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Karlsruhe, 26. Dezember 2021: Nach einem Jahr Pandemie-bedingter Pause ist der Karlsruher Weihnachtscircus zurück – im alten Glanz und mit dem bewährten Konzept. Dazu gehört die große Eisenbahn, die auch in diesem Winter durch das turbulente Opening fährt. Sie macht Station in Moskau, Athen, Budapest, Mexiko-City und Berlin, also an den Orten in aller Welt, aus denen die Künstler nach Baden angereist sind. Endstation des Polarexpress ist natürlich der Karlsruher Weihnachtscircus. An Bord des Zuges sitzt das Ensemble, auf dem Dach thront der Weihnachtsmann im Rentierschlitten.

Und rund herum tanzt das sechsköpfige Shad Performance Showballett in Weihnachtsfrau-Kostümen. Die bildhübschen Tänzerinnen werden im weiteren Verlauf der Show ganz hervorragend eingesetzt, um vor ausgewählten Darbietungen die passenden Stimmungen zu schaffen – mal mexikanisch, mal spanisch und mal ägyptisch, ansonsten auch einfach mal glamourös.


Opening mit Ballett und Sängerin Karen McDawn

Wechsel gab es bei der Sängerin und dem Moderator: Nachdem Charlin Sperlich in dieser Saison verhindert ist, verzaubert uns Karen McDawn mit ihrer starken Stimme und tollen Ausstrahlung. Die Österreicherin war bereits in der Saison 2012/13 im Karlsruher Weihnachtscircus zu erleben, damals noch unter dem Namen Karin Valenta. Direktionstochter Monika Sperlich und Giovanni Biasini haben auch diese Show in Szene gesetzt, können aus zeitlichen Gründen aber nicht ihre bekannte Doppelmoderation übernehmen. Insofern trifft es sich gut, dass die Veranstalter Rosemarie und Joachim Sperlich ihre Zweitproduktion, den Trierer Weihnachtscircus, aufgrund der aktuellen Situation abgesagt haben. So steht das langjährige Gesicht der Trierer Produktion, André Riedesel, als eleganter und wortgewandter Ansager mit angenehmer Stimme zur Verfügung.


Juan Pablo Martinez, Anastasia Karampournioti, Iryna Bessonova und Pavlo Kapkan 

Es war stets der Anspruch des Karlsruher Weihnachtscircus, Las-Vegas-Flair auf den Messplatz zu bringen – nicht nur mit dem Ballett, sondern auch mit effektvollem Licht und dem Showband-Sound des Orchesters unter der Leitung von Misha Khoklov. Mit dem aktuellen Programm bewegt man sich dabei mehr denn je im Grenzbereich zwischen Circus und Varieté. Auf der Varietébühne jedenfalls sahen wir zuletzt Iryna Bessonova und Pavlo Kapkan, die mit ihrer Hand-auf-Hand-Akrobatik die eigentliche Spielfolge eröffnen. Die Nummer lebt vom augenzwinkernden Kontrast zwischen der großen Unterfrau und dem zierlicheren Partner. Tempo und Power bringt Anastasia Karampournioti in die Show. Von aufpeitschender Musik getrieben, begeistert sie mit wagemutigen Überschlägen, Pirouette-Sprüngen und Abfallern am Schwungseil. Zuletzt fängt sie sich mit einem Bein im Kniehang an der weit ausschwingenden „Wolkenschaukel“. Als einen Musterartisten wird man Juan Pablo Martinez bezeichnen dürfen, denn bei seinen Jonglagen mit Keulen, Tischtennisbällen und Sombreros stimmt nicht nur die Leistung. Vielmehr reißt der Mexikaner darüber hinaus das Publikum mit seiner fröhlichen, offensiven Ausstrahlung mit. Rhythmischer Applaus begleitet ihn schon während der Nummer. Schade nur, dass die vielen Lichter der unablässig leuchtenden Showtreppe bei kleinteiligem Geschehen den Blick stören – so etwa, wenn er Tischtennisbälle mit dem Mund in die Luft befördert und fängt.


Truppe Rudenskij, Siegfried und Maik Sperlich 

Ähnliches gilt bei manchen Aktionen der farbenprächtigen Papageien von Laura Urunova – beispielsweise, wenn die Vögel in kleinen Liegestühlen Platz nehmen und dabei scheinbar Zeitung lesen. Man würde sich an den entsprechenden Stellen einen ruhigeren Hintergrund wünschen. Keine Wünsche offen lässt die Papageiennummer selbst. Bei einigen Tricks werden große und kleine Zuschauer eingebunden. Sie dürfen einen liegenden Papagei in Händen halten, sie durch Ringe fliegen oder kleine Exemplare auf sich landen lassen. Besonders schön und emotional sind natürlich auch hier die Freiflüge der stolzen Aras durchs weite Rund des Grand Chapiteau. Einen Dämpfer erhält die bis dahin hervorragende Stimmung beim Auftritt der Truppe Rudenskij am Quadratreck. An der Leistung der Herren aus Russland und ihrer Partnerin liegt dies sicher nicht. Eher dürfte die düster-martialische Aufmachung im Stil einer Fantasy-Verfilmung dafür verantwortlich sein. Es ist dann an Maik und Siegfried Sperlich, dem Publikum wieder richtig einzuheizen – mit Seilspringen, doppeltem Blindlauf, Handstandlauf und hohen Sprüngen auf dem Todesrad. Die lateinamerikanischen Rhythmen vom Orchesterpodium tun ihr übriges, um das Publikum zu begeistern. Damit geht es in die Pause.


René Sperlich, Laura Urunova, Anastasia Karampournioti 

Hälfte zwei beginnt Anastasia Karampournioti mit ihren Ver- und Entwicklungen sowie kraftvollen Posen am roten Seidentuch. Hierbei präsentiert sich die Griechin in stimmungsvoller Aufmachung als stolze Spanierin. Stolz war man in Karlsruhe viele Jahre lang auch auf die besonders großen Tierdarbietungen, die hier präsentiert wurden – ob nun Cassellys und Erranis Elefanten, Richters riesiges Exotentableau, Spindlers große Pferdedressuren oder die Raubtiere von Manuel Farina. Unter anderem eine neue Aufteilung des Messplatzes mit deutlich weniger Platz für den Circus sorgt seit 2019 leider dafür, dass ähnliches kaum noch möglich ist. So sind die Hunde von Laura Urunova diesmal die einzige weitere Dressurnummer im Programm. Die großen und kleinen Vierbeiner machen Männchen, springen Seil und durch Reifen, bilden gemeinsam eine Polonaise und vieles mehr. Das fantasievoll-bunte Kostüm der jungen Tierlehrerin erinnert dabei an die Kreationen von Gia Eradze. Wohl auch eine Folge der Pandemie ist, dass wir heuer gleich zwei hauseigene Darbietungen der Sperlich-Junioren bewundern dürfen. Hierzu gehört außer dem Todesrad auch die großartige Handstand-Equilibristik von René Sperlich in ägyptischer Aufmachung. Die sicher präsentierten Tricks umfassen beispielsweise den Klötzchenabfaller und das Hochziehen an überhohen Stangen in den Handstand. Äußerst gefahrvoll wird die Arbeit dadurch, dass sie über der metallenen Spitze des pyramidenförmigen Requisits stattfindet. Aus diesem fahren die Handstützen elektrisch aus.


Mr. Gerald, Skating Rebels, Truppe Rudenskij

Eher überraschend scheint uns das erneute Engagement des jungen ungarischen Clowns Mr. Gerald, denn er präsentiert sich weiterhin eher etwas unterkühlt bis arrogant denn als großer Sympathieträger. Für unseren Geschmack übertrieben ausführlich spielt er seine Szenen – von der Jonglage mit Gabel und Kartoffeln über die „Reise nach Jerusalem“ und das „Schleuderbrett“ bis hin zu den „Glocken“, zumeist mit Mitspielern aus dem Publikum. Landsleute des Clowns sind die „Skating Rebels“. Die Nachwuchsartisten Dorottya Váradi und Gerfö Török wurden an der Artistenschule Imre Baross in Budapest ausgebildet. Sie haben nun erstmals in Deutschland die Gelegenheit, alle Facetten einer klassischen Rollschuhnummer zu zeigen, bis hin zum Genickhangwirbel. Auch ein „Mitfahrer“ aus dem Publikum darf sich von der Wirkung der Fliehkraft überzeugen. Für den Abschluss des Programms sorgt die Truppe Rudenskij in ihrem zweiten Auftritt, nunmehr in klassischer Aufmachung und mit temporeichen Sprüngen und Salti auf dem Fasttrack-Trampolin.

Gewohnt glamourös ist das Finale, in dem Karen McDawn inmitten des sich an Händen haltenden Ensembles „Heal the World“ interpretiert – ein sinnfälliger Kommentar zur aktuellen Situation. Von dieser nahezu unbeeindruckt hat die Familie von Joachim und Rosemarie Sperlich auch in diesem Winter wieder ein rundes Programm zusammengestellt, das letztendlich mit Applaus im Stehen gewürdigt wird.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll