CHPITEAU.DE

Roncalli Weihnachtscircus 2022/23
www.roncalli.de ; 198 Showfotos

Berlin, 20. Dezember 2022: Der Circus kommt in die Stadt! In einen eben noch recht beschaulichen Flecken kehrt Leben ein. Künstler aller Art zeigen ihr Können. Zwischen den Kirchtürmen wird das Hochseil gespannt. Die Bevölkerung wird von dem Spektakel in seinen Bann gezogen. Diese immer wieder zitierte Geschichte greift Roncalli bei seinem diesjährigen Weihnachtscircus in Berlin auf und setzt sie brillant um. Die Gesamtinszenierung ist es, die die inzwischen 18. Auflage so faszinierend macht. Da die politische Lage Restriktionen bei der Auswahl der Darbietungen macht, ist das Programm nicht ganz so stark besetzt wie gewohnt.

Doch die Sache hat auch einen positiven Aspekt: Wir bekommen einige Nummern zu sehen, die hier noch nicht zu erleben waren. Darunter durchaus spannende Neuentdeckungen. Insbesondere die Besetzung im Bereich Clownerie stellt eine echte Novität dar. Hinzu kommt das Tempodrom als aufgrund seiner rund angelegten Architektur bestens geeigneten Location für eine Circusshow.


Szene aus dem Opening

Schon vor dem Beginn des Spektakels ist der Marktplatz des italienischen Dorfs, sprich die in Pflasterstein-Optik ausgelegte und von einer Mauer umgebene Manege, belebt. Menschen in historischen Kostümen treffen sich, an Ständen werden Waren angeboten. Die Zuschauer sind eingeladen, den Platz mit einem Brunnen im Zentrum zu betreten, Fotos mit den Bewohnern zu machen oder gebrannte Mandeln zu kaufen. Den Hintergrund bildet neben einer Häuserzeilen-Kulisse der angepasste mediterrane Artisteneingang, mit dem Roncalli vor vielen Jahren auf Tournee war.


Circusdirektor Oliver Polak

Mit dem offiziellen Beginn des Abends fahren zwei Circuswagen auf den Platz, die Compagnie sitzt darauf oder kommt zu Fuß herein. Es wird bunt, es wird fröhlich, es wird ausgelassen. In einem Charivari lässt etwa ein starker Mann seine Muskeln spielen. Das Orchester, ein von Roncalli-Chefmusiker Georg Pommer zusammengestelltes Ensemble, spielt wunderbar auf und begleitet ganz fantastisch das weitere Programm. Die attraktiven Damen und Herren des Balletts sind dabei. Auch sie erleben wir noch des Öfteren. Als Circusdirektor fungiert Oliver Polak. Der Autor, Comedian und Entertainer ist ausgewiesener Circus-Liebhaber. Optisch gibt er einen Direktor aus dem Bilderbuch. Mit Frack, Zylinder, Stock und einer ordentlichen Leibesfülle verkörpert er den Chef der Truppe eindrucksvoll. Mit Hilfe einer Flüstertüte macht er die ersten Ankündigungen. Seinen folgenden Moderationen sind mit einem wunderbaren leichten Sarkasmus gewürzt. Allerdings hätte ich mir, passend zur stattlichen Figur, ein deutlich lauteres Auftreten gewünscht. Traumhaft, wie immer bei Roncalli, ist das Lichtdesign. Ein großer Pluspunkt für die Gesamtwirkung der Vorstellung.


Freddy Nock und Partner, Gabor Vosteen, Duo Adventures

Den artistischen Auftakt macht, als nahtlosen Übergang aus dem Charivari, die Truppe Banquinbar aus Kolumbien. Mit Handvoltigen sorgen die Dame und die fünf Herren weiter für ordentlich Schwung. Als Don Camillo und Peppone wagen sich Freddy Nock und Partner auf das Hochseil. Wir sehen etwa das Erklimmen der Plattformen über das Schrägseil, das gegenseitige Überspringen und das Zwei-Mann-Hoch. Nach diesem gemeinsam zelebrierten Nervenkitzel hoch über dem Marktplatz sind die beiden zurück am Boden weiterhin über Kreuz. Die Versöhnung zwischen Hochwürden und Bürgermeister gelingt (noch) nicht. Gabor Vosteen macht, wenn auch dunkelhaarig, mit seiner Frisur Bello Nock Konkurrenz. Der Blockflöten-Virtuose war bereits mit „Circus Roncalli – Salto Vitale“ auf Tournee. Er schafft es spielend auf mehreren seiner Instrumente gleichzeitig zu musizieren. Die Luft dafür produziert er nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit der Nase. So entstehen neben wunderbaren Tönen ebenfalls witzige Posen. Adagio-Akrobatik und Balljonglagen verbindet das Duo Adventures und schafft so einzigartige Bilder. Etwa wenn Zhenya im Spagat Bälle auf Finger- sowie Zehenspitzen rotieren lässt und sich auf den Fingern des hinter ihr stehenden Partners Mikhail zwei weitere Bälle drehen. Fünf der bunten Bälle jongliert Mikhail im Solo.


Vioris Zoppis, Pastelito de Chile, Oscarita

In einem Tanz des Balletts tragen dessen Mitglieder elegante historische Kostüme zur Schau. Herr Direktor ist ebenfalls dabei. Gefühlt gibt Vioris Zoppis bei seinen Auftritten immer mehr als 100 Prozent. Seine Darbietung am Boden und an den Strapaten ist stets voller Intensität, elektrisiert die Zuschauer. Das ist im Tempodrom nicht anders. Hier tritt er in edler kurzer Hose, weißem Unterhemd und schwarzen Socken auf. Dazu gibt es Hosenträger und Sockenhalter. Handstände am Boden wechseln sich mit trickstarken Sequenzen in der Luft ab. Es ist immer wieder ein Erlebnis, dem jungen Italiener zuzusehen. In etwa genauso viel Energie transportiert der nächste Künstler bei seinem Auftritt in Richtung Zuschauerreihen. Pastelito de Chile ist ein Vollblut-Clown. Auch er gibt für das Berliner Publikum alles. Aufgedreht absolviert der Artist, der in seiner Heimat einen eigenen Circus betreibt und im Fernsehen populär ist, seinen Auftritt. In Begleitung seines Sohnes Junior, der den (halbwegs) seriösen Part gibt, spielt er auf den unterschiedlichsten Instrumenten. Gesang gibt es ebenfalls. Letztendlich ist es eine deutlich andere Variante der Clownsfigur, wie wir sie kennen. Sehr extrovertiert, verspielt, ausgelassen-kindlich. Ich habe diese circensische Horizonterweiterung in jedem Fall in vollen Zügen genossen. Das Publikum deutlich hörbar auch. Außerdem mit dabei ist Pastelitos Tochter Oscarita. Wir erleben sie mit Luftakrobatik an einem prächtigen Kronleuchter sowie an den Römischen Ringen. Dabei entsteht ein eindrucksvolles Fest für die Augen. Die musikalische Begleitung übernehmen Vater und Bruder mit Saxophon sowie Gesang.


Duo Cardio, Truppe Banquinbar, Marika Gould

Eine Badeanstalt aus längst vergangener Zeit bildet die Kulisse für den folgenden Auftritt des Balletts. Wenn die Tänzerinnen und Tänzer gerade nicht in einer Choreographie zu sehen sind, nehmen sie auf Liegestühlen sowie in einem Strandkorb Platz. Modisch begeben wir uns etliche Jahrzehnte zurück. Die herrliche, mit einem Augenzwinkern gespielte Szene bildet die Einleitung für das Duo Cardio. Solene und Rodrigo tragen bei ihrer Perche-Akrobatik ebenfalls historische Bademoden. Zum Einsatz kommen Stirn- und Schulterperche in unterschiedlichen Ausführungen. So balanciert Rodrigo seine Partnerin auf der Stirn über eine Leiter, während sich diese einige Meter weiter oben im Gleichgewicht hält. Das Ballett der Köchinnen und Köche läutet zur Pause. Zu Beginn des zweiten Teils erleben wir die Mitglieder des Balletts dann schon wieder. Gefolgt von der Truppe Banquinbar. Diesmal begeistert das Sextett aus Kolumbien mit Stangenwurf sowie Akrobatik am Russischen Barren. Die waghalsigen Sprünge in luftiger Höhe werden sicher auf kleiner Fläche gefangen. Während der Saison 2022 war Marika Gould als Teil der Luna Girls bei Roncalli am Luftring engagiert. Jetzt arbeitet die Kanadierin eine sinnliche Kür an weißen Tüchern. Gewagt wickelt sie sich in immer schnelleren Umdrehungen hinab Richtung Manegenboden. Die Gesichter der Canaval Twins sehen wir erst beim Schlusskompliment. Ihre Passings mit leuchtenden Keulen zeigen die Brüder aus Österreich im Dunkeln. Dabei stehen sie zumeist auf illuminierten Würfeln. Alle Requisiten wechseln während ihres Auftritts die Farben. Ohne Frage bieten die Canaval Twins anspruchsvolle Jonglagen, die aufgrund des fehlenden Lichts noch schwieriger werden. Nichtsdestotrotz wirkt die Nummer so etwas anonym.


