CHPITEAU.DE

Kasseler Circusfestival 2013/14
www.flicflac.de ; 60 Showfotos

Kassel, 4. Januar 2014: Eine düstere Stimme aus dem Off übernimmt die erste Ansage und stellt ein lokales Bestattungsunternehmen als Sponsor vor. Dann heizen Feuersäulen, die unvermittelt aus der Bühne kommen und das dunkle Chapiteau erhellen, dem Publikum ein. Der Auftakt lässt ein typisches Flic Flac-Spektakel erwarten, nachdem im Jahr zuvor beim „Festival der Artisten“ eine ungewohnt fröhliche Grundstimmung herrschte. Was folgt ist aber ein Nummernprogramm, bei dem es Schlag auf Schlag geht. Ohne weitere Inszenierungen folgen die Darbietungen aufeinander.

Ergänzende Elemente – wie etwa Videobotschaften der Artisten in vorherigen Ausgaben – gibt es nicht. Die Regie sorgt dafür, dass die Show ein ungeheures Tempo hat. Leerlauf Fehlanzeige. Lediglich die Auftritte des moderierenden Comedians sorgen für Atempausen. Im fünften Jahr nun steht das schwarz-gelbe Chapiteau auf dem Friedrichsplatz mitten in der Kasseler Innenstadt. Ein perfekter Ort, welcher bestmögliche Sichtbarkeit garantiert. Die Stadt Kassel ist zudem durch den Bürgermeister bei der Preisverleihung präsent. Denn selbstverständlich geht es bei diesem Festival um Preise, die mit 15.000, 10.000 und 5.000 Euro dotiert sind. Die Jury besteht hier aus einer Handvoll Zuschauern je Vorstellung, die mehr oder weniger zufällig ausgewählt sind.


Navas Brothers, AirFours II, Long Twins

Die Wahl fällt angesichts des sehr stark besetzten Programms keinesfalls leicht. In diesem Jahr machen die Navas Brothers das Rennen. Mit ihrer abgefahrenen Show auf dem Todesrad haben die beiden temperamentvollen Brüder Rony und Ray das Publikum insgesamt, insbesondere aber die Jurymitglieder, überzeugt. Höhepunkt ist der nur von wenigen Artisten gezeigte Salto auf dem Außenrad. Abgefahren ist im wahrsten Sinne des Wortes auch, was die Motocross-Fahrer von AirFours II zeigen. In der Dortmunder Flic Flac-Produktion schon Standard, springen sie jetzt zusätzlich in Kassel vom Mittelgang aus über die Manege. Gelandet wird auf einer gegenüberliegenden Rampe. Sorgt der erste Sprung noch für einen Überraschungs-, mehr noch, Schockeffekt, faszinieren in der Folge die variantenreichen Tricks. Einen schönen Kontrast dazu bildet die Darbietung der Gewinner des dritten Preises. Die beiden fröhlichen Chinesen Jun und Bing zwängen sich bestens gelaunt in den verschiedensten Körperhaltungen in zwei Röhren. Die eineiigen Zwillinge sind wirkliche Meister des Klischnigg und dazu eben noch ungeheuer sympathisch.


Blue Dragons, Katya Shustova, SerBat Troupe

Dass „Made in Taiwan“ ein wirkliches Qualitätssiegel sein kann, beweisen die Blue Dragons. Die vier jungen Artisten sind wahre Wirbelwinde, wenn es darum geht, Diabolos in der Luft zu halten. Sie arbeiten nicht nur nebeneinander, sondern lassen die kleinen Jonglierrequisiten auch von Partner zu Partner wandern. Als Luftakrobat sollte man nicht unter Höhenangst leiden. Ganz besonders gilt dies für Engagements bei Flic Flac. Hier geht es dank der hohen Kuppel ganz hoch hinaus. Katya Shustova nimmt diese Herausforderung an und meistert sie wunderbar. Insbesondere bei den langen Touren an den Tüchern von der Kuppel bis in die Manege überzeugt die 24-Jährige. Als ob ein Handstand oder das Stehen auf einem Fuß auf dem Kopf des Partners nicht schon anspruchsvoll genug wäre, balancieren die Mitglieder der SerBat Troupe diese Türme noch über eine Leiter. Zeitweise sind sogar zwei Paare gleichzeitig unterwegs, um sich am oberen Ende der Leiter zu kreuzen. Höhepunkt der Darbietung des kasachischen Quintetts ist die Balance eines Drei-Personen-Hoch über die Leiter. Die Artisten stehen dabei auf dem Kopf des jeweiligen Partners. Gut, dass diese waghalsigen Kunststücke mit Longen gesichert sind. Gefährlich scheint ebenfalls die Equilibristik von Andrey Katkov, findet sie doch hinter Gittern statt. Versiert zeigt er seine Handstände in einem Meer aus Licht und Kunstnebel, um schließlich die Gitterelemente umfallen zu lassen.


