„Es kommen so viele Talente nach,
die eine tolle Energie versprühen“, sagte Rebecca
Siemoneit-Barum gegenüber Chapiteau.de. Besonders ihre Tätigkeit
für den European Youth Circus (EYC) in Wiesbaden – in früheren
Jahren als Regisseurin und Moderatorin des Festivals, zuletzt
als Jurymitglied – habe ihre Begeisterung für junge Artisten
geweckt. Obwohl es in ihrer aktuellen Show nur Vögel und Hunde
zu sehen gab, wolle sie sich darüber hinaus künftig keineswegs
nur auf Kleintiere beschränken, vielmehr sei jede gute
Dressurnummer denkbar.
Der fast legendäre
Artisteneingang
Auf dem Göttinger Schützenplatz,
nur gut 40 Kilometer vom nunmehr ehemaligen Barum-Stammsitz in
Einbeck-Volksen entfernt, wurde eine bunte zusammengewürfelte
Zeltstadt aufgebaut: Das Chapiteau kam vom Schweizer Zeltverleih
Alfredo Nock, das Vorzelt von Fliegenpilz, drum herum
gruppierten sich Wagen aus dem Restbestand des Circus Barum und
fremdes Material, u.a. gemietete Container. Ein ehemaliger
Fernseh-Übertragungswagen als Kasse, ein nostalgischer Barwagen,
ein Bierstand, ein Toilettenwagen und eine Weihnachtsmarktbude
bildeten, neben kleineren Ständen und einem großen Modell des
Circus Barum, die Einrichtung des Vorzeltes. Im Chapiteau selbst
erwarteten den Besucher der fast legendäre ehemalige
Artisteneingang des Circus Barum und, hinter den Logenreihen,
ein kompaktes, für dieses Zelt deutlich zu kleines
Schalensitzgradin. Das Licht war zum Teil an Quertraversen
zwischen den Masten installiert.
CB Dance Crew, Jonas Hein
und Rebecca Siemoneit-Barum, Konyots
Zunächst betritt zum Beginn der
Show Clown David Konyot die Manege, wo er sich Klatschspielen
mit dem Publikum und dem Kampf gegen die Tücke des Objekts – am
Beispiel eines Notenständers – widmet, um schließlich das
siebenköpfige Orchester unter der Leitung von Eugeniusz Kawalec
(ehemals Fliegenpilz) zu dirigieren. Als Ouvertüre gibt es „All
I want for Christmas is you“, gefühlvoll dargeboten vom
fernsehbekannten Musicalsänger Jonas Hein (Teilnehmer „The Voice
of Germany“), später gar im Duett mit Rebecca Siemoneit-Barum.
Und die langjährige Barum-Eröffnung mit Nino Rotas Filmmusik aus
„8 ½“? Davon wurden im Anschluss immerhin die letzten Takte
gespielt, wozu der Barum-Artisteneingang wie in alten Zeiten
leuchtete. Nach der gewohnt charmanten und gekonnten Begrüßung
durch Rebecca Siemoneit-Barum folgte ein erster Auftritt der „CB
Dance Crew“, die aus fünf Mädels und einem jungen Mann besteht.
Zu ihnen gehört Rachel, Tochter von Rebecca Siemoneit-Barum. Ihr
Sohn Joshua hatte sich dagegen während der Proben verletzt und
konnte nicht mitwirken. Mehrfach tritt die „Dance Crew“ mit Hip
Hop und anderen modernen Tanzstilen in Erscheinung.
Pat Clarrison,
Elena Shmarlovski, Carlos Lilienthal
15 Minuten dauert insgesamt
dieser ausführliche Prolog, bis dann mit den Kontorsionen auf
schwarzen Hüten von Aniko Servözo, Absolventin der Berliner
Artistenschule, die erste artistische Nummer folgt. Sie wird von
Jonas Heins hervorragendem Live-Gesang mit „Feeling Good“ à la
Michael Bublé begleitet, druckvoll unterstützt vom Orchester. So
schön hätte es eigentlich weitergehen können, doch leider wurden
weite Teile dieser Show zu Musik vom Band präsentiert. Viele
Artisten reisten heute ohne Noten an und seien auch nicht
bereit, zu einem extra geschriebenen Live-Arrangement zu
arbeiten, sagte uns Rebecca Siemoneit-Barum auf Nachfrage –
schade, vor allem auch für die Künstler selbst, da gute
Livemusik jede Nummer erheblich aufwerten kann. Immerhin einige
wenige Arrangements konnte Guido Naus, sonst u.a. für Krone
tätig, noch extra für diese Produktion liefern. Für Bandmusik
hatte sich zum Beispiel auch der recht introvertiert wirkende
Carlos Lilienthal entschieden, der mit drei normalen und später
– bei Dunkelheit – drei leuchtenden Diabolos jonglierte. Beide
Tiernummern in diesem Programm wurden im ersten Teil gezeigt:
zunächst die fröhlichen Hunde von „Hot Dog-Verkäufer“ Pat
Clarrison, dann die zum Piratenthema präsentierten Vögel von
Evgeni und Elena Shmarlovski: Die kleineren Papageien, die
Agarponiden, gefielen mit einem witzigen Trickrepertoire von
Wippen über Kugellauf bis Rutschen, die großen Aras mit kurzem
Freiflug im Zelt.
Patrick Gruss
Bouglione, Valpuri, Maria und Ronja, Martyn Chabri
Peitschenspiele, Lassodrehen und
Pistolenjonglage kombinierte Patrick Gruss Bouglione zu einer
temperamentvollen Cowboynummer. Ein ganz bekanntes Gesicht
sorgte schließlich für die Pausennummer: die herrlich
ausstrahlungsstarke Martyn Chabri mit ihrer glamourösen
Kombination von Quickchange und musikalischen Einlagen von
Xylophon bis Flaschenorgel. Den zweiten Programmteil eröffneten
die Finninnen Valpuri, Maria und Ronja mit ihrer originellen und
mit interessanten Tricks gespickten Nummer am dreifachen Trapez.
Sie wurden von Rebecca Siemoneit-Barum beim European Youth
Circus 2010 entdeckt. Ebenso originell ist die Darbietung von
Katerina Repponen, die bei ihren Antipodenspielen den Partner
Pasi als lebende Trinka nutzt und mit ihm zusammen auch Elemente
von Partnerakrobatik und Handvoltigen zeigt. In ihrem zweiten
Auftritt arbeitet Aniko Servözo an einem in sehr niedriger Höhe
hängenden Luftring. Dieser ist in ein Gestell eingefügt und kann
daher horizontal oder vertikal arretiert werden, was zusätzliche
Posen ermöglicht. Nach diesen beiden modernen Darbietungen, die
von Livemusik begleitet werden, folgt das klassische
Musikal-Entree der Konyots. Mutter Konyot sieht sich hier bei
ihren Musizierversuchen zahlreichen Störungen durch Mann und
Tochter ausgesetzt, die als Auguste agieren. Vergnügt
kreischende Kinder und amüsierte Erwachsene im Publikum sind das
Resultat.
Katerina Repponen
und Pasi, Raffael Scholten, Raffael de Carlos
Den stärksten Eindruck
hinterlässt in dieser Programmhälfte dank seines mehr als
feurigen Verkaufs Jongleur Raffael de Carlos, der mit fünf
Fußbällen und sieben kleineren Bällen jongliert sowie
Pingpongbälle mit dem Mund bewegt, während Fußbälle auf seinen
Fingerspitzen kreisen. Ein weiterer Wiesbadener „EYC“-Teilnehmer
ist Raffael Scholten, der als Schlussnummer elegant-perfekte
Manipulationen u.a. mit Spielkarten zeigt. Wegen ihrer
Kleinteiligkeit – und hier noch ganz im Hintergrund, direkt vor
dem Bühnenwagen arbeitend – wären die hervorragende Nummer aber
für einen kleineren Rahmen noch besser geeignet. Der
Bigband-Sound mit Musicalsänger vs. Hip-Hop-Tanz, etablierte
Hochglanz-Nummern wie jene von Martyn Chabri vs.
Nachwuchstalente wie Carlos Lilienthal, Kleintiernummern und
traditionelle Circusclowns: Rebecca Siemoneit-Barum hatte für
ihr Weihnachtsspektakel vieles ausgewählt, was ihr am Herzen lag
und dabei sicher viel Herzblut investiert. Dieser
unkonventionellen Mischung verschiedenster Zutaten fehlte aber
zumindest in unseren Augen der gemeinsame Nenner. Eine klare
Festlegung auf einen Weg – zum Beispiel entweder ein klassisches
Circusprogramm im gewohnten Barum-Ambiente oder eine coole
Newcomer-Show im entsprechenden Umfeld – wäre da wohl noch
ansprechender gewesen. |