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Salto Natale 2012 - "Sternfänger"
www.saltonatale.ch ; 62 Showfotos

Kloten, 25. November 2012: „Das war schon sehr speziell“, würde man in der Schweiz wohl diplomatisch über das Manegen-Comeback von Rolf Knie sagen: Der 63-jährige Circusdirektor steht bei Salto Natale heuer nur mit einer Windel bekleidet auf der Bühne. In der betreffenden Szene schieben drei Krankenschwestern Kinderwägen auf die Bühne, denen erwachsene „Babys“ entsteigen. Eigentümlicher Höhepunkt dieser Nummer: „Baby“ Rolf Knie pupst ausgiebig, worauf sich die blütenweiße Windel im rückwärtigen Bereich braun verfärbt. Die Baby-Szene ist nicht die einzige Nummer aus der Sparte Fäkalhumor in dieser Show.

Bereits im ersten Programmteil wird ein großer Kothaufen – aus Kunststoff, als Special Effect leicht dampfend – auf der Bühne platziert. Der Spanier Angel Amieva Bremes spielt hier die Fliege, die mit langer Zunge am Häufchen leckt, in Disput mit einem schönen Schmetterling gerät und schließlich im Spinnennetz gefangen wird. Ja, es ist eben doch ein „Circus der anderen Art“, den Rolf und Sohn Gregory Knie seit nunmehr zehn Jahren bieten – Ausgefallenes, Provokantes, Schlagzeilenträchtiges gehört hier durchaus dazu. Auch wenn grundsätzlich natürlich Hochglanzcircus moderner Prägung im Vordergrund steht. Und dazu gehören die achtköpfige Liveband plus Sängerin Jizelle, das ebenso achtköpfige Ballett (fünf Damen, drei Herren) in farbenfrohen Outfits und ein hochwertiges artistisches Programm.


Rolf Knie, Angel Amieva, Daniel-Diorio-Truppe

Erneut wurden die umfangreichen weißen Zeltanlagen mit diversen Neben- und Cateringzelten auf dem Flughafengelände Zürich-Kloten errichtet, unmittelbar an der viel befahrenen Autobahn. So ist dieser Platz gut sichtbar, aber wenig romantisch – ganz im Gegensatz zum äußerst aufwendig, üppig und geschmackvoll dekorierten Vorzelt. Im Chapiteau selbst wurde hinter der erhöhten Bühne der Artisteneingang eigens für die Schlussnummer in ein großes Tor umgebaut – so kann die Motorradkugel der Diorios auf die Bühne gerollt werden. Hier rasen fünf Akteure durch die sich öffnende Kugel.

 
D'Holmikers, Philippe Delaunay, Golden Time

Los geht es aber sehr ruhig, wenn für ein kleines Mädchen (Nola Hayes) – passend zum Programmmotto „Sternfänger“ – ein Stern vom Himmel geholt wird und die geheimnisvolle „Weiße Statue“ mit zwei Köpfen (Philippe Delaunay) zum Leben erwacht. Das anschließende große Opening mit Ballett widmet sich in voller Farbenpracht dem „Karneval in Venedig“, ehe das Trio Wozniewski am Fangstuhl für die erste artistische Nummer im Programm sorgt. Spagatwirbel, Vorwärtssalto und ein Rückwärts-Abfaller in eine vom Fänger gehaltene Seilschlaufe werden von den beiden Fliegerinnen u.a., natürlich longengesichert, geboten. Mit wunderbar swingendem Gesang von Jizelle („Just a kiss“) wird diese Nummer weiter aufgewertet. Rockig wird’s dagegen beim Auftritt von „Golden Time“, dem kongenialen Diabolo-Duo Benno Jacob und Johannes Dudek, Absolventen der Berliner Artistenschule. Sie arbeiten abwechselnd synchron, simultan und miteinander, wobei sie gemeinsam bis zu fünf Diabolos fliegen lassen. Der eigentliche Clou sind aber die Tricks, bei denen einer die vom anderen geworfenen Diabolos mit der Schnur in der Luft fängt. Riesen-Jubel unterm Grand Chapiteau! Die drei Damen des Russia Acro Trio glänzen mit anspruchsvoller Akrobatik mit außergewöhnlichen Tricks und – ungewöhnlich für eine rein weibliche Nummer – Handvoltigen, ehe „D’Holmikers“ mit ihrer gruselig-witzigen Barrennummer zum Ghostbusters-Sound zur Pause überleiten.


Hebei Acrobatic Troupe, Galina Hayes und Rolf Knie, Kaikai Jiao

Mit krachendem Schlagzeug-Sound und einer vollen Bühne, Ballett und Band sind hier vereint, wird der zweite Programmteil eröffnet. Gleich anschließend, noch vor der Baby-Einlage, hat Rolf Knie hier seinen ersten Auftritt, bei der er und seine herrlich überdrehte, dauerkichernde Partnerin Galina Hayes sich in einer wirklich witzigen Comedy-Illusion gegenseitig malträtieren. Die Riege der Komiker im Programm wird durch den fast allgegenwärtigen Harlekin Guennadi Thijov komplettiert. Für einen der schönsten Momente des Programms sorgt die Chinesin Kaikai Jiao. Auf einem mit Kirschblüten dekorierten Requisit zeigt sie kräftezehrende Handstände; nach dem Auftakt auf zwei Händen folgen ausschließlich Tricks auf einem Arm, ohne dass sie während der Nummer einmal absetzen würde. Gleich neun chinesische Mädchen bringt direkt im Anschluss die Hebei Acrobatic Troupe auf die Bühne. Wieder wurde eine neue Variante der ikarischen Spiele kreiert, bei der die Trinkas auf drei Fahrräder montiert sind. Während in der „unteren Etage“ unablässig im Kreis geradelt wird, liegen erst auf „zweiter Ebene“ die Unterfrauen, welche die durchweg noch sehr jungen Fliegerinnen mit den Füßen durch die Luft wirbeln. Selbstredend sind die Fliegerinnen hierbei longiert. Geboten werden praktisch alle relevanten Tricks des Ikarier-Genres, selbst Platzwechsel von einem Fahrrad zum nächsten. Zum Schluss formieren sich alle Akteurinnen zu einem Fächer auf einem einzigen Fahrrad, wobei auch hierbei die Fliegerin noch ikarische Tricks zeigt. Diese Nummer existiert im Übrigen noch in einer weiteren Ausführung, die ursprünglich im bevorstehenden Heilbronner Weihnachtscircus auftreten sollte. Auf die Neuheit aus China folgt ein ganz bekanntes Gesicht, Jongleur Picaso jr. Mit seinen Jonglagen mit Pingpongbällen, v.a. auch mit dem Mund bewegt, und Tellern sorgt er auch in diesem Zelt für überwältigende Publikumsreaktionen. Das ist eine der Nummern, die man jeden Tag sehen könnte. Frenetisch werden freilich auch Daniel Diorios Hasardeure in der Motorradkugel gefeiert.

Die deutlich längere und auch stärkere zweite Hälfte des Programms wird von einem ausgiebig zelebrierten Finale beschlossen – mit fröhlicher Weihnachtsstimmung zu Feliz Navidad, einer wieder aufgegriffenen Rahmenhandlung, Verabschiedung durch Rolf und Gregory Knie und der nicht ganz ernst gemeinten Fragen „Haben wir nicht etwas vergessen?“ Und darauf tanzt das gesamte Ensemble ausgelassen zum gleichnamigen Youtube-Megahit im „Gangnam Style“.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber