Und das offenbar mit so
positiver Resonanz, dass man heuer, beim aktuellen
Wintergastspiel bis 3. März 2016, einfach die gleiche Produktion
wieder aufgenommen hat. „Pégase et Icare“ lautet das Motto mit
Bezug auf zwei Fabelwesen der griechischen Mythologie. Pegasus
ist halb Mensch, halb Pferd. Folglich werden Pferdedressuren,
Reiterei und Akrobatik zu Pferd aus dem Hause Gruss diesem Wesen
zugeordnet. Das ist schon ulkig, denn die Familie Alexis Gruss
hatte mit ihren Pferdenummern im Programm 2013/14 die Geschichte
des eigenen Unternehmens erzählt. Nun sollen die unveränderten
Darbietungen die griechische Mythologie versinnbildlichen. So
flexibel kann künstlerische Interpretation sein. Der tollkühne
Ikarus, der mit seinen Flügeln der Sonne zu nahe kam, wird durch
die vornehmlich in der Luft dargebotene Akrobatik der Truppe
Farfadais dargestellt. Sie ist mit vier Damen und vier Herren
unter der Leitung von Stéphane Haffner in der Show vertreten.
Opening, Jockeyreitererei
Im Eröffnungsbild sind die
Farfadais und die Familie Gruss gemeinsam zu sehen. Drei Duos
jeweils aus Mann und Frau zeigen Luftakrobatik an Tüchern. Diese
hängen an einem Metallring. Mit Pferdekraft der Gruss-Reiter
wird der Ring wie ein Karussell bewegt. Das ist ein schönes Bild
und einer der Momente, in denen beide Ensembles wirklich
zusammenarbeiten. Ansonsten bleibt häufiger der Eindruck, dass
zwei verschiedene Produktionen im Wechsel gezeigt werden.
Besonders deutlich wird dies auch in der musikalischen
Begleitung: Familie Gruss arbeitet zu den anspruchsvollen
Originalkompositionen aus der 2013er Produktion „Silvia“, die
Farfadais zu populären Popsongs aus den Charts, begleitet von
einer Sängerin. Dazu spielt in jedem Fall das formidable,
zehnköpfige Orchester des Cirque National Alexis Gruss. Bei der anschließenden
Jockeyreiterei wird das große Potenzial deutlich, das der
Familie Gruss aktuell zur Verfügung steht. Die Geschwister
Stephan, Firmin und Maud sind jung genug, Stephans Söhne
Charles, Alexandre und Louis alt genug, um gemeinsam ein
wunderbares Artistenensemble zu bilden. In mannigfaltigen
Varianten zeigen sie ihre Sprünge auf die galoppierenden Pferde.
Ein Salto zu Pferd und andere Höchstschwierigkeiten werden
jedoch nicht gezeigt.
Schaubild mit
Hoher Schule, Handstand- und Luftakrobatik, Musik und Gesang
Es folgen die Farfadais mit einer siebenfachen
Poledance-Nummer: Vier Herren räkeln sich direkt an der Piste an
den Stangen, drei Damen auf einem fahrbaren Bühnenwagen in der
Mitte der Manege. Wiederum aus dem Hause Gruss kommt die
fantastische Jonglage auf galoppierenden Pferden, die von den
Junioren Charles und Alexandre präsentiert wird. Das folgende Schaubild
vereint wieder Gruss und Farfadais: Ein männlich-weibliches Duo
zeigt Hebeakrobatik auf einem kreisenden Podium in der
Manegenmitte, um sie herum reiten Prinzipal Alexis Gruss und
seine Frau Gypsi eine doppelte Hohe Schule. Sohn Stephan spielt
dazu Trompete – und unter der Kuppel turnen zwei Herren und eine
Dame an drei großen Spiralen. Auch eine gemeinsame Akrobatik der
vier Farfadai-Damen in einem großen Ring gehört zu diesem Bild,
das ähnliche Nachteile hat wie ein Drei-Manegen-Circus. Sprich:
Weil mehrere Darbietungen gleichzeitig gezeigt werden, kann man
keiner mit voller Aufmerksamkeit folgen. Die volle
Aufmerksamkeit gebührt jedoch im Anschluss auf jeden Fall der
bildhübschen Maud Florees (geb. Gruss), wenn sie einen schwarz-braunen
Achterzug Freiheitspferde vorstellt. Der Aufbau des Gegenlaufs
oder die verschiedenen Farbwechsel beinhalten
Höchstschwierigkeiten, die heute absolute Raritäten in der
Manege sind! Bravo. Für die Pausennummer sorgen dagegen wiederum
die Farfadais: Die Sängerin wird in einer Art Riesenkleid unter
die Kuppel gezogen, darunter drehen sich vier Artisten an einem
Strapaten-Karussell und zeigen zwei Herren einen Duo-Luftring.
Steiger-Potpourri, Pyramide zu Pferde, Batoudespringen
Wiederum mit großem
Requisiten-Brimborium wird der zwei Programmteil eröffnet.
Diesmal zeigen zwei Herren und zwei Damen der Farfadais Kraft
und Beweglichkeit bei ihrer Artistik an und in einer
wassergefüllten Plexiglas-Kugel. Dazu regnet es aus der
Zeltkuppel – und man fragt sich, ob manchmal nicht weniger mehr
wäre. So wie beim anschließenden, schlichten Solo-Handstand
eines Farfadai-Artisten. Wiederum aus „Silvia“ bekannt,
einschließlich der edlen Kostüme im Metallic-Look, sind die
anschließenden Pferdenummern der Familie Gruss. Dazu gehören das
Batoudespringen über bis zu fünf Pferde, die große (und
longengesicherte) Pyramide zu Pferd sowie ein Potpourri feuriger
Steiger, die Alexis Gruss persönlich in die Manege bringt. Ein
Jammer ist freilich, dass zwar ausschließlich bekannte Nummern
aus „Silvia“ gezeigt werden, auf die sensationelle Ungarische
Post mit 14 Vorauspferden jedoch verzichtet wird. Ohnehin räumt
diese Produktion den Farfadais breiten Raum ein. Die Familie
Gruss zeigt dagegen nur ihre Pferdenummern, setzt aber ihr
hochstehendes clowneskes, musikalisches und artistisches Können
(abgesehen von Artistik auf Pferden) nicht ein. Auch
Elefantendame Syndha pausiert, auf Komik wird in „Pégase et
Icare“ leider völlig verzichtet.
Pferdefreiheit und
Luftakrobatik
Wenn Alexis Gruss sechs
Pferde in zwei Dreiergruppen gleichzeitig flechten lässt, ist
das ein zirzensischer Hochgenuss. Da wäre es gar nicht
notwendig, dass obendrüber noch ein achtfaches Luftballett an
Tüchern aufgeführt wird – es lenkt nur ab, Zuschauer und Pferde.
Auf einen Tanz weißer Fabelwesen folgt schließlich nochmal Maud
Florees im wundervollen blauen Kleid und mit fünf
herrlichen Friesen in Freiheitsdressur. Mit einer
Materialschlacht bringen die Farfadais das Programm zum Ende.
Nun wird in der Manege eine Art Pool mit Springbrunnen
errichtet. Unter der Kuppel wird noch einmal Luftakrobatik
gezeigt – in Gitterkugeln und in einem dreifachen Luftring,
jeweils im Regen des Springbrunnens. Mit
den knappen Kostümen, in denen die Farfadais arbeiten, wird in
der gesamten Vorstellung ganz
offen auf eine stark homoerotisch geprägte Ästhetik gesetzt.
Auch das findet nun mit Herren im Wassernixen-Outfit seinen
Höhepunkt. |