Die
große Luftnummer mit komplizierten Aufbauten fehlt in diesem Winter
ganz. Was aber nicht heißt, dass dieser hochkarätigste aller
Weihnachtscircusse sein Niveau gesenkt hat. Der Fokus wurde eben
verschoben. Hinzu kommt, dass die große Truppe aus China mit
faszinierenden Choreographien aufwartet. Nur die Nordkoreaner setzten
weiterhin ganz auf Leistung.
Vasily Timchenko, Menno & Emily van Dyke, Grosser Chinesischer Staatscircus Xinjiang
So
verwundert es nicht, dass meine drei persönlichen Favoriten bei diesem
Weltweihnachtscircus von ganz unterschiedlicher Natur sind. Zunächst
ist da Vasily Timchenko, der an diesem Abend drei Seelöwen in die
Manege bringt. Darunter ist ein Bulle von eindrucksvoller Größe. Sein
Spiel mit den Meeressäugern ist faszinierend. Der junge Russe und seine
Schützlinge sind ein eingespieltes Team. Neben bekannten Tricks sehen
wir außergewöhnliche wie das gleichzeitige Drehen von Reifen mit
Schnauze und einer Flosse. Hinreißend ist die Sequenz, in der
Timchenko seinen Tieren Fisch anbietet und sie mit großen
schauspielerischen Fähigkeiten reagieren. Das Finale gehört dem Bullen
im Solo. Für seinen Einsatz wird er mit einem seiner Größe angemessenen
Fisch belohnt. Emotionen pur beim Juggling Tango von Menno und Emily
van Dyke. Er ist Jongleur, sie Tänzerin. Gemeinsam zelebrieren sie
einen Tango, der auf geniale Weise Artistik, Tanz und enorme
Ausdruckskraft vereint. Das Spiel mit Bällen und Keulen wird hier als
ungeheuer intensiver Paartanz inszeniert. Es ist eine jener Nummern,
die im intimen Rahmen des Tigerpalasts genauso funktionieren wie unter
dem großen Chapiteau des Weltweihnachtscircus. Genial unterstützt wird
dieser Auftritt durch das famose Orchester von Markus Jaichner, welches
zumindest einen Teil der Begleitung übernimmt. Die Musik spielt auch
bei der Truppe vom Großen Chinesischen Staatscircus Xinjiang eine
übergeordnete Rolle. Peter Tschaikowski ist der Komponist. Sein
Schwanensee stand Pate für die ungeheuer eindrucksvolle
Handstandakrobatik von nicht weniger als 20 männlichen Artisten. Immer
wieder lassen die Männer in den weißen, mit Fransen besetzten Hosen
neue, riesige Bilder entstehen. Es ist ein durchgehendes Schauspiel,
welches anspruchsvollste Akrobatik und Tanz auf geniale Weise
miteinander verschmelzen lässt. Ein einziger Rausch, dem man sich
endlos hingeben möchte.
Großer Chinesischer Staatscircus Xinjiang, Nationalzirkus von Pjönjang, Amazonen um Valentina Kulkova
Die
Truppe aus Xinjiang eröffnet mit ihren Lassospielen zudem das Programm.
Auch hier gibt es eine durchgehende Choreographie. Die rotierenden
Seile werden dazu genutzt, große Schaubilder zu kreieren. Schaubilder,
die dank artistischer Höchstleistungen im Circus ihren berechtigten
Platz haben. Im Januar 2017 geht es für diese Truppe zum
Internationalen Circusfestival von Monte Carlo. Während der kommenden
Sommersaison ist sie beim Schweizer National-Circus Knie zu erleben.
Der Nationalzirkus von Pjöngjang schickt in diesem Winter eine
Kombination aus Russischer Schaukel und Reck an den Neckar. Eine Dame
und sechs Herren springen von der Schaukel zur Reckstange und zeigen an
beiden Geräten hochstehende akrobatische Leistungen. Schlusspunkt ist der präzise Sprung durch einen hoch aufgehängten
Reifen. Gehört den Nordkoreanern die Nummer vor dem Finale, müssen sich
die Amazonen um Valentina Kulkova mit dem undankbaren Platz direkt nach
der Pause begnügen. Während sie auftreten, ist ein guter Teil des
Publikums noch dabei, auf seine Plätze zurückzukehren. Schade, denn
dieses rassigen Reiterspektakel hat zweifelsfrei die ungeteilte
Aufmerksamkeit verdient. Die fünf mutigen Artistinnen beweisen, dass
auch Frauen „wie der Teufel“ reiten können. In fantastischen Kostümen
jagen sie immer schneller auf ihren Pferden durch die Manege. Sie
zeigen mit unbändigem Temperament etliche Tricks der Dshigitenreiterei,
die von wilden Schreien begleitet werden. Dabei ist höchstes Tempo
angesagt. Nur Valentina Kulkova steht vergleichsweise ruhig in der
Mitte und dirigiert den Galopp der Pferde.
Fratelli Errani und Chanel Marie Knie, Maycol Errani, Wolfgang Lauenburger
Wenn
wir vom Weltweihnachtscircus und von Pferden sprechen, sprechen wir
natürlich auch von der Familie Knie. Es ist inzwischen zur Tradition
geworden, dass die Pferdedressuren aus dem Saisonprogramm des
Schweizer National-Circus im folgenden Winter in Stuttgart zu sehen
sind. In der laufenden Spielzeit ist ein wenig Improvisation angesagt.
Denn für einige Zeit zeigt Freddy Knie junior beim Wereldkerstcircus in
Amsterdam parallel das große Karussell,
für das die meisten Pferde
benötigt werden.
So präsentiert sein
Schwiegersohn Maycol Errani statt der Friesenfreiheit einen Sechserzug
Falben. Eingeleitet wird diese mit einer schönen Szene, in der Errani
auf einer drehenden Glitzerplattform auf einem Friesen sitzt. Es folgt
die von seiner Gattin Geraldine Katharina Knie präsentierte Freiheit
mit Kamelen, Zebras und Lamas. Da Capi runden dieses Tableau ab.
Imposanter Start der Jockeyreiterei der Fratelli Errani ist die
Pyramide zu Pferd auf drei Etagen, an deren Spitze mutig die kleine
Chanel Knie steht. Nach Sprüngen auf dem Pferd sowie von Pferd zu
Pferd, gibt es auch hier eine Umstellung zum Saisonprogramm. Die
Zwillinge Charles und Alexandre Gruss sind zum Unternehmen der Familie
nach Paris zurückgekehrt. Kein Problem für die Erranis, sie übernehmen
die Jonglagen zu Pferd einfach selbst. Immer eine sichere Bank sind
Wolfgang Lauenburger und seine quirlige Rasselbande. Die
quicklebendigen Hunde brennen nur darauf, die erlernten Kunststücke
zeigen zu dürfen. Offensichtlich sind sie mit größter Freude bei der
Sache. Eine Freude, die sich auf das Publikum überträgt.
Alex Michael, Trio Bellissimo, Jonathan Morin & Marie-Eve Bisson
Sechs
weitere Nummern komplettieren den artistischen Part. Eine extra-große
Portion Nervenstärke benötigt Alex Michael. Ohne jegliche Sicherung
zeigt er den Deckenlauf und springt von einem schwingenden Trapez zu
einem ruhig hängenden. Beim zweiten Satz fängt er sich sogar nur mit
den Füßen. Entspannung setzt erst ein, wenn er sicher auf den Boden
zurückgekehrt ist. Immer wieder traumhaft schön ist die
Partnerakrobatik des Trio Bellissimo zur spanischen Version des Songs
„All by myself“. Ihre sinnliche Kür erfordert viel Kraft und ein
enormes Gleichgewichtsgefühl. Daran mag man beim Zuschauen gar nicht
denken. Man möchte einfach nur diese fantastische Choreographie voller
akrobatischer Hochleistungen genießen. Auch Jonathan Morin und
Marie-Eve Bisson bedienen sich für ihren Auftritt eines bekannten
Songs. „I don't want to miss a thing“ bildet die Untermalung für ihre
Luftnummer am Aerial Crossed Wheel. Das sind zwei Reifen, die so ineinander gelegt
sind, dass eine stilisierte Kugel entsteht. Daran erzählt das
sympathische Paar aus Kanada eine ungemein sinnliche Liebesgeschichte,
die doch so gefahrvoll ist. Schließlich geht es für sie unter die hohe
Kuppel des Sechsmasten-Chapiteaus. Die dort gezeigten Figuren sind
nicht ohne Risiko.
Shirley Larible, Skating Flash, Duo Kvas
Über
der Manege schwebt auch Shirley Larible. Dort hängt das Netz, an dem
sie ihre Luftakrobatik arbeitet. Es ist eine schöne Kür, die viele
sinnliche Momente bereithält und zum Träumen animiert. Sie endet mit
etlichen Umschwüngen an einer Schlaufe. Eine Rollschuhnummer muss nicht
zwingend in großer Höhe stattfinden. Aber sie kann. Das beweist das Duo
Skating Flash. Leo und Ursula jagen auf ihren Rollschuhen über ein
Hochpodium. Dadurch bekommen die bekannten Tricks dieses Genres einen
ganz neuen Reiz. Zudem wissen die Vertreter der Circusdynastien Rossi
bzw. Dias, sich gekonnt in Szene zu setzen. Mit einem Kopf-auf-Kopf
endet die starke Partner-Akrobatik des Duo Kvas. Dabei balanciert
Vladimir Kostenko seinen Partner Anton Savchenko nicht nur im Stand,
sondern setzt sich mit ihm auf dem Kopf zudem auf den Boden. Gleich
darauf geht es in den Stand zurück. Schon zuvor haben die Ukrainer mit
den Traumkörpern das Publikum mit einer ausgefeilten Abfolge
anspruchsvoller Figuren begeistert.
Pavel Boyarinov, Fréres Taquins, Martin Bukovsek
Eine
recht kurzfristige Umbesetzung gab es in der Kategorie Humor. Starclown
David Larible lud auf den Plakaten und sonstigen Werbemitteln zum
Besuch des Weltweihnachtscircus ein. Ende November entschied sich die
Stardust International GmbH als Veranstalterin, vom Engagement Laribles
abzusehen. Zu Beginn des Gastspiels sorgte nun Housh-Ma-Housch für den Humor.
Wir erleben an diesem Abend Pavel Boyarinov sowie die Frères Taquins.
Boyarinov ist ein poetischer Clown, ein Vertreter der klassischen
russischen Schule. Seine Auftritte sollen zum Schmunzeln, zum
herzlichen Lächeln animieren. Er erzählt kleine Geschichten, wie die von
einem aufziehbaren Elefant, der sich als Hund entpuppt. Oder von einem
zarten Schmetterling, der ein jähes Ende findet. Für weitaus
lauteres Lachen sorgen da die Frères Taquins. Ein tüftelnder Professor
und sein Automatenmensch, der sich letztendlich in eine Zuschauerin
verliebt und mit ihr tanzt. Zusammen sorgen sie für die größten Lacher
der Show. Das auch, weil Trampolin-Komiker Costin in der von uns
besuchten Vorstellung verletzungsbedingt nicht dabei ist.
Auf der Suche nach einem
Nachfolger für den langjährigen Sprechstallmeister Peter
Goesmann präsentiert Stardust
wieder eine neue Besetzung. Der in der
vergangenen Spielzeit eigentlich als dauerhafte Lösung eingesetzte Willer Nicolodi ist schon wieder Geschichte. Nun führt uns Martin
Bukovsek durch das Programm. Der gebürtige Stuttgarter wirkt
sympathisch und hat offenbar seine Hausaufgaben gemacht. Die
Moderationen im bekannten Stil („Hier in Stuttgart.“) hat er perfekt
drauf. Allerdings ist seine Stimmlage für diese Aufgabe nicht passend.
Zudem kommt bei seinen hochdeutschen Moderationen immer wieder das
Schwäbische durch.
Das wirkt in einem so
internationalen Programm jedoch deplatziert.
Daneben fehlt
es ihm noch an Ausstrahlung in diesem großen Rahmen. Umso schöner, wenn es
in dieser Produktion andere Konstanten gibt: das wie erwähnt großartige Orchester
von Markus Jaichner, das fulminante Lichtdesign von Christian Bock und
die ausgereifte Regie von Patrick Rosseel. Und dann ist da noch die gute Seele
des Weltweihnachtscircus: Hetty Vermeulen hat bislang alle
24 Ausgaben als Produktionsleiterin betreut.
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