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La Grande Fete Lilloise du Cirque 2018
www.lagrandefetelilloiseducirque.com ; 112 Showfotos

Lille, 10. November 2018: Der Mann ist einfach omnipräsent. Er grüßt von den Plakaten, im Vorzelt lächelt sein Konterfei überlebensgroß von einer Fotowand und sogar auf den Zetteln mit den Getränkepreisen in der Restauration ist der abgebildet. Thierry Fééry versteht es, sich gekonnt in Szene zu setzen. Der Macher der „Grande Fete Lilloise du Cirque“ vermarkte seine Produktion konsequent über die eigene Person. Offensichtlich mit großem Erfolg. In der Pause stehen die Zuschauer Schlange, um ein Autogramm zu erhalten.

Oder aber um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Natürlich steht Thierry Fééry auch während der Show in der Manege. Im roten Frack präsentiert er sehr gewinnend die große Circusgala.


Chapiteau und Vorzelt

2013 hatte ich diese zuletzt besucht. Der erste Eindruck ist diesmal ein anderer. Nach wie vor beeindruckt das weiße Chapiteau mit der außen liegenden Mastenkonstruktion. Doch nun ist der Zaun um die Circusstadt im vorderen und seitlichen Bereich eng um Vor- sowie Spielzelt gezogen. Die großen Stallzelte und Käfigwagen fehlen. In der laufenden Spielzeit bestreiten Ponys, Bauernhoftiere, Hunde und Pferde das Tierprogramm. Raubtiere oder Elefanten gibt es nicht. Dafür wird im artistischen Bereich wie gewohnt aus dem Vollen geschöpft. Ein paar Mal im Laufe des Nachmittags ist die Manege bestens gefüllt.


Diabolospiele aus China

Gleich zu Beginn wirbeln die Teslenko Brothers über den roten Teppich. Das russische Quintett lässt Ringe, Reifen und Keulen in den verschiedensten Formationen fliegen. Die Jongleure setzen auf schöne Bilder, großes Können und Geschwindigkeit. Am Ende fängt einer der Artisten die Reifen, die ihm seine vier Partner immer schneller zuwerfen. Mit Diabolos jonglieren acht Chinesinnen mit langen Federn am Kopfputz. Die Vertreterinnen des Chinesischen Nationalcircus glänzen mit virtuoser Geschicklichkeit und traumhaften Choreographien. Es ist ein wahres Fest für die Augen. Wir konnten diese und ähnliche Gruppen schon in vielen namhaften Shows erleben. So auch bei einer früheren Ausgabe der „Grande Fete Lilloise du Cirque“. Gleiches gilt für die Truppe Sokolov. Die Russen entführen uns ins 18. Jahrhundert. In die Zeit von Wolfgang Amadeus Mozart. Dieser stand Pate für ihre große Schleuderbrett-Inszenierung. Die Damen und Herren tragen Kostüme, Schminke sowie Perücken aus dieser Epoche. Natürlich erklingen Melodien des weltbekannten Komponisten. Truppenchef Dima Sokolov verkörpert das Musikgenie. Mindestens genauso überzeugend wie die Aufmachung ist die Leistung. Es geht Schlag auf Schlag. Die variantenreichen Sprünge werden auf einer Matte, auf den Schultern des Untermanns oder auf einem Stuhl, der auf einer Perchestange ruht, gelandet. Zudem gibt es Sprünge, bei denen der Flieger Stelzen an den Füßen hat. Der letzte Trick wird noch einmal auf einem Stuhl gelandet. Allerdings steht der Fänger dabei auf einem russischen Barren. Und das wiederum auf Stelzen.