Truppe Jouravel, Kopfspringer aus Wuhan, Skating Nistorov

Quartett, Quintett und Trio sind die Besetzungen nach der Pause. Los geht es mit der Truppe Jouravel. An drei Reckstangen zeigen die Ukrainer kraftvolle Umschwünge und Sprünge von Stange zu Stange. Klar, dass auch die Abgänge vom Reck sehenswert sind. Wenngleich es ihnen anzumerken ist, dass sie vom Turnen kommen, präsentieren sie ihre Übungen circusgerecht. Gleichgewichtssinn und eine stabilen Kopf benötigen die fünf Artisten aus dem chinesische Wuhan. Sie sind im Kopfstand ungemein sicher unterwegs. Ganz gleich, ob einer der Artisten im Kopfstand von den Füßen eines Artisten zu denen eines weiteren geworfen wird oder im Kopfstand die acht runden Stufen eines Treppengestells nimmt, das auf den Schultern von zwei Partner liegt. Zwischen zwei Tourneen mit dem Circo Hermanos Vazquez in den USA sind die Skating Nistorov einmal mehr in Deutschland zu sehen. Eugenio Nistorov jagt dabei mit Ehefrau Alina und Schwester Roby über die runde Plattform. Ein Zuschauer darf sich davon überzeugen, wie sehr der Gleichgewichtssinn bei dieser Nummer herausgefordert wird. Die Nistorovs bewegen sich natürlich souverän und präsentieren sicher sowie publikumswirksam schwierigste Figuren.


Laser Fighters, Steve Rawlings, Christian Schiffer

Der eine ist Kampfsportler mit akrobatischen Fähigkeiten, der andere Tänzer, Model und Hip Hop-Lehrer. Zusammen zeigen die Laser Fighters eine Darbietung, die für den Circus neu ist. Denn der Sportler aus Paris und der Tänzer von Guadeloupe liefern sich ein Duell, welches von Laserelementen begleitet wird. Dabei entstehen innovative Bilder. Etwa wenn beide in aus Laserstrahlen gebildeten Elementen stehen und diese scheinbar mit der Kraft ihrer Hände bewegen. Für den Bereich Komik wurden zwei sehr unterschiedliche Künstler verpflichtet. Steve Rawlings ist Brite, und das lässt er bei seinen Auftritten durchklingen, denn er spricht einen herrlichem Akzent. Mit durchdringender Stimme erzählt er wunderbar komische Storys - Stand up-Comedy eben. Zudem ist er ein äußerst origineller Jongleur. Gleich zu Beginn jongliert er mit Tisch, Stuhl und Blumenstrauß. Später balanciert er drei Golfschläger auf der Stirn. Auch einen Zuschauer baut er genial in seine Show ein. Christian Schiffer ist nicht zum ersten Mal beim Festival in Kassel dabei. Zum einen moderiert er die Auswahl der Jurymitglieder, zum anderen fungiert er als Imitator. So sind etwa die Stimmen von Dieter Bohlen und Udo Lindenberg unter dem Dach des Chapiteaus zu hören. Was Schiffer die Promis sagen lässt, ist allerdings nur bedingt witzig.

Zum fünften Geburtstag zeigt Flic Flac wiederum ein sehr starkes Programm mit vielen für Kassel neuartigen Darbietungen. Es ist eine Powershow von Anfang bis Ende, wenngleich ohne besondere Überleitungen, wie wir sie des Öfteren bei Flic Flac erlebt haben. Erst beim Finale gibt es eine gemeinsame Choreographie. Dann tanzen alle Mitwirkenden auf der Rundbühne und lassen sich vom begeisterten Publikum feiern. Und das vollkommen zu recht.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch