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Gelsenkirchener Weihnachtscircus 2014
www.gelsenkirchener-weihnachtscircus.de

Gelsenkirchen, 27. Dezember 2014: „Und du willst wirklich fahren?“ – „Ja, das will ich, wir leben in einem zivilisierten Land, da wird die Autobahn geräumt und gestreut!“. Nach solchen Diskussionen verabschiede ich mich am Samstagmorgen zu Hause in Richtung Gelsenkirchen. Eine Stunde später: In einer Blechkolonne rolle ich mit dem Auto bei 20 km/h auf geschlossener Schneedecke durch den Spessart und denke über den Sinn meiner Worte nach. Als Kollege Stefan Gierisch bei Frankfurt zusteigt, sind schon 40 Minuten Zeitverlust zusammengekommen. Bis Gelsenkirchen summieren sie sich auf zweieinhalb Stunden.

Die Nachmittagsvorstellung im Gelsenkirchener Weihnachtscircus ist schon in vollem Gange, als wir das Zelt betreten. Gerade verabschiedet sich das Duo Szeibe nach seiner Fangstuhldarbietung mit dem Schlusskompliment vom Publikum.


Andreas Leyseck, Cuban Girls, Mariani-Clowns

Es folgt der bekannte Exotenzug des Circus Probst. Diesmal wird er von Andreas Leyseck vorgeführt. Auch unter seiner Peitschenführung läuft die Dressur mit Kamel und Dromedar, Kaltblutpferden, exotischen Rindern, Lamas, Nandu und Zebra flott und präzise ab. Dann ist Pause. Der zweite Programmteil beginnt mit sechs hübschen Kubanerinnen, die Tanz in der Manege und Artistik am Mast kombinieren. Dabei lebt die Darbietung eher vom Schauwert. Der dreifache Genickhangwirbel am Ende sorgt für einen eindrucksvollen Abschluss. Großen Anklang finden beim Publikum die rustikalen Späße der Mariani-Clowns aus Portugal. Die beiden Auguste sollen im „neu eröffneten Weihnachtscircus-Restaurant“ das fehlende Personal ersetzen. Bald fliegen hier Spaghetti in die Loge und bekommt ein Gast in der ersten Reihe Sahne ins Gesicht getupft – sehr zum Vergnügen der übrigen Gäste.


Beatrix Spindler, Los Sanchez

Für die einzige Tierdarbietung im zweiten Programmteil sorgt Beatrix Spindler. Einen Fünferzug Freiheitspferde führt sie zunächst vom Pferd aus vor, ehe sie für den zweiten Teil der Darbietung auf den Boden wechselt. Aus der Zeit gefallen wirken die Mützen, welche die Pferde auf den Köpfen tragen; am Puls der Zeit sind dagegen die modernen, live gespielten Popsongs, die Spindlers Auftritt begleiten. „Diamonds in the sky“ inklusive. Zwei der Kubanerinnen kehren mit einer Akrobatik am Luftring wieder, die – wie die Mastnummer – ebenfalls mit dem Genickhangwirbel endet. So richtig überzeugt hat uns in der zweiten Hälfte des Programms jedoch nur das Flugtrapez der Flying Molinas aus Kolumbien. Die große Apparatur verfügt noch über einen Fangstuhl oberhalb der klassischen Schaukel. Hier ist ein zweiter Fänger platziert, so dass zusätzliche Sprungkombinationen möglich werden. Salti bis hin zum „Dreifachen“, Schrauben und eine Passage gehören zum sicher dargebotenen Repertoire.


Flying Molinas

Der erste Programmteil sei der wesentlich stärkere gewesen, haben wir von vielen Seiten gehört. Nachdem wir diesen fast zur Gänze verpassten, haben wir Achim Schlotfeldt gebeten, uns seine Eindrücke der ersten Hälfte zu schildern. Der langjährige Autor der Circus-Zeitung sah die Nachmittagsvorstellung einen Tag später und hat uns Folgendes geschrieben: „Stimmungsvoll wird beim Gelsenkirchener Weihnachtscircus auch nun wieder der Programmauftakt inszeniert, wenn Moderatorin Carmen Leyseck auf ihrer Weihnachtskutsche hereinkommt und von den Marianis mit je einer Rose verwöhnt wird. Sie stellt alle Artisten namentlich vor, fast wie die Parade einer Schaubude, was wir als Lob betrachten! Auch im ersten Teil sind die Damen des kubanischen Staatscircus zu erleben, hier in zwei Duo-Auftritten: Los Sanchez wackeln auf ihren Rollschuhen mit Po, Hüften und Schultern, zeigen aber auch verschiedene genre-übliche Tricks; zum Schluss lässt die eine die andere bäuchlings auf ihrem Kopf rotieren. Zwei andere Kubanerinnen (Duo Air Feeling alias Cuban Girls) werden an ihren Zöpfen unter die Kuppel gezogen, teilweise kombiniert mit Ringtrapez und Vertikaltuch. Den artistischen Höhepunkt im ersten Teil verdanken wir Antonio, einem der langjährigen Probst-Kubaner. Speziell für dieses Weihnachtsprogramm hat er eine Darbietung am weit ausschwingenden Mast einstudiert, der emporgezogen wird – eine interessante Weiterentwicklung dieses populären Genres. Staunen lässt der Publikumserfolg, den der jüngere der Marianis mit vier Zuschauern auf vier Hockern erzielte. Im ersten Teil verkauft Beatrix Spindler humorvoll ihr Potpourri der Hunderassen. Die Tiere sitzen in offenen Koffern anstatt auf Podesten, und zum Schluss wird auf einem großen Pony geritten und voltigiert. An einer Luftleiter in Form einer Hängeperche steigert sich das Duo Irina und Sewerjn Szeibe aus Polen bis zum Aldonwirbel. Sewerjn haben wir zuvor mit Kubusjonglage und -balance, letztere auf der Stirn, gesehen.“

Und die Moral von der Geschicht’? Im Winter den Wetterbericht hören und im Zweifelsfall noch früher losfahren, um im Weihnachtscircus nichts zu verpassen. Denn: Bei Schnee und Eis zu Hause bleiben ist auch keine Lösung. Lieber denken wir daran, dass es für Circusmacher, Artisten und Arbeiter gewiss nicht immer einfach ist, mitten im Winter Circus zu spielen. Ein paar anstrengende Stunden auf verschneiten Autobahnen sind ein Klacks dagegen.

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Text: Markus Moll/Achim Schlotfeldt; Fotos: Stefan Gierisch