Wiederum hat Thierry Fééry
seine Zeltanlagen auf dem weitläufigen Champs de Mars
aufschlagen lassen. Seit mehr als 60 Jahren ist ein herbstliches
„Circusfest“ Tradition in der nordfranzösischen Großstadt nahe
Belgien; seit nunmehr 31 Saisons ist Fééry Veranstalter und
Produzent. Während ursprünglich im Palais Rameau gespielt wurde,
erfolgte 2002 der Umzug ins Zelt.
Chapiteau
Seit 2010 besitzt Féery
eigenes Material. Das weiße Chapiteau ist durch zwei außen
liegenden Bögen im Inneren mastenfrei. Darüber hinaus reicht die
Tribüne bis an die Manege heran. Somit ist jede Sitzreihe
ansteigend gegenüber der vorherigen, Logen eingeschlossen. Zelt-
und Gradinkonstruktion zusammen garantieren beste Sicht für
jeden. Gleichzeitig wird hier mit 2300 Plätzen vorbildhaft
gezeigt, wie ein großes Publikum in einem immer noch kompakt
wirkenden, atmosphärischen Rahmen untergebracht werden kann.
Liebevoller gestaltet könnte dagegen das recht schlicht
eingerichtete Vorzelt sein. Die vorletzte Vorstellung der
Spielzeit ist nahezu ausverkauft, wie nach Féérys Aussage das
Gastspiel insgesamt. Dabei setzt er auf äußerst moderate Preise;
Loge und frontale Tribünenplätze werden regulär für 27 Euro
angeboten.
Hebei Acrobatic Troupe,
Sixto und Lucia, Evgeny Komisarenko
Zum Beginn sorgt gleich eine
achtköpfige Truppe aus Hebei (China) für eine gut gefüllte
Manege. Einzeln und gemeinsam wird mit Hüten jongliert, und das
bis zu „Drei-Etagen-Hoch“. Das außergewöhnlich zusammengesetzte,
aber jederzeit begeisternde Programm kommt ohne Luftnummer und
ohne Pferde aus. Dafür ist es unter anderem gelungen, zwei
Tiernummern vom Nikulin-Circus aus Moskau nach Lille zu holen.
Evgeny Komisarenko präsentiert zunächst weiße Pudel
unterschiedlicher Größe. In großem Tempo wird eine umfangreiche
Abfolge von Tricks absolviert, viele davon auf den Hinterbeinen.
Später zeigt er, anders als geplant, anstelle der Tierlehrerin
Asel Saralaeva auch die Katzendressur. Hangel- und
Kletterpartien gehören ebenso zum Repertoire wie verschiedene
Sprünge oder ein Lauf auf der Spiegelkugel. Auf Tempo, Tempo,
Tempo setzen Sixto Rodriguez und Lucia Rivera bei ihren
Kostümillusionen. Passend zu ihrer kubanischen Heimat lassen sie
sich zunächst von südamerikanischen Rhythmen begleiten.
Fantastisch, wie Lucia in einem Stoffsack dreimal nacheinander
das Kostüm wechselt, jeweils nach Wimpernschlägen. Überraschend,
wie beide in einem Sack gleichzeitig das Kostüm wechseln und im
Strand-Outfit wieder erscheinen. Das dann sofort wieder gegen
einen eleganten weißen Anzug und ein ebensolches Kleid getauscht
wird.
Hebei Acrobatic Troupe,
Muriel, Truppe Nomuna
Magisch geht es weiter mit
Scott und Muriel. Er gibt den Zauberer, der nur scheinbar an der
Tücke des Objekts scheitert, sie die herrlich überdrehte und
zugleich unendlich sympathisch Assistentin. Mit viel Humor wird
hier dem Klassiker der „zersägten Jungfrau“ eine völlig neue und
undurchschaubare Wendung gegeben. Einfach Spitzenklasse, ebenso
wie der Auftritt im zweiten Programmteil. Hier gelingt es den
beiden, einen ahnungslosen Zuschauer dem Anschein nach in zwei
Hälften zu teilen. Auch er entkommt letztlich unversehrt. Nach
einem realen Unfall dagegen kann die Hebei Acrobatic Troupe
nicht vollzählig arbeiten, ausgerechnet drei der Hauptakteure
müssen pausieren. Und so hat Thierry Fééry die ursprünglich
vorgesehene Pausennummer mitten in den ersten Programmteil
verlegt. Dennoch werden von den verbliebenen fünf Artisten mit
fliegenden Meteoren eindrucksvolle Bilder geschaffen. Zu
mitreißender Musik werden die Seile, unter anderem nach Salti
und Rollen, mit Händen und Füßen gedreht und geworfen. Noch eine
weitere Truppe aus Asien prägt dieses Programm. Die mongolische
Truppe Nomuna war beim letztjährigen Circusfestival in Figueres
(Spanien) erstmals in Europa zu erleben. Vor der Pause
begeistern die zehn Männer und zwei Damen nun in Lille mit ihrer
Kombination aus Handvoltigen und Seilspringen, letzteres auch im
Zwei- und Drei-Personen-Hoch.
Alexander Lacey
Produzent Thierry Féery ist
zugleich der Mr. Loyal. Er führt auf stets eloquente Weise
durchs Programm und ist das markante Gesicht seines eigenen
Circus. Und das nicht nur auf den Plakaten. Nach jeder Show
steht er für Selfie- und Autogrammwünsche zur Verfügung und wird
dabei von vielen Besuchern umringt. Zu Beginn des zweiten Teils
hat er die Ehre, einen Weltstar anzukündigen: „Er war mehrere
Jahre beim größten Circus der Welt und hat als erste Station
nach seiner Rückkehr nach Europa Lille gewählt.“ Gemeint ist
natürlich Alexander Lacey. Dieser versammelt in seiner großen
gemischten Raubtiernummer sieben Tiger, vier Löwinnen und zwei
Löwen. Nach der Pyramide zur Eröffnung zeigen sie Sprünge von
Podest zu Podest und über Artgenossen. Beeindruckende Bilder
entstehen, als sich alle Tiere zum Teppich formen, dann auf die
Seite abliegen und schließlich gemeinsam hochsitzen. Ein
weiterer Schwerpunkt liegt auf Schmuseeinheiten. Wenn Lacey sich
von einem Tiger den Arm ablecken lässt und die Katze
anschließend umarmt. Wenn er einem mächtigen Mähnenlöwen sanft
ins Gesicht bläst und das Tier auf die Schnauze küsst. Und wenn
er sich schließlich von einem Löwen bedecken lässt, ehe das
Licht in der Manege erlischt. So traurig das Ende von „Ringling“
ist, so glücklich sind wir, dass Alexander Lacey wieder hier ist
und 2018 mit dem Zirkus Charles Knie in Deutschland reisen wird.
Roland Duss,
Aleksandr Batuev, Henry Ayala
Eine Weltkarriere hat auch
Aleksandr Batuev begonnen. Zu Jahresbeginn gewann er den
Bronzenen Clown in Monte Carlo. Die Art und Weise, wie dieser
Extrem-Klischnigger seinen Körper zusammenfaltet und verdreht,
bereitet bereits beim Zusehen Schmerzen. Sie sorgt für eine
Mischung aus wohligem Schauder und Vergnügen. Ganz stilvoll
gekleidet, mit Hemd und Krawatte, verschwindet er in einer
kleinen Kiste. Für viele heitere Momente ist auch beim Auftritt
von Petra und Roland Duss gesorgt. Drei Seelöwen und ein kleiner
Hund hören auf ihr Kommando. Die Trickstärke diese Darbietung
ist wirklich fast unerreicht. Ein sympathischer Begleiter durchs
Programm ist Henry Ayala, „The Prince of Clowns“. Beim
Zusammenspiel mit zwei Kindern aus dem Publikum agiert er
altersgerecht, so dass die Kleinen viel Freude am großen
Auftritt haben. Erwachsene Mitspieler benötigt er für das Spiel
mit Glocken und die „Striptease“-Szene. Und seinen ganz großen
Moment hat er in der vorletzten Nummer des Programms. Gemeinsam
mit seiner Schwester Amy Rose zelebriert er mit viel Spielfreude
seine Version des Spaghetti-Entrees. Den Schlusspunkt setzt
schließlich die Truppe Nomuna auf dem Schleuderbrett. Ein
Vier-Mann-Hoch ohne Longe und Stange und ein fünffacher Salto
auf die Matte sind Eckpunkte des Repertoires. |