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Weltweihnachtscircus Stuttgart 2010
www.weltweihnachtscircus.de

Stuttgart, 23. Dezember 2010: Ohne Frage zeigt der Stuttgarter Weltweihnachtscircus wieder die „Besten der Besten“. Keine Circusproduktion dürfte aktuell teurer, sprich hochkarätiger besetzt sein. Stardust International hat es mal wieder geschafft, viele der gefragtesten Darbietungen unserer Tage einzukaufen und für ein paar Wochen ins Schwäbische zu holen. Und die Stuttgarter wissen, was sie an ihrem Weltweihnachtscircus haben. In Scharen strömen sie auf den Canstatter Wasen, sind bereit, vergleichsweise hohe Eintrittspreise zu bezahlen und sie feiern die riesige Anzahl an Künstlern in der Manege frenetisch.

Dennoch bleiben nach dem Besuch im neuen, großzügigen Zeltpalast Fragen: Warum legen die Veranstalter so wenig Wert darauf, eine typische Circusatmosphäre zu erzeugen? Hätte die Platzierung der Darbietungen nicht insgesamt sinnvoller geschehen können? Müssen längere, nur musikalisch „untermalte“ Umbaupausen wirklich sein? Last not least: Kann bei einer solch hochwertigen Produktion nicht ein Gradin eingesetzt werden, welches auf das Chapiteau abgestimmt ist und somit Plätze hinter den Hauptmasten (weitgehend) vermeidet?


Globe of Death, Truppe aus Kunming, Truppe Vorobiev

Clowns, andere Preise bei Circusfestivals und Rekorde sind nach wie vor die Hauptkriterien für ein Engagement in Stuttgart. Mit einem Weltrekord startet die Show auch sodann. Durch die von Flic Flac bekannte Todeskugel sausen bis zu acht Motorradfahrer und zeigen dabei sogar noch Figuren. Das Publikum feiert sie begeistert. Die neue Darbietung am fliegenden Trapez aus Nordkorea beinhaltet – natürlich - einen Vierfachen, der sicher gelingt. Drei Fänger sind im Einsatz und garantieren so eine wahre Flugschau mit vielen spannenden Touren über mehrere Stationen. Gesprungen wird von der Brücke und von einer russischen Schaukel darunter. Als die „meist preisgekrönte Nummer des Russischen Staatszirkus“ kündigt das Programmheft die Perche-Darbietung der Truppe Sarach an. Letztendlich zeigen sie nur zwei, wenn auch sehr spektakuläre Tricks, an der Schulterperche. Waren sie im letzten Jahr in Dresden noch in der Aufmachung typischer Artisten aus dem Ostblock zu sehen, tragen die Russen jetzt Mozartkostüme mit passenden Perücken. Die Musik ist ebenfalls von Mozart. Auf dem Weg nach Monte Carlo ist die Truppe des Großen Chinesischen Staatscircus Kunming welche ihre nach bekannt strenger chinesischer Choreographie inszenierte Artistik auf Glühbirnen zeigt. Die Balancetricks sind schon großartig, durch die Kombination mit brennenden Glühbirnen gewinnen sie einen besonderen Reiz. Faszinierend ist ihr Schlusstrick, ein Turm über vier Etagen, wobei die beiden Unterfrauen mit den Zehenspitzen auf Glühbirnen stehen. Ebenfalls im Januar 2011 in Monte Carlo zu erleben ist die Truppe Vorobiev. An der russischen Schaukel zeigen die zehn Akteure Tricks, die meines Erachtens nicht wesentlich über das Repertoire andere Truppen an diesem Requisit hinausgehen. Die fliegenden Meteore aus China haben wir im Saisonprogramm 2010 des Schweizer Nationalcircus Knie gesehen. Auch in Stuttgart zeigen die Artisten ihre Kombination aus Jonglage und Akrobatik.


Dominic Lacasse, Laura Miller, Encho Keryazov

Von Roncalli kennen wir den muskelbepackten Handstand-Heroen Encho Keryazov. Er zelebriert seine in Monte Carlo mit Silber prämierte Kür geradezu und erntet damit wahre Ovationen. Ebenfalls auf seine Körperkraft verlassen kann sich Dominic Lacasse, der seine originelle Akrobatik am Masten sehr sympathisch verkauft. Laura Miller sorgt mit ihrer Show in der Luft (Luftring) und im Wasser für den wohl ausgelassensten, fetzigsten Part des artistischen Teils. Die beiden rein artistischen Duos wurden in Monte Carlo jeweils mit einem Goldenen Clown ausgezeichnet. „Flight of Passion“ beeindrucken mit riskanten Flugsequenzen an den Strapaten. Schier unglaublich sind die vom männlichen Part mit den Zähnen gehaltenen Tricks ebenso wie die Szene, in der Dimitri Grygorow an einem Fuß von Olesia Shulga hängt, während diese einen Spagat in vertikaler Richtung zeigt. Aus dem Knie-Programm 2010 entnommen ist die dynamische Präsentation der ikarischen Spiele der Fratelli Errani. Die im Programmheft ebenfalls angekündigten Gebrüder Huesca erleben wir an diesem Abend nicht.


Fredy Knie junior, Roland Duss, Maycol Errani

Als „größtes Exotentableau der Welt“ wird die Dressurnummer mit Kamelen, Zebras, Guanakos und Rindern von Maycol Errani angekündigt. Mag Stardust die Anzahl der Tiere wichtig sein, mich begeistern vor allem die wunderbaren Tricks der herrlich gepflegten Tiere. Anspruchsvollste Figuren arbeiten auch die Freiheitspferde unter Anleitung von Fredy Knie junior. Es handelt sich hierbei um die wunderschöne Choreographie aus dem letzten Saisonprogramm. Wenngleich an diesem Abend nicht alles reibungslos läuft, ist der Beifall dennoch gewaltig. Völlig zu recht gefeiert werden ebenfalls die vier Seelöwen von Petra und Roland Duss für ihre Vorführung voller Tempo und anspruchsvollster Tricks. Das Zuschauen bei den Dressuren dieser bereits zweimal mit einem Silbernen Clown ausgezeichneten Tierlehrer bereitet immer wieder allergrößtes Vergnügen. Die komische Wirkung steht auch beim Duo Kalachev und ihrer Kür am Vertikalseil im Vordergrund, welche von einem, zuletzt sogar mehreren Hunden gestört wird. Rein auf die Komik setzen die in Stuttgart – der herzliche Begrüßungsapplaus zeigt es – bestens bekannten Fumagalli und Daris Huesca. Sie führen das Box-Entree auf und zwei ebenfalls bei Knie 2010 gezeigte Zwischenspiele.


Truppe Sarach

Soweit also das beeindruckende Line up. Wer wissen will, was in der Circuswelt gerade ganz hoch im Kurs steht, ist in Stuttgart gut aufgehoben. Wer an einer stimmigen Circusshow interessiert ist, allerdings weniger. Die Abfolge der Nummern hätte durchaus geschickter sein können. Die Motorradkugel zum Auftakt ist sicherlich ein fulminanter Start, die Duo-Darbietung „Flight of Passion“ nicht unbedingt die sinnvollste Schlussnummer. Das Programmheft weist gar die nicht eben aufsehenerregende russsiche Schaukel der Vorobiev als letzten Programmpunkt aus. Da gibt es im Programm weitaus attraktivere Acts, um diese Show der Superlative zu beenden. Fragwürdig ist des weiteren, warum im ersten Teil mit der Familie Duss, den Kalachev und zwei Fumagalli-Nummern gleich vier humorbetonte Nummern gebracht werden, nach der Pause aber nur eine kurze Reprise von Fumagalli und Daris Huesca für Lacher sorgt. Der durchgehende Einsatz von Live-Musik kann die Wirkung eines Programms deutlich steigern. Wir durften es am Abend vorher in Heilbronn einmal mehr par excellence erleben. In diesem Jahr sitzt in Stuttgart Markus Jaichner mit einer Vielzahl von hervorragenden Musikern über dem Artisteneingang. Allerdings spielen sie nur zu einem gewissen Teil der Nummern und das auch noch relativ leise. Die weitere musikalische Unterstützung kommt dann eben aus der Konserve. Das scheint beim Veranstalter niemanden zu stören und ist eben so.

Die Moderationen von Peter Goesmann zeugen von wenig Enthusiasmus für die von ihm angesagten Darbietungen. Seine monotonen Aufsager passen eher weniger zu einer glitzernden Circusshow. Dass man einen Sprechstallmeister, genauso wie einen (Reprisen-)Clown, geschickt zur Überbrückung von Umbaupausen einsetzen kann, scheint in Stuttgart nur bedingt angekommen zu sein. Mindestens zweimal in der Show ist es einfach nur Dunkel; die Musik spielt dazu. Wenn dann die, zugegebenermaßen teilweise recht aufwendigen, Umbauten beendet sind, verzögert die erst danach einsetzende Ansage den Beginn der nächsten Nummer zusätzlich.

Abschließend danken wir Stardust Circus International dafür, dass das Chapiteau von Gitter- und nicht von Stahlrohrmasten getragen wird. Sonst hätten wir, wie zig andere Zuschauer, noch weniger von der Show gesehen. Denn etliche der nicht eben billigen Sitzplätze befinden sich hinter den Hauptmasten. Bei einer solch hochwertigen „Traditionsveranstaltung“ (Zitat des Veranstalters) sollte ein optimales Erleben der Show von allen Sitzplätzen aus eigentlich selbstverständlich sein.

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Text: Stefan Gierisch; Fotos: Tobias Erber