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Wereldkerstcircus Carré 2019/20
www.carre.nl ; 301 Showfotos

Amsterdam, 3./4. Januar 2020: Der Wereldkerstcircus feiert Geburtstag. Es ist ein wahrhaft königliches Jubiläum. Denn als besondere Gäste sind Vertreter des Royal Circus von Gia Eradze aus Moskau zum Königlichen Theater Carré in Amsterdam gereist. In diesem prächtigen Bau werden seit 35 Jahren immer im Dezember die Sitze aus dem Parkett durch eine Circusmanege ersetzt. Gespielt wird großer, klassischer Circus. Keine abgespeckte Theaterversion. Als Wildtiere in den Niederlanden noch erlaubt waren, gastierten hier etwa die Knies mit Elefanten und Martin Lacey junior mit seinen Löwen.

Fotos in den langen Gängen zeugen von dieser glorreichen Vergangenheit. Die Gegenwart ist ebenfalls glänzend, zumindest was Artistik, Clownerie und Pferdedressuren angeht. Auch der Rahmen ist prächtig. Nicht nur, was die Spielstätte angeht. Über der Bühne sitzt das Orchester unter der Leitung von Ruslan Fil. Wenngleich nicht alle Darbietungen auf Livemusik setzen, ist es wunderbar, an vielen Stellen den unmittelbaren Klang von Instrumenten zu hören. Für das Lichtdesign ist wiederum Wim Dresens verantwortlich. Ihm und seinem Team obliegt die keineswegs leichte Aufgabe, das große Theater stimmungsvoll auszuleuchten. Mal muss eine intime Atmosphäre hergestellt werden, mal verlangt eine Truppe nach der opulenten Lichtshow. Die Rolle des Sprechstallmeisters hat im zweiten Jahr Fred Butter inne. Diese füllt er auf souveräne Weise, ganz klassischer Monsieur Loyal, aus. Die Regie liegt bei Enrico Caroli.


Szene aus dem Opening

Und es gibt ein großes Ballett. Das hat natürlich der Royal Circus mit an die Amstel gebracht. Die blendend aussehenden jungen Tänzerinnen und Tänzer haben mehrere Auftritte. Zuerst erleben wir sie im großen Opening, welches 2019 beim Festival in Monte Carlo zu sehen war. Hier wird der Circus wie in einem Rausch zelebriert. Ein Clown nimmt uns mit in die bunte Welt der Manege. Im Handumdrehen wird ein großes Chapiteau errichtet, an dem bunte Lampen leuchten. Die Kostüme, insbesondere der Damen, sind unwahrscheinlich fantasievoll. Glanzvoller kann das Eintauchen in das magische Reich des Circus nicht erfolgen. Ganz in Weiß erscheint das Ballett aus Moskau beim festlichen Finale. Dazu wird ein beleuchteter und geschmückter Weihnachtsbaum aus Stoffbahnen bis unter das Dach des Theaters gezogen. Weihnachtlich ist ebenfalls die originelle Choreographie für (menschliche) Rentiere nach der Pause. Den größten eigenständigen Auftritt hat das Royal Ballett bei einer Choreographie in Folklorekostümen mit bunten Bändern, die in und über der Manege stattfindet. Tradition wird ebenfalls großgeschrieben, wenn die Akteure die Kosakenreiterei tänzerisch ergänzen.


Alex Giona

Die Stunts auf Pferden werden von Rustam Gazzaev und seiner ansonsten rein weiblichen Truppe geritten. Rasante Tricks, ein hohes Tempo und viel Temperament sorgen für ordentlich Stimmung. Gazzaev leitet in einem weiteren Auftritt ein Pferd zu Schulschritten an. Dazu gibt es ein Ballett mit feurigen Zigeunerinnen. Er ersetzt damit die ursprünglich vorgesehene Reiterei von Yuri Volodchenkov. Einen schönen Kontrast zu diesen wilden Szenen setzt die ruhige Präsentation von insgesamt fünf weißen Wallachen durch Alex Giona. Er ist ein wahrer Pferdeflüsterer, den wir im vertrauensvollen Umgang mit seinen Tieren erleben. Es entstehen wunderbare Bilder, die die ganze Schönheit und das Können der Schimmel offenbaren.


Revolution Gauchos

Mit eindrucksvollen Bildern verwöhnen zudem die Mitglieder des Großen Chinesischen Staatscircus. 24 Artistinnen und Artisten zelebrieren die „größte Hutjonglage der Welt“, wie das hochwertig gemachte Programmheft informiert. Voller Dynamik lassen die Akteure zu Musik von Michael Jackson ihre Strohhüte in immer neuen Formationen fliegen. Ein wahres Fest, das einen vollends für sich gefangen nimmt, einen mitreißt. Nach Argentinien entführen uns die Revolution Gauchos. Sieben gestandene Südamerikaner bringen mit Trommeln und Bolaspielen das Feuer ihrer Heimat ins Theater Carré. Die dritte große Formation im artistischen Bereich kommt „direkt aus Las Vegas“, so die offizielle Ankündigung. Die Tuniziani arbeiten auf zwei Bahnen am Fliegenden Trapez. Jeweils drei Fliegerinnen und Flieger zeigen gewagte Sprünge zu den beiden Fängern. Dabei ist etwa die parallel gezeigte doppelte Passage und als absoluter Höhepunkt der vierfache Salto.


Ambra und Yves Nicols, Anastasia Makeeva, Sky Angels

Imposant aufgewertet wird die Luftakrobatik an Tüchern von Ambra und Yves Nicols. Ihre starken Tricks, für die sie ihre muskulösen Körper mit goldener Farbe überzogen haben, werden von Gladiatoren und ihren Begleiterinnen eingeleitet und dann von der Piste aus verfolgt. Wahrlich „Golden Dreams“, denn auch die Figuranten sind ganz in Gold gehüllt. Rot ist die vorherrschende Farbe bei Anastasia Makeevas Darbietung an geflochtenen Bändern, welche sie unter der Kuppel zelebriert. Startpunkt ist aber die Manegenmitte, wo sie, wie schon im Knie-Programm 2019, eine Choreographie mit Tänzerinnen in roten Kleidern aufführt. Ihre ausdrucks- und trickstarke Kür sehen wir in diesem Wereldkerstcircus zum letzten Mal. Denn Anastasia Makeeva hat sich entschlossen, ein Studium der Wirtschaftswissenschaften aufzunehmen. Die in Monte Carlo mit einem Goldenen Clown ausgezeichnete Akrobatik an den Strapaten von den Sky Angels, bei der sie vielfach auf die Kraft ihrer Gebisse setzen, ist die Schlussnummer des Programms. Zumindest bis zur Nachmittagsvorstellung am letzten Freitag der Spielzeit. Dort bricht ein Zahn beim männlichen Part des Duos, und er sowie seine Partnerin fallen zehn Meter tief zu Boden. Die Show wird abgebrochen, die darauf folgende am Abend abgesagt. Glücklicherweise haben die beiden einen sehr guten Schutzengel. Rustam Osmanov zieht sich lediglich eine Gehirnerschütterung zu. Kristina Vorobeva muss länger im Krankenhaus behandelt werden, befindet sich aber derzeit auf dem Weg der Besserung. Wünschen wir auch ihr eine baldige Genesung.


Duo Laos, Michael Ferreri, Duo Funkoholics

Für die letzten Shows übernimmt das Duo Laos den prominenten Platz vor dem Finale. Mercedes und Pablo aus Argentinien begeistern mit einer ausgefeilten Hand-auf-Hand-Kür. Zudem beherrschen sie wunderbar das intensive Spiel mit- und gegeneinander. Ein, vielleicht sogar der, Meister der Balljonglage ist Michael Ferreri. Einige Weltrekorde nennt der jugendliche Sonnyboy sein eigen. Bis zu zehn Bälle hält er an diesem Nachmittag gleichzeitig in der Luft und versteht es dabei bestens, das Publikum zu unterhalten. Auf Nervenkitzel setzen die Jasters. Giacomo zielt mit Messern sowie aus einer Armbrust geschossenen Pfeilen immer knapp neben Ehefrau Elena. Dabei zerschießt er Luftballons oder einen Apfel, der auf Elenas Kopf ruht. Bei den Funkoholics kann sich Victoria voll und ganz auf ihren Partner Konstantin verlassen. Umgekehrt ist es genauso. Denn bei ihrer Akrobatik am Chinese Pole übernimmt auch sie den tragenden Part. In der Tat, eine starke Frau. So stellt sich Konstantin etwa auf den Körper von Victoria, während sie diesen mit zwei Händen im rechten Winkel zum Mast hält.


Steve Eleky, Steve & Ryan

Glänzend besetzt ist zudem die Sparte Humor. Da ist Steve Eleky, den wir hierzulande bestens kennen. In Amsterdam zaubert er auf Englisch Hasen herbei und lässt edle chinesische Vasen verschwinden. Seine Kommentare dabei und die gewollt dilettantische Ausführung der Tricks sorgen für große Heiterkeit. Und da sind Steve & Ryan. Bei ihrem Engagement im Pariser Cirque d'Hiver vor einem Jahr haben sie bereits ihre Visitenkarte in Europa abgegeben. Ansonsten sind sie bislang vor allen Dingen in ihrer amerikanischen Heimat aufgetreten. Es wäre großartig, sie auch in Zukunft bei uns erleben zu können. Denn die beiden sind einfach herrlich komisch. Mit einer umwerfenden Mimik, einer überzeugenden Präsenz und einem perfekten Gespür für Timing liefern sie sich eine turbulente Wasserschlacht. Im Kern geht es darum, ein Hemd für Fred Butter zu waschen, womit Steve & Ryan natürlich grandios scheitern. Dafür gelingt es ihnen umso besser, das Publikum im Handumdrehen für sich zu gewinnen.

Mit dem Wereldkerstcircus 2019/20 ist den Produzenten Henk van der Meijden, Monica Strotmann und Kees van Liempt eine grandiose Show gelungen. Eine Show, die dem 35-Jahre-Jubiläum in jeder Hinsicht gerecht wird. Sie ist mit zahlreichen Top-Acts unserer Tage besetzt, hat große Truppen und lässt gleichzeitig genug Raum für kleinere, charmante Darbietungen. Das alles auf höchstem Niveau. Ein königliches Vergnügen eben!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch