Es ist auch keine leicht
veränderte Tournee-Produktion mit ein, zwei Gastnummern. Landau
– das ist Circus mit nostalgischem Charme, Typen, Atmosphäre und
einem Top-Programm, das nur für diese gut zwei Wochen
zusammengestellt wurde. Das Grand Chapiteau auf dem Landauer
Messegelände wird umrahmt von mehr als einem Dutzend alter
hölzerner Circus-Wagen, die alle noch in Funktion sind: Ob
Kasse, Büro- und Café-Wagen oder Wohnwagen für Mitarbeiter und
den Chef Jakel Bossert nebst Familie selbst. Im großen Hauptzelt
trifft man sich erst einmal auf einem kleinen Weihnachtsmarkt
mit nostalgischem Kinderkarussell, liebevoll dekorierter
Weihnachtskrippe, einem alten Käfigwagen, in dem eine Eisenbahn
mit Circus-Waggons ihre Runden dreht, Crêpes-, Popcorn- und
Würstl-Ständen und natürlich der Sekt- und Glühweinbar in einem
alten Original-Raubtierkäfig.
Ein eingespieltes
Team
Da passt doch dann haargenau Kid O´Hara dazu, der weit gereiste alte Raubtierdompteur und
Circusmann namens Hermann Sonntag, der auch heute noch in seiner
Livree eine imposante Erscheinung ist und in Landau als
Einlassportier dem Circus ein Gesicht gibt. Neben ihm Christina
Perkano, in aktiven Tagen unvergessen mit ihrem Mann als „Perkano
& Christina“ und der Tellerjonglage- und Diabolo-Nummer in
Circussen und Varietés unterwegs, als guter Geist der
Platzierungstruppe. Und im Geleit dieser „Circus-Typen“ geht’s
dann vom Weihnachtsmarkt in den Manegen- und Zuschauerbereich.
Weihnachtsdekoration glitzert, es riecht außer nach Bratwurst
und Popcorn auch nach Sägemehl, und kein Geringerer als
Illusions-Star Kim Kenneth begrüßt das Publikum als Moderator.
Antonin Navratil,
Ann-Kathrin Bossert, Ali
Flott fällt die Eröffnung mit der
Jongleur-Darbietung von Eric Munoz aus. Ob mit Keulen oder
Tellern – der Spanier ist ein Meister seines Fachs und heizt dem
Publikum zu Beginn schon mal richtig ein. Bei der Premiere
lotete er noch ein wenig das Circusrund aus, aber wer ihn kennt,
weiß um die Klasse seiner Arbeit. Mit dem Auftritt von „Ali“
beweist Produzent Jakel Bossert einmal mehr sein feines Gespür
für das ja doch überwiegend regionale Publikum. Der Liliputaner
war über Jahre eine bekannte und beliebte Figur im nahen Holiday
Park Haßloch und avanciert nun zum „kleinsten Circusdirektor“,
der im Laufe der Vorstellung das Publikum immer wieder mit
seinen Reprisen zum Schmunzeln bringt. Gleiches gilt auch für
Bosserts Tochter Ann-Katrin, die mit ihrer Ponydressur einfach
fester Bestandteil des Programms ist. Erstes Highlight des nunmehr
bereits elften Programms des Landauer Weihnachtscircus ist dann
Antonin Navratil am Washington-Trapez. Ob er nun auf einem
Stuhl, der nur mit zwei Beinen auf dem schwingenden Trapez
balanciert wird, Platz nimmt oder mit verbunden Augen den
Kopfstand wagt – eine Top-Nummer des sympathischen Tschechen.
Jessica Caveagna,
Cesar Dias, Alexandra Probst
Jessica Caveagna sorgt auf andere Art und Weise für Spannung.
Die Italienerin zeigt eine heute eher selten zu sehende
Säbelbalance, die sehr effektvoll und mit Feuerunterstützung zu
einer „heißen Sache“ wird. Beeindruckend, wie sie über eine
Leiter steigt und dabei den Säbel auf der Stirn balanciert. Markenzeichen Stirnlocke und
etwas schusselig verschmitzter Blick durch große schwarze Brille
– das ist Cesar Dias. Er kämpft mit der Tücke des Objekts, bis
dem Zuschauer Tränen vor Lachen in die Augen treten, er hat
leise Töne drauf, wenn er eine Säge zum Singen bringt (wann habe
ich so etwas eigentlich zum letzen Mal gesehen…), er dirigiert
Mitspieler aus dem Zuschauerkreis mit Gestik und Geräuschen,
dass man sich beim Zuschauen biegt vor Begeisterung. Dieser
junge Portugiese hat’s einfach drauf und ist mit seinen vier
Auftritten mehr als „nur“ ein Clown. Das ist Comedy, das ist
Slapstick wie in einer der besten Laurel & Hardy-Szenen, das ist
nicht plumper, sondern augenzwinkernder Humor im Umgang mit den
Unzulänglichkeiten seiner Mitspieler – das ist Cesar Dias.
Einfach herrlich. Wenn man schon diverse
„Haustier-Revuen“ gesehen hat, versteht man, warum Alexandra
Probst mit ihrer Tiernummer nach Monte Carlo eingeladen wurde.
Da stimmen Zusammenstellung, Choreografie, Ausstrahlung –
einfach alles. Top gepflegte Tiere – Ponys, Ziegen, putzige
Hühner, Schweine und ein Minihund – geben sich ein Stelldichein
in der Manege. Am Premierentag war das Zusammenspiel mit der
Tonregie und auch mit der Landauer Manegenpartnerin Ann-Katrin
noch nicht ganz stimmig, aber Alexandra Probst als Vollprofi
überspielte das souverän. Inzwischen läuft’s wohl nach ihren
Vorstellungen. Und das Landauer Publikum hat die einmalige
Gelegenheit, diese beim Internationalen Circusfestival von Monte
Carlo 2012 mit einem Sonderpreis ausgezeichnete Dressurnummer
„live“ vor Ort zu sehen. Denn in den Südwesten Deutschlands wird
bis auf weiteres wohl keine Tournee des renommierten Zirkus
Probst „Ost“ führen.
Kim Kenneth, José
Munoz, Henry Fröchte
Richtig zu tun haben die
Requisiteure, wenn Kim Kenneth in Aktion tritt. Hier wird großes
Gerät aufgefahren und muss über den rumpligen Boden des
Messeplatzes bewegt werden. Da weht ein Hauch der großen
Varieté-Bühnen durch das Rund des Landauer Weihnachtscircus,
wenn Frauen wie von Geisterhand trotz Fesselung verschwinden und
wieder auftauchen, wenn Kim durch ein Eisentor mit dem Motorrad
donnert, in dem seine Assistentin festgekettet den Weg versperrt
oder getreu dem Spruch „aus Eins mach Zwei“ plötzlich zwei
Grazien einem Käfig entsteigen, in dem sich nur eine Lady zuvor
zur Ruhe legte. Faszinierende Groß-Illusion des dänischen
Meister-Magiers, die er darüber hinaus „Las-Vegas-like“ zu
präsentieren versteht. Mit ihm geht’s über den
Manegenboden: José Munoz brilliert auf dem Drahtseil. Er hüpft,
tanzt, springt hoch und weit, schlägt Salti – alles auf dem
Seil. Temporeich und mit spanischer Grandezza vorgetragen. Der
eingebaute Scheinsturz ist bei einem Virtuosen seines Faches
eigentlich unnötig. Hier wird eine vermeintliche Sensationslust
bedient, was ich persönlich nicht brauche. Und ein guter Artist
wie er könnte meines Erachtens darauf verzichten. Aber wie auch
immer – eine tolle Nummer. Hervorragende Artisten müssen
nicht immer aus dem Ausland kommen. Das beweist Henry Fröchte,
der Westpfälzer mit tiefen Wurzeln in der Circuswelt. Seine
Antipodennummer ist immer wieder sehenswert. Henry arbeitet hier
nicht mit klassischen glitzerbesetzten Rollen, Walzen und
Zylindern, sondern lässt im mexikanischen Stil bemalte
Bestandteile von Totempfählen und sonstiges Kultequipment der
Azteken-Indianer auf seinen Füßen wirbeln. Seine Frau Monica
assistiert souverän und versprüht dabei erotisches Temperament.
Einfach sehenswert.
Josefine Cecilie
Navratilova, John Burke
Der „Hingucker“ fürs – männliche
– Auge schlechthin ist Josefina Cecilie Navratilova. Sie lässt
Hula Hoop Reifen um ihren Körper kreisen, dass einem schwindelig
wird, alle Gliedmaßen sind eingebunden, kein Reifen fällt zu
Boden, das Ganze ist wie aus einem Guss. Zum Nummernfinale
wirbelt die blonde Tschechin dann noch Feuerbolas durch die
Luft. Wir sehen Josefina Cecilie wieder an der Fußleiter, wenn
sie zusammen mit ihren Eltern und Bruder Antonin in deren großer
Nummer in der Manege steht. Bei der Vorführung der Navratils mit
ihrer auf den Füßen balancierten Leiter, an der die
Familienmitglieder ihre akrobatischen Übungen zeigen, kamen
Erinnerungen an die osteuropäischen Staatscircus-Zeiten auf, so
perfekt, akkurat und ansehnlich war das. Für mich lieferte die
Familie Navratil mit ihren Darbietungen die artistischen
Höhepunkte des Programms. So wie Alexandra Probst bringt
auch noch einmal John Burke das Flair Monte Carlos in die
Landauer Manege. Er war 2008 mit seinen Seelöwen zum
Internationalen Circusfestival eingeladen und wurde dann dort
mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Burkes Seelöwennummer ist
halt anders als andere. Da kommen nicht die Tiere in die Manege
gewatschelt und jonglieren klassisch mit ihren Requisiten. Nein,
die Blues Brothers fahren im schwarz-weißen Gogo vor. Und John
Burke stellt seine beiden schwergewichtigen Kameraden erst mal
vor, plaudert mit ihnen und verleitet sie sogar zum Soul-Gesang.
Natürlich ergeben sich dann auch Jonglage-Spielchen, und die
zwei Seelöwen zeigen ihr akrobatisches und schauspielerisches
Talent. „Tier-Circus“, wie ihn echter Circus eben braucht.
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