Truppe Muratov, Diana Vedyashkina, Ebba Frank

Während der Truppe Sokolov vollkommen zu recht die Schlussnummer gehört, beenden die Muratovs den ersten Programmteil. Die sechs verwegenen Männer reiten auf ihren Pferden in rasantem Tempo durch die Manege. Die Frau im Bunde steht ihnen in nichts nach. Auf wunderschönen Pferden zeigen sie in folkloristischen Kostümen eine schneidige Dshigitenreiterei. Die treibende Musik gibt den Rhythmus vor. Volles Risiko heißt es etwa, wenn einer der Reiter um den Leib seines Pferdes herumkrabbelt. Das Kontrastprogramm zu dieser Darbietung bildet Diana Vedyashkina mit ihrer Dackeldressur. So flott die Hunde auch rennen, an die Geschwindigkeit der Pferde kommen sie nicht heran. Müssen sie auch gar nicht. Denn sie sind einfach zu putzig, wenn sie über Hindernisse springen oder auf den Hinterbeinen stehen. Zwei gewaltige Kühe sind der Blickfang in der Bauernhof-Revue von Ebba Frank. Hinzu kommen Schafe, Ziegen, ein Pony, Hunde und eine stattliche Gans. Sie zeigen unter Anleitung der Tochter von Anton Frank, welche manegentauglichen Kunststücke sie beherrschen. Unterstützt wird Ebba Frank dabei von ihrem Partner Ramon Maatz. Dieser führt später einen Sechserzug schwarz-weiß gescheckter Ponys vor. Die Tiere folgen präzise den Anweisungen ihres hochgewachsenen Vorführers. Die Freiheit mit einem großen Trickrepertoire läuft rund. Insbesondere für die Kinder ist die quirlige Rasselbande ein großer Spaß. Wenngleich somit ein schönes Tierprogramm geboten wird, vermissen nicht nur wir die „wilden“ Tiere.


Li Zhenyu, Trio Simet, Kenny Thomas

Hoch hinaus geht es für Li Zhenyu. Der junge Chinese ist ein Meister der Gleichgewichtskunst. Immer mehr seiner Handstäbe steckt er ineinander bis ihn diese wackelige Konstruktion ein gutes Stück in Richtung Kuppel bringt. Auch in großer Höhe und auf schwankendem Fundament drückt er sicher seine variantenreichen Handstände. Einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn benötigen ebenfalls die Astronauten um Lazlo Simet. Im Zeitlupentempo bewegt sich das Trio über das Semaphore. Dieses Requisit ist einzigartig und am ehesten noch als Mischung aus Todesrad und Hochseil zu beschreiben. Die Ungarn balancieren nicht nur laufend darauf, sondern auch auf dem Fahrrad oder auf einem Stuhl. Der artistische Part wird durch Kenny Thomas komplettiert. Der Franzose beherrscht sein Motorrad meisterlich. Die Manege, in deren Mitte ein Auto steht, ist sein „Spielplatz“: Auf zwei Rädern oder nur auf einem wagt er abgefahrene Touren. Dabei wird er von einem Breakdancer begleitet. Den Schlusspunkt setzt er mit einem Rückwärtssalto auf das Autodach. Thomas arbeitet, wie die Simets, mit Helm. Darunter versteckt sich letztendlich auch die Persönlichkeit der Artisten. Der Auftritt einer gestandenen Manegenpersönlichkeit hätte die Sparte Artistik dieser Produktion vollends abgerundet.


Thierry Fééry und Gregory Bellini

Aber wir haben ja noch Gregory Bellini. Gemeinsam mit Thierry Fééry begleitet er uns durch den Nachmittag. Insbesondere beim Pariser Weihnachtscircus von Christiane Bouglione haben wir diesen herrlichen Komiker kennen- und lieben gelernt. Auch auf Tour mit dem Cirque Arlette Gruss durften wir ihn bereits erleben. Er kommt als Zuschauer ohne Eintrittskarte, der sich in der Manege beweisen will. Bei seinen Zauberkunststücken scheitert er kläglich, aber auf sehr liebenswürdige Weise. Die Sympathien des Publikums hat er auf seiner Seite, wenn die Fluchtsack-Illusion misslingt und Bellini mit verkohltem Gesicht sowie zerrissenem Hemd aus der Kiste steigt. Oder wenn Fééry seine Taschenspielertricks mit Hühnereiern entlarvt. Immer erscheint er am Ende als Verlierer. In Wahrheit aber gewinnt er die Herzen des Publikums. Ein Gewinn ist ebenfalls das Orchester unter der Leitung von Kristof Majewski. Die Musiker begleiten das Programm wunderbar, die Tonanlage transportiert den Sound bestens zum Publikum. Ebenfalls sehr stark ist das Lichtdesign.

Die „Grande Fete Lilloise du Cirque“ verwöhnt auch in ihrer Ausgabe 2018 mit einem großen, internationalen Programm im adäquaten Rahmen. Die Anzahl der Artisten im Finale führt dies noch ein letztes Mal vor Augen. Wahrlich ein Fest der Circuskunst! Der Verzicht auf Wildtiere jedoch ist ein Wermutstropfen. Und kein allzu kleiner.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch