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Weltweihnachtscircus 2013/14
www.weltweihnachtscircus.de ; 100 Showfotos

Stuttgart, 21. Dezember 2013: Was für ein Programm! Mit seiner aktuellen Produktion setzt der Weltweihnachtscircus in Stuttgart die Messlatte nach ganz oben, präsentiert man doch (fast) perfekten Circus. In diesem Jahr ist den Produzenten von Stardust Circus International in der Tat ein Meisterwerk gelungen. Das liegt vor allem daran, dass es anders als in manchen Jahren heuer nicht nur akrobatische Meisterleistungen großer Truppen in Reihenschaltung gibt, sondern auch ordentlich Platz gelassen wurde für wahre Manegen-Persönlichkeiten.

Diese Mischung ist dabei so grandios gelungen, dass man als Zuschauer nach dem Finale die Zeltanlagen auf dem Cannstatter Wasen nur schweren Herzens verlässt. Zu überwältigend waren einfach die über drei Stunden Circusprogramm zuvor.


Truppe Sokolov, Globe of Death, Reifenspringer aus China

Was bei anderen verdiente Schlussnummer wäre, ist in Stuttgart gleich an den Beginn gesetzt: die Schleuderbrett-Gruppe Sokolov vom russischen Staatscircus Nikulin wirbelt sich mit Salti durch die Manege und baut meterhohe Menschentürme. Alle Tricks werden dabei komplett sicher präsentiert. Gleich mehrere Varianten zum Drei-Personen-Hoch werden gesprungen, gefolgt von Türmen mit vier und fünf Personen. Der dreifache Salto in den Sessel ist ebenso zu sehen wie diverse Stelzensprünge. Den sensationellen Schlusstrick gibt es so auch bei der Truppe Kovgar – der Sprung führt an die Spitze einer Art Pyramide, bestehend aus einem Sessel, der von einem Akteur getragen wird, der selbst auf Stelzen auf einem russischen Barren steht, der wiederum von zwei Gruppenmitgliedern getragen wird. Sensationell, auch wenn Kostümierung und Musikauswahl im Stile Mozarts sicherlich Geschmackssache ist. Nicht minder spektakulär sind die zehn Hasardeure um José Antonio Pinillo Ramos, die nach der Pause zusammen durch den „Globe of Death“ donnern und sich dabei sogar kreuzen. Zum Schluss sorgt dann zusätzlich eine Illuminierung der Motorräder für weiteres Staunen bei der immer wieder sehr publikumswirksamen Nummer. Auch die aktuellen Gewinner eines „Goldenen Clowns“ beim Festival in Monte Carlo sind in Stuttgart vertreten. 20 junge Chinesen beweisen sich als Reifenspringer. Als besonderer Clou verändern die Reifen elektronisch ihre Position, so dass die Akrobaten vor immer neuen Sprungvariationen stehen, teilweise über- und untereinander her springen müssen. Traditioneller Abschluss sind Sprünge durch immer höher werdende Reifentürme. Als Höhepunkt wird gar ein Reifenturm von 3,10 Metern, und damit rund 60 Zentimeter über den Höchstwerten im Leistungssport, überwunden.


Luftnummer des Nationalcircus von Pyongyang

Die Krönung des Programms aber ist die wieder einmal neue Flugshow des Nationalcircus von Pyongyang (Nordkorea). Fünf männliche und zwei weibliche Truppenmitglieder zeigen bisher noch nicht bekannte Sprünge. Dafür gibt es gar eine spezielle Trapez-Konstruktion: oberhalb des traditionellen Fängers befindet sich ein Haltestuhl, an dem ein zweiten Fänger arbeitet. Auch oberhalb des schwingenden Trapezes ist ein weiterer Haltestuhl mit Fänger installiert. So sind immer neue Flugbahnen zwischen dem Trapez und den einzelnen Fängern möglich. Gesprungen werden aber auch Klassiker wie die Passage, der dreifache Salto (von der Fliegerin Kim Un Ha), eine dreifache Schraube und der vierfache Salto (von Flieger Ryu Kum Song). Absoluter Höhepunkt ist aber natürlich der fünffache Salto, der in der besuchten Vorstellung gleich im ersten Anlauf perfekt gelingt. Um mehr Schwung zu bekommen, startet der Flieger Han Ho Song dabei nicht von der Plattform, sondern von einer Art Schaukel, die das Trapez ersetzt. Nur so erreicht er die Höhe, um dann nach fünf Umdrehungen sicher in den Händen des Fängers zu landen. Selbst bei jemandem, der beim dreifachen Salto im Grunde keine Regung mehr zeigt, erzeugt dieser Trick wieder Kribbeln ob des Gelingens oder Scheiterns. Eine unglaubliche und sensationelle Leistung, die völlig zu Recht mit Standing Ovations bedacht wird.


Mou Quiang und Yang Gang, Fratelli Errani, Mario Berousek

Herausragende akrobatische Leistungen bieten in diesem Programm aber nicht nur die großen Truppen, so manche Manegen-Persönlichkeit steht da kaum nach. Da sind zum Beispiel die beiden Chinesen Mou Quiang und Yang Gang, die ihrer Beschreibung als „lebende Weltwunder“ in der Tat sehr nah kommen. Ihre Handstandakrobatik ist schlicht nicht zu übertreffen. Beide arbeiten auf einem hohen Piedestal, an dem an beiden Seiten Treppen hinführen. Eine dieser Treppen wird gar im Einarmer ab- und wieder aufwärts bezwungen, nachdem der Akteur zuvor den Klötzchenabfaller gezeigt hat – natürlich auch auf einer Hand und ohne zwischendurch abzusetzen. Die andere Treppe geht es ebenfalls hinab, nun im Handstand und mit dem Partner sprichwörtlich im Nacken. Dort drückt er seinen einarmigen Handstand. Wahnsinn. Noch immer mitreißend sind die Fratelli Errani, die für Stuttgart ihre Ikarier-Künste wieder ausgepackt haben. Zu treibender Musik werden Salti und Kaskaden immer noch am laufenden Band und im hohen Tempo produziert. Tempo ist auch das Stichwort für Mario Berousek, immer noch schnellster Jongleur der Welt. Ganz gleich, mit wie vielen Keulen er jongliert, sein Auftritt ist pure Rasanz.


Barto, Kris Kremo, David Larible

Ruhiger geht es da beim Duo „Desire of Flight“ zu. Malvina Abakarow und Valeriy Sychev zeigen ein gleichermaßen sinnliches wie gefährliches Pas de Deux an Strapaten. Immer wieder fängt Sychev die brisanten Abfaller seiner Frau auf. Bilder in Gold erzeugt das Adagio-Duo „Golden Power“ mit seinen kräftezehrenden Posen, wie der Waage oder dem einarmigen Handstand auf dem Kopf des Partners. Yelena Larkinas Hula Hoop-Performance in Weiß ist genauso wunderbar anzusehen wie Shirley Larible an den Strapaten. Sie eröffnet nun gleich mit dem Spagat und endet mit Umschwüngen des ganzen Körpers. Den Schalk im Nacken hat nicht nur der komische Akrobat Barto, der mit seinen Verrenkungen durch einen Kleiderbügel leider nur den Trapez-Aufbau überbrücken darf, sondern auch Kris Kremo. Die Manegen-Legende baut immer wieder kleine Späße in seine klassische Gentlemen-Jonglage mit Zigarre, Hüten und Zigarrenboxen ein. Und noch einer macht so richtig Spaß: David Larible ist zurück in Stuttgart und hat offensichtlich viel Spiellaune mitgebracht. Die verbreitet sich natürlich auch aufs Publikum. Nachdem er in einem kleinen Opening zum Clown wird, anschließend ein Orchester dirigiert und dann auch noch seine unnachahmliche Teller-Nummer zelebriert, hat er mit seinem genialen Gespür für Mitwirkende wie Publikum wieder alle Lacher und Sympathien bei sich. Großartig.


Géraldine Katharina Knie

Erlesen sind auch die beiden Tiernummern im Programm. Géraldine Katharina Knie und ihr Mann Maycol Errani bringen die Tiere des Schweizer Nationalcircus in die Manege, zunächst neun Schimmel mit allen Figuren einer Freiheit, anschließend Kamele und Lamas. Steiger beenden den stets flüssig laufenden, mit Nonchalance präsentierten Block. Elisa und Alessio Fochesato haben zwar die Anzahl ihrer Papageien und Sonnensittiche deutlich erhöht, das Trickrepertoire ist aber geblieben. So stehen weiterhin viele natürliche Abläufe im Vordergrund, allen voran natürlich das Fliegen durchs Zelt, das auch hier den Auftritt abrundet.

Moderiert wird auch dieser Weltweihnachtscircus höchst stilvoll von Peter Goesmann, der nur die notwendigen Umbauten überbrückt und ansonsten nicht über Gebühr redet. Das Licht ist feudal, setzt richtige Akzente und schafft Stimmungen. Einzig das große Orchester unter Markus Jaichner könnte öfter zum Einsatz kommen. Aber das ist schon Jammern auf allerhöchstem Niveau, denn was will man mehr, wenn einem so ein Programm – eine harmonische Ansammlung von Weltklasse-Leistungen, großen Truppen und herausragenden Manegen-Persönlichkeiten – dargeboten wird?

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Stefan Gierisch