Traditionell hat der Cirque National Alexis Gruss seine
schneeweißen Zeltanlagen für fünf Monate im Bois de Boulogne in
Paris aufgeschlagen. Für die neue Produktion „Ellipse“ wurde der
Artisteneingang komplett verändert: Das bislang fast ebenerdig
platzierte, elfköpfige und erstklassige Orchester unter Sylvain
Rolland thront nun weit über dem Geschehen auf einer um 360 Grad
drehbaren Rotunde, die Artisteneingang und Leinwand zugleich
ist. Mit moderner Projektionstechnik können Bilder und Videos
sowohl auf die nach außen gewölbte Wand des verschlossenen
Eingangs wie auch auf die nach innen gewölbte Rückwand der
geöffneten Konstruktion geworfen werden. Wieder liegt sie Show
fast ausschließlich in den Händen der vielseitig talentierten
Familie Gruss. In der Manege stehen Prinzipal Alexis und seine
Frau Gipsy Gruss sowie ihre Kinder mit ihren Partnern und dem
eigenen Nachwuchs: Stephan und Nathalie Gruss mit ihren vier
Söhnen Charles, Alexandre, Louis und Joseph Gruss, Firmin Gruss
sowie Maud Florees (geb. Gruss) mit Ehemann Tony. Tony Florees’
Schwester Sarah und, nunmehr in der vierten Saison, Francesco
Fratellini sowie erstmals vier professionelle Tänzerinnen und
Tänzer ergänzen das Ensemble.
Filmmusik-Medley, Scream, "Kleopatra"-Ballett
Im Prolog
der 39. Création Gruss seilt sich „Geheimagent“ Firmin Gruss in
einer „Mission Impossible“ kopfüber aus der Zeltkuppel in eine
rote Telefonzelle ab, die er von oben entert. Damit beginnt die
konsequent bis zum Finale durchgehaltene Reise durch die
Filmgeschichte, die zunächst nach Äpypten führt: Gipsy Gruss
reitet als „Kleopatra“ die Hohe Schule auf dem Hengst Iguera,
umtanzt vom Ballett. Viele Jahrhunderte vorwärts geht es dann
für „Scream“: Drei Jungs schauen nichts ahnend einen Horrorfilm
in einer Wohnzimmer-Szenerie mit Sofa und TV-Gerät, als
plötzlich eine Schreckgestalt mit der markanten Maske erscheint
– darin steckt Sarah Florees, die hier in einer Art „Mensch oder
Puppe“-Variante ihre Biegsamkeit demonstriert. Ihre große
Musikalität beweist die gesamte Familie Gruss – von Alexis Gruss
bis zum jüngsten Enkel Joseph – im ‚Le Grand Medley des musiques
de films‘. Melodien aus Filmen wie "Borsalino" und "Pulp Fiction"
über "Indiana Jones" bis zu den "Blues Brothers" ertönen auf den
verschiedensten Instrumenten. Das Thema des Kinderfilms
„Polarexpress“ aus dem Jahr 2004 wird für die Antipodennummer
von „Weihnachtsfrau“ Nathalie Gruss aufgegriffen: Eine Lok zieht
zwei Eisenbahnwagen, von denen einer die Trinka und ein zweiter
die Requisiten transportiert. Fröhlich umtanzt vom Ensemble,
wirbelt Nathalie Gruss eine Walze und vier Bälle, aber auch ein
großes Spielzeugauto, ein Stofftier, eine Spiegelkugel und ein
Feuerrad mit den Füßen durch die Luft.
Francesco
Fratellini, Alexis Gruss mit Tänzerin, Maud Gruss
„Butch &
the kid are back“ heißt es in Anlehnung an einen
Western-Klassiker bei der Nummer von Francesco Fratellini, der
seine Angebetete zunächst auf der grünen Wiese in einer
Filmeinspielung, dann in der Manege beeindrucken will, so dass
eigens gedrehte Filmsequenzen und das live Gezeigte
verschmelzen. Auf einem Fahrrad hüpft Francesco die Stufen
seines Requisits hinauf. Oben stellt er das Fahrrad sogar noch
auf zwei kleine Podeste, um u.a. auf dem Vorderreifen dieser
fragilen Konstruktion stehend mit Ringen zu jonglieren – eine
zugleich beeindruckende wie kreative Leistung. Tschaikowskys
weltberühmtes Ballett „Schwanensee“ und die Filmadaption „Black
Swan“ aus dem Jahr 2010 standen Pate für einen wunderschönen
Moment des Programms: Zunächst tanzt eine Ballerina in weiß
(Mathilde Francoise) vor ihrem „Spiegelbild“ – nämlich
Videosequenzen von sich selbst auf der Leinwand –, dann zur
Hohen Schule von Prinzipal Alexis Gruss, der ganz in Schwarz auf
seinem dunklen Pferd reitet. In der heiteren Episode „Zorro“
streiten sich der Protagonist und sein Kontrahent in einer
Fechtszene um eine schöne Frau, bis sich „Regisseur“ Firmin
Gruss bei diesem „Filmdreh“ einmischt und alles anders haben
möchte. An den Filmpionier Georges Méliès und seinen
berühmtesten Film „Die Reise zum Mond“ erinnert Louis Gruss bei
seiner kurzen Jagd nach dem Lichtstrahl. Die bezaubernd schöne
Maud Florees in blauer Robe dirigiert anschließend höchst
elegant sieben herrliche Friesen durch eine Freiheitsdressur,
während im Hintergrund blauer Ozean und springende Delfine auf
der Leinwand zu sehen sind – eine Reminiszenz an das
Unterwasser-Epos „Le Grand Bleu“ von Luc Besson. „Der Herr der
Ringe“ lieferte schließlich die Vorlage für die Pausennummer:
Stephan Gruss zeigt zusammen mit seinen beiden Söhnen Charles
und Alexandre rasante Jonglagen zu Pferd – dies alles in
horrendem Tempo. Jonglagen mit fünf Keulen gleichzeitig auf drei
Pferden oder Gruppenjonglagen zu dritt auf drei Pferden wie bei
der Jockeyreitere sind die Höhepunkte vor der Pause.
Maud
und Tony Florees, Nathalie Gruss, Firmin Gruss und Francesco
Fratellini
Im Stil
vom „Matrix“, mit effektvoller Beleuchtung und Ballett, werden
nach der Pause die Jonglagen von Tony Florees mit Ringen, Bällen
und Keulen aufgemacht. Auf die Spuren des Comic-Fabelwesens
Marsupilami geht Louis Gruss in seiner Rola Rola Nummer,
assistiert von seinem jüngeren Bruder Joseph als ‚Marsupilami‘.
Joseph zeigt dabei schon einige Diabolotricks. „Der Pate“, eines
der ganz großen Werke der Filmgeschichte, ist der Titel einer
witzigen Szene um einen Filmdreh. Auf Anweisung des Regisseurs
müssen die beiden Gangster ihre Szene, bei der sie sich
gegenseitig umbringen, noch mal ganz langsam nachspielen –
inklusive im Zeitlupentempo fliegender Pistolenkugel. Nach einer
mystischen Einleitung, bei welcher Nathalie Gruss von Vampieren
verfolgt und schließlich durch den Biss in den Hals ebenfalls zu
einem wird, zeigt sie eine Luftnummer an einer Art Strapaten und
nützt dabei den Raum zwischen Manege und Kuppel geschickt aus.
Das kurze Glockenspiel von Louis Gruss steht unter dem Motto des
US-Filmdramas „Elephant Man“ und leitet über zur doppelten Hohen
Schule von Maud und Tony Florees, die hier zum Film-Thema
„Havanna“ und mit entsprechendem Flair äußerst synchron über
kleine Hürden reiten. Der französische Film „The Artist“, 2012
mit fünf Oscars (u.a. „Bester Film“) geehrt, war Vorlage für den
großen Auftritt des „Maitre Éyucer“ Alexis Gruss im schwarzen
Frack. Zunächst durchbricht ein Pferd eine Papierleinwand, dann
zeigen weitere edle Hengste verschiedener Rassen diverse Steiger
und in Dreierformation Elemente der Freiheitsdressur wie z.B.
das Flechten.
Maud und Firmin
Gruss
Ausgerechnet ein französisches Filmdrama, das im Deutschen den
Titel „Der Löwe“ trägt, liefert den Titel für Firmin Gruss’ neue
Dressur mit Elefantin Syndha: Der Dickhäuter ist heuer in einem
außergewöhnlichen Groß und Klein mit einem Pony zu sehen, das
nicht nur eine Acht zwischen den Elefantenbeinen läuft, sondern
vom Elefanten auch noch auf einer Schaukel durch die Manege
getragen wird. Vor dem großen Finale fährt das Ensemble nochmals
sein komplettes Können auf. Ganz in schwarz-weiß gehalten geben
alle Mitglieder im ‚Festival de Comédies Musicales‘ nochmals
Kostproben aus ihrem großen Repertoire. Nach dem Ballett zeigt
Gipsy Gruss eine kurze Hundenummer mit zwei Dalmatinern, wagt
Maud Florees Panneaureiterei mit Sprüngen über die Spazierstöcke
der Herren im Frack und demonstrieren eben diese Herren (Firmin,
Stephan, Charles und Alexandre) im Frack alle gängigen Tricks
einer Jockeyreiterei. Höhepunkt ist sicher ein traumhaftes
zweifaches Pas-de-deux auf je zwei Pferden zu ‚Memories‘ aus
Cats. Dazwischen entledigt sich Francesco Fratellini als
Stehendreiter unzähliger Westen. Das Finale schließlich
vereinigt das respektable Ensemble zu einem Ballett in schwarz
auf weiß – im Zentrum Gipsy und Alexis auf den Pferden Ripado
und Bakero – und entlässt nach genau drei Stunden ein
zufriedenes Publikum in die nasse Nacht. |