CHPITEAU.DE

Wereldkerstcircus Carré 2022/23
https://wereldkerstcircus.nl ; 294 Showfotos

Amsterdam, 2./ 3. Januar 2023: Zwei Winter mussten die Amsterdamer jetzt auf ihren Wereldkerstcircus verzichten. Offenbar haben sie ihn schmerzlich vermisst. Denn in der aktuellen Spielzeit war das Königliche Theater Carré so gut ausgelastet wie noch nie. Mit 66.000 Zuschauer meldet die veranstaltende Stardust Circus International einen neuen Besucherrekord. Das bedeutet in Summe eine Besetzung der 44 Vorstellungen von über 99 Prozent. Die aus Corona für die Showbranche resultierenden Einschränkungen sind überwunden.

Auch die mit dem Krieg in der Ukraine verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen scheinen das Publikum nicht vom Ticketkauf abzuhalten.  Für das Team um Produzent Henk van der Meijden ergeben sich daraus allerdings erhebliche Herausforderungen. Die bislang gerne engagierten großen Truppen aus Russland können aktuell nicht präsentiert werden. Ebenso stehen Artisten aus der Ukraine nicht im gewohnten Umfang zur Verfügung. Trotzdem ist es gelungen, für die Saison 2022/23 ein attraktives, abwechslungsreiches und hochkarätiges Programm zusammenzustellen.


Florian Richter

Eine neue Situation hat sich zudem hinsichtlich der musikalischen Begleitung ergeben. Vor Corona hat über der Bühne das Orchester des Circus Knie musiziert. Inzwischen spielt der Schweizer National-Circus rund um Weihnachten und den Jahreswechsel selbst. Auch hierfür hat sich eine Lösung gefunden. Knie-Kapellmeister Ruslan Fil hat für den Wereldkerstcircus eine neue Formation unter der Leitung von Vadym Kovalchuk zusammengestellt. Für das wunderbare Lichtdesign im Prachtbau mit seinen steil ansteigenden Rängen ist wiederum Wim Dresens verantwortlich. Die Regie für die Show hat Florian Richter übernommen.


Kevin Richter

Florian Richter, Sohn Kevin und die Mitglieder ihrer Truppe nehmen auch im Programm viel Raum ein. Nach dem Eröffnungsmarsch und der Begrüßung durch den formvollendeten Ringmaster Fred Butter erleben wir die Ungarische Post von Kevin Richter. Als schneidiger Stehendreiter lässt er 18 Pferde unter sich hindurch, um sie am Ende alle an langen Zügeln vor sich herlaufen zu lassen. Temperamentvoll präsentiert Florian Richter seine Freiheitsdressur mit bis zu 13 Pferden in den Farben schwarz und weiß. Herrliche Steiger runden die Vorführung ab. Vor der Pause gibt es Jockeyreiterei mit viel ungarischem Temperament. Im Mittelpunkt der neunköpfigen Truppe, eine Dame inklusive, steht Kevin Richter. Das Repertoire lässt nahezu keine Wünsche offen. So ist etwa der von drei Personen synchron gesprungene Salto von Pferd zu Pferd - beziehungsweise Pferd zu Boden beim letzten Reiter - dabei. Oder kraftvolle Sätze auf den Pferderücken. Mit jeweils einer großen ungarischen und niederländischen Flagge macht ein Truppenmitglied auf einem galoppierenden Pferd stehend den Abschluss. Nicht dabei sind Menschentürme. Die gibt es dafür in der Schleuderbrettnummer, mit der die nun elf Artisten starke Richter Truppe die Spielfolge beschließt. Zusätzlich begleitet eine Sängerin diesen Auftritt. Bis zum mit einer Perchestange stabilisierten Fünf-Mann-Hoch katapultieren sich die Akteure gegenseitig in die Luft. Zuvor sehen wir viele weitere elegante Salti, die auf den Schultern der Partner oder in einem Sessel gelandet werden.


Gerlings, Ayalas, Henry Ayala

Sechs Akrobaten aus dem Team von Douglas Gerling wagen rasante Touren auf zwei nebeneinander aufgehängten Todesrädern. Für einige Runden sind sie sogar alle gleichzeitig in sowie auf den beiden rotierenden Rädern unterwegs. Insbesondere die hohen Sprünge auf der Außenseite sorgen für Nervenkitzel. Interessantes Detail: Wenn die Räder nicht im Einsatz sind, hängen sie unter dem Dach des Theaters. Das verdeutlicht die Dimensionen des Gebäudes. Das Spiel mit den Nerven der Zuschauer beherrschen auch die Ayalas perfekt. Fred Butter kündigt ein Quartett an, doch Clown Henry bemerkt, dass nur drei Artisten zu sehen sind. Also macht er sich umgehend selbst auf den Weg zu einer der beiden Plattformen, zwischen denen das Hochseil gespannt ist. Damit ist die Vierergruppe komplett und bereit, für feuchte Hände bei den Gästen zu sorgen. Dank der steil ansteigenden Ränge können einige der Zuschauer sogar aus der Vogelperspektive zusehen. Wagemutig arbeiten die Ayalas ihre starken Tricks. Dabei sind etwa das Überspringen von zwei Personen, der Sprung von Schulter zu Schulter und eine Pyramide zu viert. Der Obermann in der Mitte trägt einen weiteren Partner auf der Schulter. Als Dirigent und Popcornverkäufer erleben wir Henry Ayala ebenfalls in seiner Rolle als „Prince of Clowns“. Urkomisch versteht er es, mit dem Publikum zu spielen, ohne seine Gäste lächerlich zu machen. Natürlich fehlt auch der herrlich verrückte Besuch in einem italienischen Restaurant nicht, bei dem Kellner Henry für reichlich Chaos sorgt und die Spaghetti fliegen lässt. Die Rolle des Gasts übernimmt in Amsterdam Laura Miller.


Laura Miller, Luna Girls, Flash of Splash

Selbstverständlich sehen wir Laura Miller zudem als Artistin. Ihre ohnehin schon starke Darbietung am Luftring hat seinen zusätzlichen Reiz in der Einbeziehung eines mit Wasser gefüllten durchsichtigen Bassins. Immer wieder taucht sie darin ein, schwimmt ein paar Runden und lässt sich dann durchnässt wieder Richtung Kuppel ziehen. So ergeben sich herrliche Effekte voller Dynamik. Beim letzten Sprung in das Becken lodern Flammen auf der Wasseroberfläche. Drei weitere Luftnummern sind Bestandteil des Programms. Los geht es mit Svyat Rasshivkin. 2012 machte der damals Elfjährige beim European Youth Circus in Wiesbaden auf sich aufmerksam. Zehn Jahre später nun erleben wir ihn als gestandenen jungen Mann. Noch immer sind die Strapaten sein Requisit. Er zelebriert daran eine kraftvolle, trickreiche Kür in beachtlicher Höhe. Die Luna Girls vereinen am Luftring Akrobatik und Sinnlichkeit. Marina Luna und Madeline Mc Kay haben sowohl synchron ausgeführte Kunststücke mit nach Amsterdam gebracht als auch Figuren, bei denen sie sich gegenseitig in anspruchsvollen Posen festhalten. Sie laden damit zum Träumen ein. Rockiger geht es beim Flic Flac-erfahrenen Duo Flash of Splash zu. In schwarzen Outfits begeistern Yevhen Abakumov und Amaliia Avanesian an den Strapaten. Ein großes Maß an Vertrauen ist bei beiden Akteuren notwendig, denn in der Rolle des tragenden Parts wechseln sie sich ab. So hält Yevhen seine Manegenpartnerin im Flug mit den Beinen fest. Kurz darauf hängt Yevhen mit den Zähnen an einem Band, dessen anderes Ende als Schlaufe um den Hals von Amaliia liegt.


Kolev Sisters, Lucky Hell, Konstantin Muraviev

Auf einem Tisch präsentieren die Kolev Sisters ihre Equilibristik. Die weiblichen Shooting Stars der Hand-auf-Hand-Akrobatik kommen direkt aus Las Vegas, wo sie während der vergangenen Saison engagiert waren. Was Michelle und Nicole leisten, ist schlichtweg phänomenal. Ihre vielfältigen Tricks erfordern viel Kraft und einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn. Mögliche Anstrengungen lassen sich die Schwestern aber in keinster Weise anmerken. Im Gegenteil, sie haben immer ein charmantes Lächeln auf den Lippen. Familiär verbunden sind auch die beiden Jongleure der Show. Kris ist der Vater von Harrison Kremo. Gemeinsam jonglieren sie mit je einer Melone, drei Bällen, drei Zylindern und drei Zigarrenkistchen. Die Circus-Legende und sein Sohn faszinieren zumeist mit synchron ausgeführten Touren. Aber sie werfen sich auch gegenseitig präzise die Bälle zu. Herrlich zu sehen, wie hier eine Generation die nächste an das Business heranführt. Lucky Hell, der Künstlername ist so aufregend wie die Artistin und ihre Darbietung. Der Körper der blonden Engländerin ist mit vielfältigen Tattoos verziert. Mit einer bemerkenswerten Ausstrahlung verblüfft sie als Schwertschluckerin. Ob gerades oder gewelltes Schwert, ob eines oder zwei, alles verschwindet in Lucky Hells Rachen. Sogar ein rot beleuchtetes Schwert gelangt durch den Mund in ihren Körper. Dank Artistik am Rhönrad verliert Konstantin Muraviev in beneidenswert kurzer Zeit enorm an Leibesumfang. Bis am Ende ein von Fred Butter gereichtes Bier alles wieder zunichte macht. Die rasant-witzige Akrobatik an einem Sportgerät hat schon in vielen Manegen große Heiterkeit bei den Zuschauern ausgelöst. Auch im Theater Carré sorgt Muravies Auftritt sowohl für viel Spaß als auch für Bewunderung für sein Können.

Wenn sich beim Finale alle Mitwirkenden zur Verabschiedung um einen großen Weihnachtsbaum in der Manege versammeln, dürfen sie den frenetischen Applaus des Publikums entgegennehmen. Denn die Gäste haben in den zurückliegenden Stunden genau das bekommen, was sie drei Jahre lang entbehren mussten: abwechslungsreichen, echten Circus auf höchstem Niveau, verpackt in einer wunderbaren Inszenierung. Und das in einer traumhaften Location. Einfach fantastisch!

_______________________________________________________________________
Text und Fotos: Stefan Gierisch