeinende als schnörkellos oder puristisch bezeichnen würden, ich dagegen empfand sie als „uninspiriert“. Geradezu fabrikmäßig läuft das Programm ab.

Selbst der wortgewandte Sprechstallmeister Frederic Colnot scheint gelegentlich gelangweilt von seinen eigenen Endlosansagen. Ein Lichtblick im wahrsten Sinne des Wortes ist dagegen die opulente Lichtanlage. Doch was nützt das beste Licht, wenn der krude Musik-Mix weiterhin nur in gedämpfter Lautstärke aus der Konserve plätschert und Atmosphäre in dem gigantischen rund 5000  Zuschauer fassenden Sechsmaster nur selten aufkommen will. Natürlich erinnert Pinder schon allein wegen seiner schieren Größe (Zeltanlagen, Material, Fuhrpark, Mitarbeiter) an die Großcircusse der Vergangenheit. Über eine zähe Show mag mich aber auch das nicht hinwegtrösten.


Gaby Dew, Kasbek Khadikov, Frederic Edelstein

Spektakulär eröffnet wird die fast dreistündige Show von Frederic Edelstein und seinen 16 Raubkatzen. Besonders beeindruckend ist immer wieder der Sprung Edelsteins auf einen Teppich aus zwölf Löwen. In Paris assistierte Edelstein zudem Sacha Houcke bei der Vorführung der beiden Pinder-Elefanten. Houcke wiederum zeigt zusätzlich einen großen Exotenzug, dessen Höhepunkt ein Karussell mit Eseln, Lamas, Kamelen,  Zebras und Fjordpferden ist. Für einen besonders schönen Moment des Programms sorgt zudem Gaby Dew, die ihre neun Pferde mit wunderbar ruhiger Hand zu schwierigen Lauffiguren (u.a. einem Karussell auf drei Bahnen) anleitet. Pferdestärken beschließen letztlich auch das diesjährige Pinder-Programm in Paris: Die Dschigitenreiterei  der Truppe Kasbek Khadikov ist als Schlussnummer platziert. Leider entfaltet diese rasante Darbietung aufgrund der viel zu leise abgespielten Bandmusik nicht ihren sonst üblichen Drive.


Zhukov-Truppe, Akaena, Shaolin-Mönche

Stark besetzt ist auch der artistische Part der Pinder-Show. Herausragend ist das Flugtrapez der chinesischen Truppe Qiqihaer: Vier Fänger und vier Flieger (zwei Damen, zwei Herren) zeigen vielfältige Pirouetten, Salti und Passagen. Manegenfüllend ist auch der Auftritt der Zhukov-Truppe, die ihre Sprünge von einer russischen Schaukel zur anderen im martialischen Outfit postmoderner Stammeskrieger präsentiert. Fünf junge Shaolin-Mönche zeigen zudem interessante Tricks des Genres. So lässt sich einer der chinesischen Artisten auf vier Speerspitzen ablegen. Doch auch die Solo-Artisten können sich sehen lassen: Der Käfigabbau etwa wird von der kubanischen Artistin Akaena am Ringtrapez überbrückt. Ihr folgt Jongleur Michael Olivares, der sein Geschick mit Bällen, Bumerangs und Keulen unter Beweis stellt. Gemeinsam mit Bruder und Vater bildet Michael auch das Clownstrio Nicols, das zusammen mit Frederic Colnot das Wasserentree in einer ziemlich hektischen Version zum Besten gibt. Ein Höhepunkt des Programms ist dafür Jahr für Jahr die Magicshow von Sophie Edelstein, die mannigfaltige Großillusionen in glamouröser Aufmachung präsentiert. Statt den sonst üblichen sexy Assistentinnen wird Edelstein von fünf attraktiven, meist oberkörperfrei agierenden Mannsbildern unterstützt.

Zum Finale ist die Pinder-Manege dann fast komplett mit Artisten gefüllt. Zweifelsfrei ein beeindruckendes Bild, das erneute unterstreicht, dass bei Pinder vor allem „big is beautiful“ gilt. Gleichzeitig belegt die improvisiert wirkende Choreographie des Finales, bei dem zunächst sexy Weihnachtsfrauen auf einem Schlitten kommen und dann alle Artisten zu Shakiras „Waka waka“ noch einmal einzeln vorgestellt werden, dass man bei Pinder nicht wirklich Wert, auf eine durchdacht gestaltete Circusshow legt. Womit wir wieder bei meiner Einschätzung vom Anfang wären: Schiere Größe kann - zumindest mich - nicht über eine uninspirierte Show hinwegtäuschen.

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Text: Sven Rindfleisch; Fotos: Stefan Gierisch