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Cirque d'Hiver Bouglione 2021/22
www.cirquedhiver.com

Paris, 4. Dezember 2021: „Dingue“ war schon im vergangenen Jahr der Titel des Programms im Pariser Cirque d‘Hiver. Da die Show pandemiebedingt nur knapp zwei Wochen lang spielen konnte, kommt es in diesem Jahr zu einer Neuauflage. Solche „Programmverschiebungen“ sind oft nicht so einfach möglich, daher ist die Hälfte der Artisten in dieser Saison neu dabei. Seit mehr als 20 Jahren nicht neu ist die Ouvertüre „La piste aux étoiles“, die das zehnköpfige Orchester unter Pierre Nouveau zum Besten gibt. Monsieur Loyal Michel Palmer begrüßt das Publikum.

Die Künstler präsentieren kleine Kostproben ihres Könnens, während die sechs Damen und erstmals seit Jahren auch wieder zwei Herren der Salto Dancers ein tänzerisches Opening aufs Parkett legen. René Casselly, die Tiger der Familie Togni, Emanuel Farina, Elvis Errani, die Liste der großen Tierdarbietungen, die in den vergangenen Jahren an der Rue Amelot aufgetreten sind, ist lange. Aufgrund der Debatte um Tiere im Circus, die auch in Frankreich immer schärfer wird, gibt es nun schon (verständlicherweise!) zum zweiten Mal keine Wildtiere zu sehen.


Totti Alexis

Einzige Vierbeiner des Nachmittags sind daher der Friese und das Pony aus dem Circus Carl Busch, die unter der Peitschenführung von Regina Bouglione als Groß und Klein das Programm eröffnen. Ein großes Comeback gibt es mit Clown Totti, der uns schon von den Litfasssäulen und in den Pariser Metrostationen grüßt. Der Spaßmacher kehrt nach seinem Engagement im Programm „Surprise“ vor fünf Jahren wieder zur Familie Bouglione zurück. Zusammen mit Michael Palmer spinnt er vor allem musikalisch den roten Faden durch die Show und wird sofort zum Publikumsliebling. Schade nur, dass er dieselben Nummern wie bei seinem letzten Engagement zeigt und nicht neue Reprisen aus seinem großen und originellen Repertoire aufführen darf.


Geraldine Philadelphia, Fratelli Caveagna, Adele Fame

Erstmals im Cirque d‘Hiver zu sehen ist Geraldine Philadelphia. Es ist einfach immer wieder schön, dem „Roncalli-Kind“ bei seiner ästhetischen Hula-Hoop-Jonglage zuzuschauen. Roncalli-erfahren ist auch Sergi Buka. Der Spanier fährt auf einem Fahrrad, auf dem eine Lampe und eine Leinwand montiert sind, durch die Manege und lässt dabei allein mit seinen Händen immer neue Kunstwerke entstehen. Solch neue Akzente sind gewiss wichtig für den klassischen Circus! Klassisch, modern angehaucht, ebenfalls Roncalli-erfahren und ebenfalls immer wieder packend ist die Strapatennummer von Adele Fame. Bei ihren raumfüllenden Schwüngen durch den Prachtbau und riskanten Tricks wie dem freien Aufstehen aus dem freihändigen Spagat bleibt den Besuchern der Mund offenstehen. Diese Saison zu Roncalli gehen werden die Fratelli Caveagna. Mit ihrer klassischen Hand-auf-Hand-Darbietung sind die Absolventen der Circusschule von Verona das artistische Ausrufezeichen im ersten Programmteil.


Zoe Espana, Dylan und Asia Medini

Nicht vergessen dürfen wir in der ersten Hälfte noch Zoe Espana. Es gibt gewiss stärkere Cyr-Wheel Nummern, doch wenn sich die Spanierin in ihrem langen Kleid, mit wehendem braunem Haar, elegant durch die Manege bewegt und im Hintergrund noch die Salto Dancers tanzen, dann ist das einfach ein Bild für sich. Nachdem Sängerin Soffia Morghad, Ehefrau des künstlerischen Direktors Joseph Bouglione, zusammen mit dem Ballett den zweiten Teil eröffnet hat, zeigen uns Dylan und Asia Medini ihre klassische Rollschuhnummer. Zum Song „Far from Over“ steigern sich die italienischen Geschwister bis zum Genickhangwirbel.


Antonio Vargas, Francois Borie, Ray Navas und Sian Espana

Antonio Vargas zeigt akrobatische Figuren an einer Polestange, ehe sich diese aus ihrer Verankerung hebt und in Richtung Kuppel schwebt. Der Spanier wechselt sich übrigens mit dem Ukrainer Artem Lyubanevych ab, welcher ebenfalls am Flying Pole auftritt, wenn er nicht gerade als Teil des Strapatenduos „Just two men“ woanders im Engagement ist. Die Poledarbietung ersetzt den ursprünglich vorgesehenen Wesley Williams. Schade, der Einrad-Artist aus den USA wäre sicherlich ein großes Highlight in der Show gewesen. Mein persönliches Highlight bildet Jongleur Francois Borie. Bis zu sieben Keulen sowie vier Sombreros werden in hoher Geschwindigkeit taktgenau durch die Luft geworfen. Schlussnummer sind Ray Navas und Sian Espana am Todesrad. Sicher springt Navas hier den Salto auf der Außenseite des Rades. Chapeau! Bleibt nur die Frage, warum muss es schon wieder ein Todesrad als Schlussnummer sein? Schon im letzten Programm konnte man die Gärtner Brothers auf demselben Requisit erleben, sowie zwei Jahre zuvor wiederum die Navas. Warum schon wieder eine klassische Hand-auf-Hand-Darbietung, die es auch in den vergangenen Jahren immer gab? Warum schon wieder Hula-Hoop? Warum schon wieder Strapaten? Mehr Abwechslung würde hier sicherlich bei den vielen Stammbesuchern auf großen Anklang stoßen.

Schön wäre es mal Genres wie Hochseil, Schleuderbrett, russischer Barren und Co. zu sehen, welche lange nicht mehr im Cirque d‘Hiver unter Vertrag waren. Trotz allem ist die perfekt in Szene gesetzte Show natürlich vom Anfang bis zum Ende ein Genuss. Vor allem weil in Corona-Zeiten solche „Hochglanzsshows“ leider seltener geworden sind!

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Text: Simon Preißing; Fotos: Christophe Roullin