Lili Paul-Roncalli, Pastelito de Chile, Nirio Rodriguez Tejeda

Noch einmal unternimmt Circusdirektor Oliver Polak den Versuch, Don Camillo und Peppone zu versöhnen. Dafür schickt er Freddy Nock und Partner auf zwei schwankende Masten. Nachdem sie an deren Spitzen unter anderem den Platz getauscht haben, liegen sie sich zurück auf dem Marktplatz in den Armen. Versöhnung geglückt. Corona-konform bindet Gabor Vosteen mehrere Gäste aus dem Publikum in sein Musizieren mit Blockflöten ein. Die Instrumente werden vor Übergabe mit Desinfektionsspray gereinigt und durch eine verlängerte Hand gereicht. Das Prozedere ist natürlich Teil eines herrlichen Spaß, den er gemeinsam mit seinen Musiker-Kollegen ehrenhalber treibt. Es folgt eine äußerst witzige musikalische Aufführung. Dann haben wir einmal mehr die Freude, Lili Paul-Roncalli zu erleben. Seit dem Gewinn der RTL-Show „Let's dance“ genießt sie große Popularität und ist verstärkt auch außerhalb des Circus der eigenen Familie unterwegs. Nun also wieder ein Heimspiel, bei dem sie ihren Körper elegant verbiegt und zusätzlich auf Händen sowie Füßen Tücher rotieren lässt. Noch einmal gibt es Clownerie aus Chile. Pastelito motiviert seinen Sohn, sich ebenfalls als Clown zu kleiden. So wird Junior mit rotem T-Shirt und rothaariger Perücke zu einer jüngeren Ausgabe seines Vaters. Mit Unterstützung von Oliver Polak lassen sie einen Jungen aus dem Publikum schweben. Während hier ganz offensichtlich getrickst wird, überzeugt Nirio Rodriguez Tejeda mit der Kraft seiner Muskeln. Der Modellathlet aus Kuba zelebriert eine starke Handstand-Kür. In nahezu allen denkbaren Varianten hält er sich auf einem sowie zwei Händen im Gleichgewicht. Im freistehenden Kopfstand dreht er sich einmal um 360 Grad. Es folgt ein Roncalli-Finale vom Feinsten. Mit Luftballons, mit bunten Papierstreifen aus der Kuppel, mit allen Mitwirkenden, mit traumhaftem Licht, mit herrlicher Musik und mit kleinen Kabinettstückchen. Und dann fährt einer der beiden Circuswagen nach mehreren Runden in der Manege durch den roten Vorhang des Artisteneingangs. Auf seinem Balkon am Ende sitzen Gabor Vosteen, Oliver Polak und Pastelito. Der Circus verlässt das Dorf wieder, die Vorstellung ist fertig, die Geschichte ist zu Ende erzählt.

Mit diesem 18. Original Roncalli Weihnachtscircus ist den Verantwortlichen eine grandiose Inszenierung gelungen. Eine altbekannte Geschichte wird hinreißend umgesetzt, Chapeau! Das größte Lob gilt Regisseur Patrick Philadelphia. Hinzu kommt, dass er aus dem Vollen schöpfen kann, was Ballett, Orchester und Lichtdesign angeht. Ergänzend gibt es spannende Neuentdeckungen in den Bereichen Artistik und Clownerie. Der weite Weg nach Berlin hat sich also mehr als gelohnt. Einfach ein genialer Abend, der lange in Erinnerung bleiben wird. 

________________________________________________________________________
Text und Fotos: Stefan Gierisch