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Wereldkerstcircus Carré 2016/17
www.carre.nl ; 200 Showfotos

Amsterdam, 28. Dezember 2016: Welch eine Stadt, welch ein Theater, welch eine Show! Zwischen den Jahren hat Amsterdam seinen ganz eigenen Charme. Denn dann leuchtet die Stadt mit den vielen Grachten noch mehr als sonst. Dank des Amsterdam Light Festivals finden sich viele Lichtinstallationen auf dem Wasser, viele Brücken sind mit unzähligen Glühbirnen geschmückt. Es entsteht eine wohlige, gemütliche Atmosphäre. Wenn man sich treiben lässt, hat man gute Chancen, wie von selbst zum Theater Carré zu gelangen. Das prächtige Haus liegt an der Amstel, mitten im Zentrum der niederländischen Metropole.

Anfang Dezember 1887 fand in dem imposanten Gebäude im Neorenaissance-Stil die erste Circusvorstellung statt. Circusdirektor Oscar Carré hatte den Bau errichten lassen, um dort im Winter eine Spielstätte für sein Unternehmen zu haben.


Königliches Theater Carré

Heute findet das 2004 geschmackvoll renovierte Haus vor allen Dingen als Theater Verwendung. Klassische und zeitgenössische Konzerte locken die Besucher. Von Mitte Dezember bis Anfang Januar wird das Gebäude wieder gemäß seines ursprünglichen Zwecks verwendet. Dank Stardust Circus International und Interpresario wird hier Circus gespielt – Wereldkerstcircus. In diesem Winter bereits zum 32. Mal. Dann werden die Sitze im Parkett entfernt, um an dieser Stelle eine Manege einzubauen. Dafür dürfen einige Zuschauer dort Platz nehmen, wo sonst ihre Stars auftreten. Auf der Bühne. Die steil ansteigenden Ränge erlauben spannende Blicke auf das Geschehen. Ob unmittelbar an der Manege, in den erhöhten Logen oder ganz oben unter dem Dach, jede Perspektive hat ihre eigenen Reize. Das Orchester sitzt in einem „Nest“ über der Bühne. Das wunderbare Lichtdesign schafft zusätzlich Atmosphäre. Ganz hervorragend in diesem Rahmen passt Tony Wilson. Der Sprechstallmeister strahlt eine Noblesse aus, die perfekt mit der gesamten Szenerie harmoniert. In steifer, aber sehr sympathischer Weise kündigt er die einzelnen Darbietungen an. Die Formulierungen lehnen sich an jene an, die wir vom Weltweihnachtscircus in Stuttgart kennen.


Fredy Knie Jr.

Dort konnten wir im Winter 2015/16 auch viele der fantastischen Nummern erleben, die jetzt in Amsterdam gezeigt werden. Allen voran das groß herausgestellte Pferdekarussell des Schweizer National-Circus Knie. In Stuttgart noch von Maycol Errani vorgeführt, steht nun Fredy Knie Jr. im Mittelpunkt der drei Bahnen mit insgesamt 26 Pferden. Der Grandseigneur der Pferdedressur und Circusdirektor feierte 2016 seinen 70. Geburtstag. Seit 65 Jahren steht er in der Manege. Schon in seiner Begrüßung weist Monsieur Loyal Tony Wilson auf seinen Auftritt hin. Das Programmheft widmet ihm mehrere Seiten. Und natürlich hat Fredy Knie Jr. einen prominenten Platz im Programm. Direkt vor der Pause präsentiert er gewohnt gekonnt anspruchsvolle Dressurbilder mit ausgewählt schönen Pferden. Mittelpunkt ist das Karussell. Einen zusätzlichen, für mich nicht unbedingt notwendigen, Effekt geben die beleuchteten Geschirre, die im abgedunkelten Saal zur Wirkung kommen. Zahlreiche Steiger runden die Vorführungen ab. Das Publikum feiert Fredy Knie Jr., der schon viele Saisons im Wereldkerstcircus Carré absolviert hat. Wunderbar unterstützt wird – nicht nur diese – Nummer durch die Musik des Orchesters. Kein Wunder, spielt doch die Knie-Formation unter der Leitung von Ruslan Fil.


Jozsef Richter, Diabaolospiele und Reifenspringer vom Chinesischen Staatscircus

Der einzige Wermutstropfen dieser Show ist, dass es außer Pferden keine anderen Tierarten zu sehen gibt. Jozsef und Merrylu Casselly verzaubern uns mit einem Pas de deux zu Pferd. Das seit nicht ganz einem Jahr verheiratete Paar harmoniert wunderbar. Ihre Kür enthält viele schwierige Tricks, „You'll be in my heart“ von Phil Collins gehört zur musikalischen Begleitung. Lebhafter geht es bei der Jockeyreiterei vor dem Finale zu. Zackige ungarische Folklore gibt den Takt vor und ist auch stilgebend für die Kostüme. Joszef und Merrylu Richter stehen im Mittelpunkt. Begleitet werden sie von verwegenen Reitern und Tänzerinnen. In atemberaubendem Tempo präsentieren sie in Perfektion all das, was man von solch einer Reiterei erwartet. Zum Schluss lässt Jozsef die ungarische und die niederländische Fahne auf dem Pferderücken fliegen. Ein manegenfüllendes Bild, das jeden mitreißt. Für ein volles Rund sorgen auch die beiden Truppen vom Chinesischen Staatscircus. Die Damen jonglieren liebreizend mit Diabolos, die Herren springen elegant durch Reifen. Höchstes artistisches Können ist garantiert, wurden doch beide Nummern mit einem Goldenen Clown ausgezeichnet. Dank ausgefeilter Choreographien ergibt sich daraus ein faszinierendes Gesamterlebnis.


Luftnummer vom Nationalcircus von Pjöngjang

Eine große Formation hat zudem der Nationalcircus von Pjöngjang nach Amsterdam entsendet. Die Raumfahrt stand Pate bei der Gestaltung dieser spektakulären Darbietung. Bis ins Weltall fliegen die tapferen Astronauten – eine Dame und acht Herren - nicht, dafür aber bis fast unter die Kuppel des Theaters. Eine Russische Schaukel bildet quasi die „Abschussrampe“. Ganz oben wartet ein Fänger auf die Flieger. Auf halber Höhe gibt es zudem zwei nebeneinander stehende Fänger. Dieser Aufbau lässt viele Flugvarianten zu, die die Nordkoreaner mutig wagen. Ein Riesensatz über die volle Distanz von 20 Metern gehört selbstverständlich zum Repertoire. Nicht ganz so hoch hinaus geht es für die sieben Damen der Truppe Skokov. „Über den Wolken“ haben sie ihre Nummer an zwei Russischen Schaukeln überschrieben. In einer durchgehenden Choreographie mit tänzerischen Elementen fliegen sie durch die Lüfte von Schaukel zu Schaukel oder von der Schaukel auf eine Matte. Dabei tragen sie lange hellblaue Röcke, wodurch wunderschöne Effekte erzeugt werden. Abschluss ist hier der doppelte Sprung „über Kreuz“. Deutlich rauer geht es bei der Kolykhalov-Truppe zu. Schließlich sind hier handfeste Piraten zugange. Am Reck springen sie sehr gewandt von Stange zu Stange. Kraftvolle Akrobatik wird hier mit Seeräuber-Attitüde gepaart. Kreiert hat diese Darbietung Askold Zapashny, der artistische Direktor des Großen Russischen Staatscircus.


Picaso Jr., Encho Keryazov, Yves und Ambra

Bestens bekannt von Engagements in hiesigen Unternehmen sind Picaso Jr., Encho Keryazov sowie Yves und Ambra. Piacaso Jr. fasziniert wie eh und je mit seinem traumwandlerischen Spiel mit Tischtennisbällen. Zunächst jongliert er die kleinen Zelluloid-Kugeln mit einem Holzschläger, dann mit dem Mund. Zu Höchstform läuft der Publikumsliebling auf, wenn er Plastikteller durch die Luft fliegen lässt. Dann verfolgt er sie quer durch den Zuschauerraum und bezieht die Gäste in sein Spiel mit ein. Schon mit seinem eindrucksvollen Körper beeindruckt Encho Keryazov das Publikum. Souverän lässt er seine Muskeln spielen, um seine perfekt inszenierte Handstandakrobatik aufzuführen. An den Klötzchentrick schließt sich ein Einarmer auf einer sehr hohen Stange an. Muskelkraft benötigen auch Yves und Ambra Nicols. Bei ihrer Artistik an Tüchern wechseln sie sich beim tragenden Part ab. Mal hält Ambra Yves fest, mal ist es umgekehrt. Die anspruchsvollen Figuren verpacken sie in einen sinnlichen Tango; Leidenschaft pur. Hinzu kommt der Livegesang von Yves. Von jedem Platz ergibt sich eine andere, interessante Perspektive auf die Flugsequenzen, die in enormer Höhe gearbeitet werden.


Brumbachs, Alexander Batuev, Duo Miracle

Im wahrsten Sinne des Wortes „heiße“ Action bringen die Brumbachs ins Theater Carré. Im Lederoutfits kommen sie auf einem schweren Motorrad in die Manege. Präzise wirft Patrick Brumbach Messer und andere Requisiten auf ein Brett. Immer knapp am Körper seiner daran stehenden Partnerin vorbei. Nervenkitzel ist also garantiert. Komplettiert wird die Show durch spektakuläre Feuerspiele von Henry Gassmann. Ein ungewöhnliches Outfit für einen Klischnigger hat sich Alexander Batuev ausgesucht. Seine unglaublichen Verrenkungen arbeitet er als smarter Business-Manm in schwarzer Hose, weißem Hemd und Krawatte. Der 25-jährige Russe verbiegt seinen Körper so, dass einem schon vom Zusehen alle Knochen wehtun. Am Ende faltet er sich selbst akkurat in eine Metallkiste. Der Kontorsion verschrieben haben sich Evgeniya und Roman. Als Duo Miracle zeigen sie ein Pas de deux am Boden. Bei diesem sinnlichen Ballett dehnen sie ihre Körper so, als wären sie wirklich aus Gummi. Es ist eine innovative Präsentation dieser Disziplin, die spannende Eindrücke vermittelt.


Rob Torres und Tony Wilson

Endgültig ins Herz geschlossen habe ich Rob Torres. Nachdem ich ihn bereits bei verschiedenen Produktionen erleben durfte, hat er mich in Amsterdam vollends für sich gewonnen. Der Clown aus New York gibt den vermeintlich kleinen Jungen, der die Welt mit kindlichen Augen sieht. Tollpatschig spaziert er durchs Leben. Allerdings hat er es faustdick hinter den Ohren. Ungeniert lebt er kleine Gemeinheiten aus. Dann wieder freut er sich wie ein Kleinkind, wenn dem Mädchen aus dem Publikum die Tricks gelingen, die er ihr gezeigt hat. Zudem hat er ein beneidenswertes Timing. Und das nicht nur innerhalb seiner Auftritte. Er betritt immer genau dann die Szenerie, wenn das Programm eine Auflockerung benötigt. Immer ist er höchst willkommen, nie nervt er, nie wirkt er zu aufdringlich.

Rob Torres ist das, was im Englischen als „icing on the cake“, als Sahnehäubchen bezeichnet wird. Er setzt einer grandiosen Show die Krone auf. Für mich wird dieser erste Besuch beim Wereldkerstcircus im „königlichen Theater“ Carré eine unvergessliche Erinnerung bleiben. Der Prachtbau und die Auftritte erlesener Darbietungen bilden ein eindrucksvolles Gesamtkunstwerk. Welch ein Erlebnis!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch