CHPITEAU.DE

Karlsruhe, 26. Dezember 2018: Klotzen und nicht kleckern: Nach diesem Motto hat die Familie von Joachim und Rosemarie Sperlich vor zehn Jahren ihren Karlsruher Weihnachtscircus aus der Taufe gehoben. Bereits im ersten Jahr baute man ein eigenes, fabrikneues Chapiteau in den badischen Landesfarben rot und gelb auf. In Jahr zwei kamen das passende Klappsitzgradin, ein wunderbarer Artisteneingang sowie eine massive Erweiterung der Lichtanlage hinzu. Unvergesslich ist das grandiose Programm der dritten Saison, unter anderem mit den Elefanten der Familie Casselly.

Und so ist die bisher zehnjährige Geschichte des Karlsruher Weihnachtscircus die Geschichte eines direkten Durchmarschs in die Erste Liga. Mit Investitionen, die anfänglich kühn erschienen, wurde unternehmerischer Weitblick bewiesen. Vom ersten Tage an war die Vermarktung der Veranstaltung äußerst professionell. Jederzeit stimmte das Umfeld, beispielsweise im schönen Gastronomiezelt mit seinem Weihnachtsmarkt-Charme. Schnell wurde mit Ballett, Orchester und exzellentem Licht ein eigener Stil entwickelt: die Riesen-Show mit einem Hauch von Las Vegas. Mehrmals wurden außergewöhnlich große Tiernummern nach Karlsruhe geholt: die Spindlers (Berolina) mit einem 14er-Zug Pferde sowie Giraffe und elf Kamelen, Artur Kaiser mit seinem „größten Exotenzug Europas“, zuletzt die Familien Richter und Casselly mit Elefanten, Exotenkarussell und Jockeyreiten. „Karlsruhe“ ist schnell zum alljährlichen zirzensischen Pflichttermin geworden.


Jambo Kids, Opening

Im Jubiläumsjahr wurde der Artisteneingang um einen imposanten Schriftzug mit dem Namen des Unternehmens sowie einem großen „10 Jahre“-Logo ergänzt. Auf den beleuchteten Showtreppen links und rechts begrüßen Juniorchefin Monika Kaselowsky und Giovanni Biasini traditionell das Publikum und führen mit ihrer Doppelmoderation weiter durchs Programm. Nun ist die Manege frei fürs Opening mit dem Ballett in Stars-and-Stripes-Kostümen und der Eisenbahn mit dem Ensemble an Bord. Auf dem Dach des Zuges prangt wieder ein Rentierschlitten, in dem Charlin Sperlich die Szene gesanglich begleitet. Richtig los geht es mit einer Reminiszenz an das erste Weihnachtsgastspiel: Wie im Winter 2009/10 entspringt auch diesmal eine Afrikaner-Truppe einem XXL-Geschenkkarton in der Manege. Diesmal sind es die sieben „Jambo Kids“, die als Springer, Pyramidenbauer und Limbotänzer eine schwungvolle Eröffnung garantieren. Selten hat man eine solch starke Nummer dieses Genres gesehen.


René Sperlich, Renaldo Weisheit, Mr. Gerald 

Für das zehnte Programm wurden zwei Dresseure mit vier durchweg hochwertigen Nummern verpflichtet. Es sind heuer nicht die ganz großen Tiergruppen mit unzähligen Vierbeinern zu sehen, aber doch große Könner am Werk. So wie Renaldo Weisheit, der zunächst vier Zebras in einer anspruchsvollen Freiheitsdressur zeigt. Für die Clownerie ist Gerald Steingruber alias Mr. Gerald zuständig. Der schlanke, gut aussehende junge Ungar hat mit einer ordentlichen Portion Glitter in den Haaren und im Gesicht eine ganz eigene Maske entwickelt. In seinen beiden großen, jeweils sehr ausführlich gespielten Auftritten setzt er bekannte Szenen mit Akteuren aus dem Publikum um: im ersten Programmteil die Glocken, im zweiten die Rockband. Diese vermischt er mit Elementen aus anderen Mitmach-Acts. So kommt beim „Orchester“ ohne tieferen Sinn die Kamera aus der „Filmszene“ zum Einsatz. Ferner kombiniert er die "Popcorn"-Reprise mit einem Auftritt als Jongleur. Wenn er sich selbst mit den Keulen trifft, muss eine Zuschauerin die "Wehwehchen" mit Küssen heilen. Die Nummern kommen erwartungsgemäß gut an und lösen viele Lacher aus. Jedenfalls ungewöhnlich ist, wie Mr. Gerald sich selbst eher kühl und fast schon arrogant anstatt als großer Sympathieträger gibt. Sympathisch sind auf jeden Fall die Direktionssöhne René und Maik Sperlich, die für die Jubiläumsshow beide in der Manege vertreten sind. Den Anfang macht der jüngere Bruder René Sperlich mit einer völlig neu gestalteten Handstandnummer. Sein Podium enthält nicht zwei Handstäbe, wie bei vielen Darbietungen des Genres üblich, sondern ein ganzes Dutzend davon. Sie sind unterschiedlich hoch. So können sie wie eine Art Treppe genutzt werden. Auf Händen geht es diese hinab. Der erste Teil der Arbeit enthält bereits eine Menge hoch schwieriger Tricks bis hin zum Klötzchen-Abfaller. Im zweiten Teil errichtet René Sperlich zwei flexible Türme aus Stangen. Am oberen Ende zeigt er, longengesichert in großer Höhe, einen Seitspagat zwischen den Stäben und einen Handstand.


Flying Rodriguez, Marcel Krämer, Maik Sperlich 

Kurz fällt die Luftring-Nummer von Yuliya Stetsenko aus. Sie zeigt zu Beginn unter anderem Abfaller in den Fershang und kreist dann raumfüllend über der Manege. Marcel Krämer hat seine außergewöhnliche und imposante Bison-Dressur auf fünf Tiere erweitert. Die Tiere absolvieren sicher ihre Lauffiguren und steigen auf Podeste. Dort werden sie von einem Pferd umrundet. Wieder im Manegensand verabschiedet sich das Bison-Quintett mit einem gemeinsamen Knicks. Maik Sperlich hat seinen großen Auftritt im Jubiläumsprogramm gemeinsam mit Siegfried Sperlich. Wieder einmal präsentieren die beiden Cousins ihr Todesrad in Karlsruhe. Neben dem typischen Repertoire mit Seilspringen, Blindlauf und hohen Sprüngen ist besonders Maik Sperlichs Handstand-Lauf auf der Außenseite des Rades bemerkenswert. Ähnliches lässt sich über die Flying Rodriguez sagen. Gestreckter Doppelsalto, Dreifacher und Passage gehören zum Wesen des Flugtrapez-Genres. Noch nicht gesehen haben wir dagegen den originellen Abschluss. Zunächst sieht es so aus, als bestünde er im typischen „Todessturz“ aus der Kuppel ins Netz. Dem wird hier jedoch eine neue Seite abgewonnen, wenn erst drei der Artisten kopfüber aneinander geklammert in der Kuppel hängen und sich dann einer nach dem anderen fallen lässt.


Serge Massot, Renaldo Weisheit, Duo La Vision 

Mit seinem hochklassigen, schwarz-weißen Achterzug Friesen und Araber begeistert Renaldo Weisheit. Das umfangreiche Repertoire beinhaltet unter anderem Farbwechsel, verschiedenste Gegenläufe, Fächer und Pirouetten und einen vierfachen Steiger der Araber. Die Vorführung im stilvollen schwarzen Frack geschieht äußerst charmant und mit leichter Hand. Ein Ausrufezeichen setzt das ungarische Duo La Vision mit seiner Adagio-Akrobatik. Im Zeitlupen-Tempo absolvieren die beiden „Goldmenschen“ schwierigste Tricks. Besonders beeindruckend, wie der Partner rücklings auf dem Boden liegt, die Partnerin auf dem ausgestreckten Arm balancierend. Sie befindet sich dabei in einer Waage; er richtet sich aus dem Liegen in den Stand auf. Neben Mr. Gerald verursacht auch Bauchredner Serge Massot viel Heiterkeit. Zunächst verleiht er seinem „besten Freund Charly“, einer Handpuppe, dann drei Zuschauern eine (andere) Stimme. Das Publikum hat mächtig Spaß.


Marcel Krämer, Rodriguez Brothers, Truppe Yarov

Mehrere Darbietungen werden vom Shad Performance Show-Ballett in stets passenden Kostümen eingeleitet: als „Leopardinnen“ vor den Zebras, als „Squaws“ vor den Bisons, rockig-modern vor dem Todesrad, im Sambarhythmus vor dem Flugtrapez. Schließlich bereiten sechs hübsche „Cowgirls“ den Boden für Marcel Krämers Esel-Sextett einschließlich Lasso-Drehen auf dem Rücken eines Pferdes. Die Esel beschließen den Reigen der Tiernummern. Was folgt, sind quasi zwei Schlussnummern nacheinander. Noch einmal erleben wir die Truppe Rodriguez, nunmehr auf dem Hochseil. Und dies ohne jede Sicherung. Dreierpyramide mit Stuhl, der Sprung über zwei kauernde Partner oder der Lauf im Zwei-Mann-Hoch mit Sprung des Obermanns zurück aufs Seil sind nur einige der Elemente des Repertoires. Witzig ist die Fahrt auf dem Mini-Fahrrad, spektakulär die sicher präsentierte Siebener-Pyramide. Diese könnte bereits ein würdiger Abschluss der Show sein, doch es folgt noch ein weiteres Highlight: die Truppe Yarov mit ihren „Fliegenden Perches“. Die Artisten präsentieren sich originell als Circus-Ensemble von anno dazumal mit unter anderem Clown, Kraftmensch und Herrn Direktor. Auch die außergewöhnlichen Tricks überzeugen. Da werden die Perchestangen – samt Artistin am oberen Ende – zur Schulter des Partners geworfen. Oder die Artistin springt von einer Stange zur anderen, natürlich alles longengesichert.

Mit einer Spieldauer von drei Stunden und 25 Minuten – inklusive Pause, Finale im Revue-Stil und gesanglichem Epilog – stellt Karlsruhe an diesem Abend längenmäßig gar die Konkurrenz in Stuttgart in den Schatten. Die Familie Sperlich hat wirklich üppig engagiert. Beispielsweise Bauchredner und Perche-Truppe wären verzichtbar gewesen, ohne dass es der tollen Show an irgendetwas gemangelt hätte. Auch mit dem vollständigen Cast wären Straffungen sicher möglich gewesen, etwa bei der Clownerie. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau: Das Jubiläumsprogramm bietet eine großn, faszinierende Circusnacht. Bei unserem Besuch wurde sie mit kaum enden wollenden Standing Ovations im voll besetzten Zelt gefeiert.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll