Passend zum großen Rahmen ist
das starke Licht mehr pompös denn verspielt, das Orchester von
Markus Jaichner spielt – immer, wenn es spielen darf –
exzellent. Großen Anteil an der gelungenen und flüssig
ablaufenden Show hat in diesem Jahr Starclown Bello Nock, der
sich vollkommen in den Dienst der Sache stellt. Mit seinen
vielfältigen Reprisen können die stets zügig ablaufenden
Umbauten mühelos überbrückt werden. Und dank seines breiten
Repertoires zeigt er nur Szenen, die es bei seinem ersten
Stuttgart-Auftritt vor drei Jahren noch nicht zu sehen gab.
Bravo!
Willer Nicolodi, Bello
Nock, Steve Eleky
Besonders in Erinnerung
bleibt zum Beispiel sein wagemutiger Auftritt, bei dem er
mittels Strickleiter ein verlorenes Seil aus der Zeltkuppel
zurückholen muss. Dabei sorgt er mit einem Sturz von einer
Plattform in schwindelnder Höhe für eine Schrecksekunde – bis
ihn zwei Bungee-Seile sicher fangen. Unerschrocken zeigt sich
Nock auch im Prolog der Show. Darin erklimmt er einen
schwankenden Masten in Form einer beeindruckend hohen „Laterne“.
Diese saust er schließlich kopfüber wieder hinunter. Zurück am
Boden, führt er mit den Worten „Please Welcome your Ringmaster“
auf charmante Weise den neuen Moderator Willer Nicolodi ein.
Freilich, den unvergessenen Peter Goesmann kann niemand
ersetzen. Doch Nicolodi, bisher bekannt als Bauchredner, macht
seine Sache gut und redet niemals zu lang. Bestimmt wird er mit
zunehmender Routine auf seine Notizkarten verzichten können. Für
noch mehr Humor neben den Reprisen von Bello Nock sorgt Steve
Eleky. Seine beiden Auftritte als Jongleur und Illusionist hat
er für Stuttgart zu einer einzigen Nummer, einer Art „Best of
Eleky“, verbunden. Die Schlagzahl ist höher denn je, eine
Lachsalve jagt die nächste. Bereits ab dem ersten Gag – „Hai!“ –
hat er die Stuttgarter voll im Griff.
Merrylu Casselly und
József Richter jun., Familie Casselly, Maycol Errani
Die Produzenten Henk van der
Meijden und Monica Strotmann haben in den Programmen des
Weltweihnachtscircus Stuttgart stets Wert auf ausgesuchte,
hochklassige Tierdressuren – auch mit Wildtieren – gelegt. Das
wurde noch nie so deutlich wie in diesem Jahr. Die drei
Tierdarbietungen sind an den prominentesten Stellen des
Programms platziert: als erste Nummer nach dem Opening, als
Pausennummer und als Schlussnummer. Den Beginn machen Merrylu
Casselly und ihr Verlobter József Richter jun. mit einem Pas de
Deux zu Pferd. Es ist ein wunderbares Bild, für das die beiden
hervorragend aussehenden jungen Menschen sorgen. Dabei werden
alle Schwierigkeiten geboten, die in diesem Genre denkbar sind –
der Stand auf dem Kopf des Partners ohne Longensicherung
beispielsweise. Besonders beeindruckend sind auch die Passagen,
bei denen József Richter seine Partnerin ähnlich wie bei einem
Rock’n’Roll-Tanz auf seinen Schultern kreisen lässt. Merrylu
Casselly ist später mit ihrem Vater Rene, Mutter Alexia und
Bruder Rene jun. mit Akrobatik auf Elefantenrücken zu sehen.
Auch in Stuttgart kommt die Darbietung der Cassellys –
Gold-gekrönt in Monte Carlo – bestens an. Höhepunkt ist der
Dreifache von Rene jun. auf einen Elefantenrücken. Leider wird
von den Tricks am Elefanten-Schleuderbrett aus dem gesamten
Repertoire nur dieser eine gezeigt. Der eigentliche Höhepunkt
des aktuellen Weltweihnachtscircus-Programms ist für mich jedoch
die Pferdedressur der Familie Knie. Géraldine Knie leitet die
Darbietung zunächst mit zwei Freiheitspferden und einem Pony
ein. Den Hauptteil übernimmt ihr Ehemann Maycol Errani – die
große Freiheitsdressur mit zunächst zwölf, dann 18 wunderschönen
Pferden. Schließlich kommen zehn weitere Hengste hinzu, und
Maycol Errani formiert die 28 Tiere mit bewundernswerter
Umsicht, Ruhe und leichter Hand zu einem formidablen Karussell
auf drei Bahnen. Das Licht erlöscht, und die Leuchtgeschirre der
Pferde sorgen für ein besonders stimmungsvolles Bild in der
Manege. Das Publikum tobt. Ebenso federleicht, wie es entstanden
ist, wird das Karussell wieder aufgelöst. Mit diversen Da Capi –
präsentiert von Maycol Errani, Géraldine Knie und Töchterchen
Chanel Marie – geht dieser equestrische Hochgenuss zu Ende.
Truppen aus China,
Nordkorea und Moskau
Insgesamt fünf große Truppen
hat dieses Programm zu bieten. Die erste kommt aus China und ist
für eine der ganz großen Sensationen zuständig. Schließlich
hätte man Ikariersprünge im Kopfstand über mehrere Stationen
bzw. Untermänner hinweg bisher wohl für unmöglich gehalten. Die
neun Herren aus Zhejiang beweisen, dass es geht. Zum Abschluss
der Nummer springt ein Artist zwölf Stufen einer Art Treppe
hinauf, ebenso im Kopfstand. Die Treppe wird von Untermännern im
Zwei-Mann-Hoch getragen. Weitere Sensationen liefern neun Herren
und eine Dame vom Nationalcircus von Pjöngyang. Sie kombinieren
hier eine Russische Schaukel mit zwei verschiedenen Fangstühlen
– einer ist mit einem Fänger, der andere mit zwei Fängern
besetzt. Von diesen Stationen führt der Weg am Ende wieder zu
einer Matte am Boden. Der große Apparat ermöglicht
schlussendlich einen Sprung über eine Rekorddistanz von 20
Metern von der Schaukel zum oberen Fangstuhl. Die Kolyhalov aus
Moskau zeigen nach der Pause sportliches Können an einer
Kombination aus Reckstangen auf mehreren Ebenen. Dieses wird in
eine Piraten-Inszenierung gekleidet.
Diabolo-Girls, "Über den
Wolken"
Die zwei rein weiblichen
Truppen im Programm schaffen besonders schöne Momente. Dem
Dutzend „Diabolo-Girls“ gelingt dabei die richtige Balance aus
enormem Können und bezaubernder Musik, perfekter Choreographie
und herrlichen Federschmuck-Kostümen. Ähnliches gilt für die
Darbietung „Über den Wolken“ – die wohl erste Darbietung im
Genre „Russische Schaukel“, die nur von Frauen gezeigt wird. In
ihren langen Kleidern sorgen sie bei ihren Sprüngen und Salti
von einer Schaukel zur anderen für wunderbare Bilder.
Trio Stoian, Yves und
Ambra Nicols, Shcherbak und Popov
Fünf Duos oder Trios
komplettieren das artistische Programm. Dabei zeigt das Trio
Stoian eine Nummer am Russischen Barren, wie sie sein sollte:
Zwei Untermänner, eine Fliegerin und natürlich das Requisit sind
alles, was hier benötigt wird. Auf Hilfestellung durch weitere
Partner am Boden wird vollkommen verzichtet. Höhepunkt dieser
riskanten Darbietung ist der sicher gesprungene „Dreifache“.
Hoch hinaus geht es auch für die Fratelli Errani bei ihren
Sprüngen und Salti auf der Koreanischen Wippe. Einmal mehr
beweisen die Brüder Maycol, Guido und Wioris Errani hier in
einem weiteren Genre ihre unerhörte Vielseitigkeit. Und
schließlich erhält die bestens bekannte Tüchernummer von Yves
und Ambra Nicols in der beeindruckenden Höhe und in dem
gewaltigen Luftraum des riesigen Stuttgarter Chapiteaus eine
ganz neue Dramatik. Ein Großerfolg beim Publikum an diesem
Abend! Patrick Brumbach und seine Frau Sonja präsentieren ihr
riskantes Messerwerfen in neuen Kostümen und mit neuem Requisit.
Henry Gassmann wertet die Darbietung mit seinen Feuerspielen
zusätzlich auf. Sie ist der beste Beweis, dass auch ganz
traditioneller Circus stets seinen Platz in Stuttgart findet.
Vertreter des modernen Circus sind dagegen Shcherbak und Popov.
Zur Musik aus „Singin‘ in the Rain“ werden hier Höchstleistungen
der Hand-auf-Hand, Handstand- und Wurfakrobatik nicht wie üblich
kraftstrotzend-maskulin, sondern mit beschwingt-heiterer Note
dargeboten. Der ebenso angekündigte Picasso jun. (Jonglage) ist
aktuell nicht im Programm. |