Und
vor denen von 780 Zuschauern, die sie auf ihrer Reise begleiten. Am
Ende ist klar: Der in Leder eingebundene Wälzer ist ein Circusbuch.
Diese Geschichte bildet die Rahmenhandlung zum 6. Xantener
Weihnachtscircus. Sie wird liebevoll erzählt. Es entsteht eine
gemütliche, behagliche Atmosphäre. Die Mitglieder der sympathischen
Direktionsfamilie Jonny Casselly junior sind wunderbare Gastgeber.
Wenngleich die Programme über die Jahre stärker wurden, ist eine
übergeordnete Handlung beibehalten worden. Sie ist so etwas wie das
Markenzeichen dieser Produktion. Eine Regisseurin sorgt für eine
überzeugende Umsetzung.
Zeltanalagen des Xantener Weihnachtscircus
Das
Wohlfühlen geht schon im Vorzelt los, welches geschmackvoll
weihnachtlich geschmückt ist und eine große Gemütlichkeit ausstrahlt.
Von außen wirken die Zeltanlagen eindrucksvoll. Im Inneren ist für eine
kompakte Atmosphäre gesorgt. Das gilt insbesondere für das Spielzelt.
Die acht Reihen Klappsitze auf dem Gradin sind vergleichsweise steil
angeordnet. Hinzu kommen die Logen mit Stühlen. So kann man das
großartige, fast dreistündige Programm bestens genießen.
Akrobaten aus Afrika, Anthony Wandruschka, Tonito Alexis
Die
Eingangssequenz wird teilweise von einem Sandmaler begleitet. Während
Katy (Casselly) ihren beiden jüngeren „Geschwistern“ die ersten
Passagen aus dem Buch vorliest, lässt Khalil Valeev seine vergänglichen
Kunstwerke entstehen. Diese werden auf eine große Leinwand über dem
prächtigen Artisteneingang projiziert. Die erste Station der Reise ist
Afrika. Hier erwarten uns vier energiegeladene Artisten, die die
Lebensfreude ihrer Heimat nach Xanten bringen. Sie wirbeln mit
verschiedenen Sprüngen durch die Manege, bauen Menschentürme,
jonglieren mit Schüsseln und glänzen als Limbotänzer. Letzteres unter
einer brennenden Stange hindurch. Schon längere Zeit nicht mehr gesehen
hatte ich Anthony Wandruschka. Wie etwa schon bei Charles Knie,
jongliert er im schwarzen Outfit mit Bällen und Keulen. Die Jonglagen
verpackt er in witzige Dialoge mit dem Publikum. Das geht hörbar
begeistert mit. Somit ist für Spaß gesorgt. Überhaupt sind die witzigen
Elemente in dieser Show stark vertreten. Gleich darauf bringt Tonito
Alexis Heiterkeit, wenn er eine Kerze verspeist. Schon vor dem
eigentlichen Beginn der Vorstellung unterhält er die Gäste. Außerdem
wagt er den Sprung in ein Wasserglas und unterhält uns mit seiner
Trompete.
Stefania Iarz, Katy und Jonny Casselly junior, Fernando Richter
In
ihrer Papageienrevue zeigt Laura Urunova eine Mischung aus Tricks auf
einem Tisch und Sequenzen, in denen die Tiere fliegen. Die Vorführerin
mach dabei eine blendende Figur. Doch im Vordergrund stehen die
wunderschönen Vögel. Herrlich ist die Szene, in denen drei von ihnen
lässig im Liegestuhl abhängen und das Strandleben genießen. Immer
wieder eindrucksvoll sind die ausdauernden Flüge der großen Aras über
die Köpfe des Publikums hinweg. Antipodenspiele sind das Metier von
Stefania Iarz. Elegant jongliert sie Bälle und Teppiche mit den Füßen.
Ihren Auftritt rundet sie mit Handständen und Elementen der Kontorsion
ab. Vor der Pause verwöhnt uns der Xantener Weihnachtscircus mit gleich
zwei Schaubildern. Los geht es mit Katy und Jonny Casselly junior sowie
Grace. Letzterer ist Breakdancer und beweist zu Beginn, dass dieser
Tanzstil ganz schön akrobatisch sein kann. Hip gekleidet sind dann
auch Jonny und Katy. Ihre Holzfäller-Shirts tragen sie lässig am
Oberkörper oder um die Hüfte geknotet. Zunächst arbeiten sie
anspruchsvolle Tricks aus der Partnerakrobatik. Dann aber wird es
richtig originell. Auf einem Hoverboard – ein Brett zwischen zwei
selbstfahrenden Reifen – zelebrieren sie ein Pas de deux. Die Idee ist
genial und sie wird großartig umgesetzt. Denn die Kunststücke sind sehr
anspruchsvoll. So sehen wir etwa, wie Katy auf einem Bein auf dem Kopf
ihres Vaters steht. Gemeinsam verabschiedet sich das Trio. Nach einer
Reprise von Tonito geht es mit einem Duo weiter. Fernando Richter und
Henry Gassmann kommen auf schweren Motorrädern in die Manege. In deren
Mitte brennen zwei Metallfässer. Mit freiem Oberkörper bieten uns die
beiden coolen Kerle eine heiße Show. Fernando Richter hat
eindrucksvolle Exemplare aus seiner „Welt der Reptilien“
mitgebracht. Zwei wunderschöne Tigerpython-Albinos sind dabei und
eine imposante, 95 Kilogramm schwere Große Anakonda. Auch ein drei Jahre
junger Mississippi-Alligator ist zu sehen. Dazwischen schluckt sowie
spuckt Henry Gassmann Feuer und lässt die Funken sprühen. Seine
Feuershow geht weit über die Standards des Genres hinaus. Er entfacht
wirklich ein beeindruckendes Feuerwerk, sorgt für einzigartige Effekte.
Nach diesem Spektakel geht es in die Pause.
Selfie, Jose Michell, Laura Urunova
Der
zweite Teil startet mit Girl Power hoch vier. Selfie nennt sich das
Quartett. Und ein Selfie Stick spielt eine wichtige Rolle bei ihrer
Choreographie am Mast. Die jungen, modisch gekleideten Artistinnen
zeigen am Pole ein starkes Trickrepertoire, welches sie perfekt
präsentieren. Eine echte Entdeckung! Wenn auf dem Gradin die Klänge von
„Somewhere over the rainbow“ auf dem Saxophon zu hören sind und in der
Manege der wasserfeste Teppich ausgelegt wird, haben die Jose Michell
Clowns ihren Auftritt. Jonny Casselly junior übernimmt die Aufgabe,
Jose vom Restaurantbesuch abzuhalten und ihn für ein feuchtes Spiel zu
begeistern. Dabei hat der Direktor sichtlich Spaß. Ebenso das Publikum.
Das Schauspiel um Jose, seine Gattin Giulia und den zweiten August Kike
nimmt seinen bekannten Lauf. Und doch ist ihr Wasserentree immer wieder
ungeheuer witzig. Einfach ein riesiges Vergnügen, das sie mit
wunderbarer Livemusik beenden. Mit ihrer Hundedressur beschließt Laura
Urunova den Reigen der Tiernummern. Da somit in der Show keine größeren
Tiere vertreten sind, wird auf einem Holzboden gespielt. Dieser liegt
permanent auf dem Sägemehl, welches am Rand zu sehen ist. Urunovas
Hunde verschiedener Rassen sind begeisterte Springer. Sie hüpfen durch
Reifen, über Hürden oder ihre vierbeinigen Kollegen. Das Laufen auf den
Hinterbeinen beherrschen sie ebenfalls. Zum Abschied bilden sie gar
eine Polonaise.
Alte Kameraden, Kanakov-Truppe, Khalil Valeev
Extra für dieses Programm zusammengestellt sind die „Alten Kameraden“. In blau-weißen Ringelshirts und mit aufgemaltem Schnurrbart erfreuen sie das Publikum
mit origineller Akrobatik ebenso wie mit witzigen Posen. Die Tricks
sind dabei auf jeden Fall sehenswert. Einen Drei-Mann-Hoch etwa haben
sie im Repertoire. Den Schlusspunkt setzt der Jüngste der Truppe, wenn
er im hohen Bogen in die Arme seiner Mitstreiter springt. Tollkühne
Sprünge auf dem Russischen Barren sind das Metier der Kanakov-Truppe.
Die beiden Porteure sorgen dafür, dass die Fliegerin sowie der Flieger
nach ihren Salti und Schrauben wieder sicher auf dem schmalen Brett
laden. Was das Quartett zeigt, ist wirklich sensationell und bildet für
mich den artistischen Höhepunkt des Programms. Die letzte Nummer aber
gehört Anthony Wandruschka. Am Washington-Trapez zelebriert er Balancen
auf dem ruhenden und schwingenden Requisit. Wortreich angekündigt wird
sein Sprung von einer Plattform zu einem Trapez. Das Publikum erlebt
eine Schrecksekunde, auf die aber sofort Erleichterung folgt. Groß ist
das Erstaunen bei den drei Kindern, als dann der Weihnachtsmann
leibhaftig vor ihnen steht. Es gibt ihn also wirklich. Personifiziert
wird er von Boris Quest, der auch in der Organisation der Produktion
eine nicht mehr wegzudenkende Stütze bildet. Die folgenden Szenen
werden von Sandmaler Khalil Valeev bebildert, bevor sich dann alle
Artisten zum Finale in der Manege versammeln. Sie werden mit tosendem
Applaus von den vollbesetzten Rängen gefeiert.
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