Fotos
in den langen Gängen zeugen von dieser glorreichen Vergangenheit. Die
Gegenwart ist ebenfalls glänzend, zumindest was Artistik, Clownerie und
Pferdedressuren angeht. Auch der Rahmen ist prächtig. Nicht nur, was
die Spielstätte angeht. Über der Bühne sitzt das Orchester unter der
Leitung von Ruslan Fil. Wenngleich nicht alle Darbietungen auf
Livemusik setzen, ist es wunderbar, an vielen Stellen den unmittelbaren
Klang von Instrumenten zu hören. Für das Lichtdesign ist wiederum Wim
Dresens verantwortlich. Ihm und seinem Team obliegt die keineswegs
leichte Aufgabe, das große Theater stimmungsvoll auszuleuchten. Mal
muss eine intime Atmosphäre hergestellt werden, mal verlangt eine
Truppe nach der opulenten Lichtshow. Die Rolle des Sprechstallmeisters
hat im zweiten Jahr Fred Butter inne. Diese füllt er auf souveräne
Weise, ganz klassischer Monsieur Loyal, aus. Die Regie liegt bei Enrico Caroli.
Szene aus dem Opening
Und
es gibt ein großes Ballett. Das hat natürlich der Royal Circus mit an
die Amstel gebracht. Die blendend aussehenden jungen Tänzerinnen und
Tänzer haben mehrere Auftritte. Zuerst erleben wir sie im großen
Opening, welches 2019 beim Festival in Monte Carlo zu sehen war. Hier
wird der Circus wie in einem Rausch zelebriert. Ein Clown nimmt uns mit
in die bunte Welt der Manege. Im Handumdrehen wird ein großes Chapiteau
errichtet, an dem bunte Lampen leuchten. Die Kostüme,
insbesondere der Damen, sind unwahrscheinlich fantasievoll.
Glanzvoller kann das Eintauchen in das magische Reich des
Circus nicht erfolgen. Ganz in Weiß erscheint das Ballett aus
Moskau beim festlichen Finale. Dazu wird ein beleuchteter und
geschmückter Weihnachtsbaum aus Stoffbahnen bis unter das Dach
des Theaters gezogen. Weihnachtlich ist ebenfalls die
originelle Choreographie für (menschliche) Rentiere nach der
Pause. Den größten eigenständigen Auftritt hat das Royal
Ballett bei einer Choreographie in Folklorekostümen mit bunten
Bändern, die in und über der Manege stattfindet. Tradition
wird ebenfalls großgeschrieben, wenn die Akteure die
Kosakenreiterei tänzerisch ergänzen.
Alex Giona
Die
Stunts auf Pferden werden von Rustam Gazzaev und seiner ansonsten rein
weiblichen Truppe geritten. Rasante Tricks, ein hohes Tempo und viel
Temperament sorgen für ordentlich Stimmung. Gazzaev leitet in einem
weiteren Auftritt ein Pferd zu Schulschritten an. Dazu gibt es ein
Ballett mit feurigen Zigeunerinnen. Er ersetzt damit die ursprünglich
vorgesehene Reiterei von Yuri Volodchenkov. Einen schönen Kontrast zu
diesen wilden Szenen setzt die ruhige Präsentation von insgesamt fünf
weißen Wallachen durch Alex Giona. Er ist ein wahrer Pferdeflüsterer,
den wir im vertrauensvollen Umgang mit seinen Tieren erleben. Es
entstehen wunderbare Bilder, die die ganze Schönheit und das Können der
Schimmel offenbaren.
Revolution Gauchos
Mit
eindrucksvollen Bildern verwöhnen zudem die Mitglieder des Großen
Chinesischen Staatscircus. 24 Artistinnen und Artisten zelebrieren die
„größte Hutjonglage der Welt“, wie das hochwertig gemachte Programmheft
informiert. Voller Dynamik lassen die Akteure zu Musik von Michael
Jackson ihre Strohhüte in immer neuen Formationen fliegen. Ein wahres
Fest, das einen vollends für sich gefangen nimmt, einen mitreißt. Nach
Argentinien entführen uns die Revolution Gauchos. Sieben gestandene
Südamerikaner bringen mit Trommeln und Bolaspielen das Feuer ihrer
Heimat ins Theater Carré. Die dritte große Formation im artistischen
Bereich kommt „direkt aus Las Vegas“, so die offizielle Ankündigung.
Die Tuniziani arbeiten auf zwei Bahnen am Fliegenden Trapez. Jeweils
drei Fliegerinnen und Flieger zeigen gewagte Sprünge zu den beiden
Fängern. Dabei ist etwa die parallel gezeigte doppelte Passage und als
absoluter Höhepunkt der vierfache Salto.
Ambra und Yves Nicols, Anastasia Makeeva, Sky Angels
Imposant
aufgewertet wird die Luftakrobatik an Tüchern von Ambra und Yves
Nicols. Ihre starken Tricks, für die sie ihre muskulösen Körper mit
goldener Farbe überzogen haben, werden von Gladiatoren und ihren
Begleiterinnen eingeleitet und dann von der Piste aus verfolgt.
Wahrlich „Golden Dreams“, denn auch die Figuranten sind ganz in Gold
gehüllt. Rot ist die vorherrschende Farbe bei Anastasia Makeevas
Darbietung an geflochtenen Bändern, welche sie unter der Kuppel
zelebriert. Startpunkt ist aber die Manegenmitte, wo sie, wie schon im
Knie-Programm 2019, eine Choreographie mit Tänzerinnen in roten
Kleidern aufführt. Ihre ausdrucks- und trickstarke Kür sehen wir in
diesem Wereldkerstcircus zum letzten Mal. Denn Anastasia Makeeva hat
sich entschlossen, ein Studium der Wirtschaftswissenschaften
aufzunehmen. Die in Monte Carlo mit einem Goldenen Clown ausgezeichnete
Akrobatik an den Strapaten von den Sky Angels, bei der sie vielfach auf
die Kraft ihrer Gebisse setzen, ist die Schlussnummer des Programms.
Zumindest bis zur Nachmittagsvorstellung am letzten Freitag der
Spielzeit. Dort bricht ein Zahn beim männlichen Part des Duos, und er
sowie seine Partnerin fallen zehn Meter tief zu Boden. Die Show wird
abgebrochen, die darauf folgende am Abend abgesagt. Glücklicherweise
haben die beiden einen sehr guten Schutzengel. Rustam Osmanov zieht
sich lediglich eine Gehirnerschütterung zu. Kristina Vorobeva muss
länger im Krankenhaus behandelt werden, befindet sich aber derzeit auf
dem Weg der Besserung. Wünschen wir auch ihr eine baldige Genesung.
Duo Laos, Michael Ferreri, Duo Funkoholics
Für
die letzten Shows übernimmt das Duo Laos den prominenten Platz vor dem
Finale. Mercedes und Pablo aus Argentinien begeistern mit einer
ausgefeilten Hand-auf-Hand-Kür. Zudem beherrschen sie wunderbar das
intensive Spiel mit- und gegeneinander. Ein, vielleicht sogar der,
Meister der Balljonglage ist Michael Ferreri. Einige Weltrekorde nennt
der jugendliche Sonnyboy sein eigen. Bis zu zehn Bälle hält er an
diesem Nachmittag gleichzeitig in der Luft und versteht es dabei
bestens, das Publikum zu unterhalten. Auf Nervenkitzel setzen die
Jasters. Giacomo zielt mit Messern sowie aus einer Armbrust
geschossenen Pfeilen immer knapp neben Ehefrau Elena. Dabei zerschießt
er Luftballons oder einen Apfel, der auf Elenas Kopf ruht. Bei den
Funkoholics kann sich Victoria voll und ganz auf ihren Partner
Konstantin verlassen. Umgekehrt ist es genauso. Denn bei ihrer
Akrobatik am Chinese Pole übernimmt auch sie den tragenden Part. In
der Tat, eine starke Frau. So stellt sich Konstantin etwa auf den
Körper von Victoria, während sie diesen mit zwei Händen im rechten
Winkel zum Mast hält.
Steve Eleky, Steve & Ryan
Glänzend
besetzt ist zudem die Sparte Humor. Da ist Steve Eleky, den wir
hierzulande bestens kennen. In Amsterdam zaubert er auf Englisch Hasen
herbei und lässt edle chinesische Vasen verschwinden. Seine Kommentare
dabei und die gewollt dilettantische Ausführung der Tricks sorgen für
große Heiterkeit. Und da sind Steve & Ryan. Bei ihrem Engagement im
Pariser Cirque d'Hiver vor einem Jahr haben sie bereits ihre
Visitenkarte in Europa abgegeben. Ansonsten sind sie bislang vor allen
Dingen in ihrer amerikanischen Heimat aufgetreten. Es wäre großartig,
sie auch in Zukunft bei uns erleben zu können. Denn die beiden sind
einfach herrlich komisch. Mit einer umwerfenden Mimik, einer
überzeugenden Präsenz und einem perfekten Gespür für Timing liefern sie
sich eine turbulente Wasserschlacht. Im Kern geht es darum, ein Hemd
für Fred Butter zu waschen, womit Steve & Ryan natürlich grandios
scheitern. Dafür gelingt es ihnen umso besser, das Publikum im
Handumdrehen für sich zu gewinnen.
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