CHPITEAU.DE

Kasseler Circusfestival 2014/15
www.flicflac.de ; 80 Showfotos

Kassel, 10. Januar 2015: Schon der Blick unter die Kuppel des fabrikneuen Chapiteaus ist eindrucksvoll. Hintereinander hängen dort drei Luftapparate. Ein weiterer Indikator für die starke Besetzung dieses „6. Festival der Artisten“. Aber schon das Plakatmotiv transportiert auf geniale Weise den vermeintlichen Top-Act dieser von Flic Flac produzierten Show. Der Himmelsstürmer, eines der Wahrzeichen Kassels, spaziert dort gleich in siebenfacher Ausführung eine lange Röhre hinauf. Genauso, wie die Wallendas es in der Vorstellung auf dem Hochseil tun.

Auch bei der Umsetzung der Show waren die Macher, allen voran Ira Rizaeva, wieder richtig kreativ. Die Vorstellung der Künstler via Videobotschaft direkt vor dem Auftritt ist immer wieder eine sympathische Form der Präsentation. Opening und Finale sind mit Szenen von Housch ma Housch verbunden. Nach dem Prolog durch den großartigen Komiker erscheinen die Artisten in gelben Hosen und lila Shirts. Zum Abschied bringen sie Kerzen ins Chapiteau. Mit einer solchen hatte Housch ma Housch zuvor seine liebe Not. Die letztendliche Verabschiedung gestaltet sich dann sehr ausgelassen.


Housch ma Housch, Willer Nicolodi, Wallenda Family

Housch ma Housch gibt somit den Rahmen dieser Produktion vor. Und er gewinnt die Sympathien der Zuschauer. Denn durch Vertreter des Publikums werden die Preisträger des Festivals bestimmt. Trotz vieler artistischer Höchstleistungen gehen gleich zwei der drei Auszeichnungen an komische Nummern. Den ersten Platz sichert sich eben jener Semen Schuster. In seiner Rolle als Housch ma Housch bekommt er in Kassel ausreichend Raum, sich optimal zu präsentieren. Natürlich ist seine von der Decke hängende Kordel dabei, an der er zieht und die gerne mal „kaputt“ ist. Zudem hat er ein fast lebendiges Stofftier im Gepäck und musiziert mit Freiwilligen aus dem Publikum genauso wie mit einer Rolle Klebeband. Nicht nur seine Frisur und die Laute, die er von sich gibt, sind ungeheuer witzig. Es ist sein gesamtes Auftreten und es sind die wirklich originellen Szenen, die er spielt. Auf den dritten Platz kommt Bauchredner Willer Nicolodi. Ob mit Mäuserich Joselito oder drei Gästen aus dem Publikum – Nicolodi sorgt mit seinen Künsten für mächtig Spaß. Er gibt den Zuschauern auf der Bühne neue Stimmen, sie geben ihm dafür ihre bei der Wahl der Preisträger. Den zweiten Preis erobert sich die groß angekündigte Sensation aus den USA. Die Wallendas sind eine Artistenfamilie im besten Sinne, die im Einspieler auf ihre deutschen Wurzeln hinweist. Auf dem Hochseil arbeiten mehrere Generationen zusammen. Höhepunkt ihres Auftritts ist die legendäre Siebener-Pyramide, die sie ohne Sicherung laufen. Lediglich ein Teil der Zuschauer erhält durch ein Netz Schutz vor eventuell herunterfallenden Requisiten. Ihr spektakulärer Auftritt wird von dramatischer Musik begleitet, die große Pyramide zeigen sie gar ohne musikalische Begleitung.


Super Silva, Valerie Inertie, Malina Buttgereit

Mitglieder der Wallendas sind zudem Teil der Flying Cortes, die am Flugtrapez mitunter ausgefallene Sprünge zeigen. Diese werden insbesondere durch eine Reckstange oberhalb des Fängers ermöglicht. Ihre Wurzeln haben sie in Kolumbien, was sie auch in der Präsentation ihres Auftritts nicht verhehlen. Artistischer Höhepunkt ist der Dreifache Salto. Für spektakuläre Luftakrobatik ohne Sicherung steht Super Silva. Als Spiderman klettert er äußerst geschmeidig an einem Seil zu seinem Arbeitsplatz in knapp 14 Metern Höhe. Dort oben zeigt er einen waghalsigen Deckenlauf. Noch spektakulärer sind seine Sprünge von Trapez zu Trapez. Eleganz, Ästhetik und artistisches Können stehen bei der Luftnummer von Valerie Inertie im Vordergrund. Mag ihre artistische Kür an Tüchern ebenfalls nicht ungefährlich sein, sind hier eben andere Attribute kennzeichnend. Vor allem ihre ungewöhnlichen Abfaller sind sehenswert. Immer wieder ein Hochgenuss ist Inerties traumhafte Nummer am Roue Cyr. Aufgrund einer Fußverletzung kann die Kanadierin sie nicht selbst zeigen. Es übernimmt Malina Buttgereit, eine ihrer Schülerinnen. Buttgereit hat offensichtlich gut gelernt, denn auch bei der jungen Deutschen macht das Zusehen allergrößten Spaß. Die akrobatische Leistung ist ebenfalls bewundernswert.


Claudius Specht, Rich Miteku, Duo Racers

Als weiteren Solisten erleben wir Claudius Specht. Der gebürtige Schweizer ist inzwischen in Hessen zuhause. Seine Jonglagen mit Keulen und Bechern kommen bestens an. Er hält nicht nur bis zu sieben Keulen gleichzeitig in der Luft, sondern verkauft diese Leistung zudem äußerst smart. Sein genialer Assistent in Form eines Keulen-spuckenden Behälters sorgt für zusätzliche Aufmerksamkeit. Als Bondgirl kommt Schlangenfrau Rich Miteku daher. Zu „Skyfall“ verbiegt sie ihren Körper in schier unglaubliche Positionen. Dabei ist die Äthiopierin ständig in Bewegung. Damit hat sie eine neue Facette der Sparte Kontorsion nach Europa gebracht. Victor Gorodetskyy und Partnerin Julia werden als Duo Racers angekündigt. Den Großteil des Auftritts bestreitet aber Victor im Solo. Mit Einrädern verschiedener Konstruktion jagt er über die Rundbühne und erklimmt ein Podest mit Treppenstufen. Für seine Fahrten reicht ihm am Ende gar ein Rad mit nichts anderem als zwei Pedalen. Auf einem Einrad mit hoher Stange lädt er dann Julia zu einer gemeinsamen Spritztour ein.


Dima & Dima, Kuskovs, Trio Yarmoshko

Das typische Flic Flac-Feeling bringen Dima & Dima mit nach Kassel. Brennende Fässer sorgen für optische Reize, Musik von Rammstein für akustische. In dieser aufgeheizten Atmosphäre arbeiten Dmitry Makrushin und Dmytro Tarasenko ihre kraftvolle Hand-auf-Hand-Akrobatik. Wobei diese Bezeichnung nicht allzu wörtlich zu nehmen ist. Auch ein Einarmer auf dem Kopf des Partners gehört zum Repertoire. Ikarische Spiele auf Motorrädern konnten wir bei Flic Flac ebenfalls schon erleben. Die Kuskovs jonglieren sich nicht nur gegenseitig auf den Sätteln stehender Motorräder, sondern zeigen ihre Fußjonglagen zudem während die Trinka in Form eines Trikes über die Bühne fährt. Kern ihrer Darbietung sind aber die zumeist auf zwei Motorrädern nebeneinander stattfindenden ikarischen Spiele. Zwei starke Biker bilden die Untermänner, welche jeweils einen Jungen mit den Füßen durch die Luft wirbeln. Dank deren Körperbeherrschung sehen wir elegant ausgeführte Sprünge. Solche hat auch das Trio Yarmoshko zu bieten. Als Absprungbasis dient dem Flieger ein Russischer Barren, der auf den starken Schultern seiner Partner liegt. Der Dreifache Salto bildet hier den Höhepunkt.

Das „6. Festival der Artisten“ hat also alles. Spektakuläre Artistik genauso wie ausgewählte kleinere Nummern und Komik vom Feinsten. Das Publikum in Kassel weiß diese Mischung zu schätzen, wie die ausgewogene Verteilung der Preise und nicht zuletzt der enorme Publikumszuspruch beweisen. Mit dem Friedrichsplatz direkt in der Fußgängerzone steht eine optimale Location zur Verfügung. Beste Voraussetzungen also, um auch die nächste Ausgabe im kommenden Winter zu einem großen Erfolg zu machen.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch