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Dresdner Weihnachts-Circus 2022/23
www.dwc.de ; 150 Showfotos

Dresden, 29. Dezember 2022: Das ist Circus in Dimensionen, die es heute nicht mehr gibt – mit Pferden, Elefanten und Raubtieren in einem Programm. Noch dazu werden alle drei klassischen Großtierarten von Spitzenkönnern ihres Faches präsentiert. Mit seiner Jubiläumsveranstaltung „25 Jahre Dresdner Weihnachts-Circus“ hat Direktor Mario Müller-Milano Maßstäbe gesetzt und sich zugleich verabschiedet – die nächste Produktion im Winter 2023/24 möchte er in die jüngeren Hände von Sascha Köllner und dessen Brüdern legen. Zugleich lässt uns diese Show wehmütig auf vergangene Tage blicken.

Diese Vielfalt von Tierdarbietungen war noch vor wenigen Jahrzehnten ein Standard in großen Manegen, sie hat unseren zirzensischen Geschmack, unsere Sehgewohnheiten geprägt. Der tierreiche Circus war das, was uns in jungen Jahren zu glühenden Circusfans gemacht hat. In Dresden lebt er noch einmal auf. Dafür gebührt unser Dank dem Direktor Müller-Milano, der den Weihnachts-Circus übernahm, nachdem der Circus Busch-Roland nach den ersten 14 Ausgaben in eine schwere Krise geraten war und den Betrieb einstellen musste. Der letzte Direktor Filip Kaiser blieb dem Unternehmen bis zum 24. Dresdner Weihnachts-Circus als technischer und künstlerischer Leiter verbunden.


Außenansicht

Auf dem Volksfestplatz ist das große 50-Meter-Chapiteau aufgeschlagen. Als Vorzelt mit reich ausgestatteter Restauration dient das frühere Spielzelt des ostdeutschen Zirkus Probst. Davor komplettiert ein kleineres Durchgangszelt das Ensemble. Drei Vorstellungen werden an diesem Tag gegeben, alle drei sind komplett oder nahezu ausverkauft. Und dies bei einer Kapazität von 2444 Plätzen. Die lange Show mit einer Spieldauer von dreieinhalb Stunden und der Besucheransturm führen dazu, dass die Abendveranstaltung an diesem Tag erst mit nahezu einer Stunde Verspätung beginnt. Nachdem das bewährte Orchester aus der Ukraine kriegsbedingt nicht zur Verfügung steht, wurde eine hochklassige Formation aus elf deutschen, niederländischen und ungarischen Musikerinnen und Musikern exklusiv für Dresden zusammengestellt. Auf dem großen Podium über dem Artisteneingang begleiten sie das Geschehen unter dem Dirigat von Lukas Proske durchgängig mit Livemusik. Im Opening tanzen die fünf im Verlauf der Show in nur homöopathischer Dosierung eingesetzten „Elite Showgirls“, Sängerin Anynka Palduson versucht sich am Filmsong „Greatest Show“, und das Ensemble versammelt sich zum Charivari in der Manege.


Totti Alexis, Jozsef Richter jun., Josue Marinelli

Bereits aufgebaut ist das große Todesrad der amerikanischen Brüder Patrick und Josue Marinelli vom Circus Vargas. Als einige der wenigen Vertreter des Genres wagen sich zeitweise beide gleichzeitig auf die Außenseiten der Laufkessel. Der dunkelhaarige Patrick präsentiert den Blindlauf und einen Aufschwung außen am Rad, der blond gefärbte Josue klettert auf der Achse des Rades und beeindruckt mit Seilspringen und hohen Sprüngen. Mehrere Darbietungen in Dresden wurden aus dem Saisonprogramm 2022 des Ungarischen Nationalcircus übernommen, darunter der wunderbare Achterzug aus jeweils vier weißen und schwarzen Pferden, den Direktor Jozsef Richter jun. feurig präsentiert. Als Einleitung dirigiert er ein Schulpferd am Zügel, dann folgen mannigfaltige Lauffiguren der gesamten Tiergruppe. Außergewöhnlich sind beispielsweise die Pirouetten, bei denen weiße und schwarze Pferde in entgegengesetzte Richtungen drehen. Mit Steigern in verschiedenen Varianten – mit einem, zwei und vier Pferden – findet die Nummer ihren Abschluss. Schlicht eine Fehlbesetzung in diesem ganz großen Rahmen ist Sprechstallmeister Freddie Rutz, der mit seinen Moderationen im Plauderton das Publikum jedenfalls in den hinteren Reihen nicht erreicht. Wie es gelingen kann, auch ein solch großes Auditorium mit Präsenz und Ausstrahlung, Stimme und Gestik sofort für sich einzunehmen, beweist dagegen Clown Totti Alexis. Nachdem er beim Trompetenspiel scheinbar eine Fliege verschluckt, verwandelt er sich selbst in ein solches Insekt, ihm wachsen in kürzester Zeit Flügel, Fühler und große Augen. Kein anderer Künstler stand in den vergangenen Jahren häufiger in der Manege des Dresdner Weihnachts-Circus als er.


Daniella Arata, Alexandro Jostmann, Truppe Jozsef Richter

Ebenfalls vom Circus Vargas ist Daniella Arata angereist. Auf ihrem hohen Podium kommen ihre klassischen Handstände und Kontorsionen optimal zur Geltung. Mit strahlendem Lächeln und im mit glitzernden Pailletten besetzten Kostüm zelebriert sie ihre Kunst. Abschließend löst sie mit den Füßen einen Bogenschuss aus und lässt auf diese Weise zielsicher einen Luftballon platzen. Schwarz-weiß wie die Pferdefreiheit ist auch die zweite Tiernummer im Programm, die Hundedressur von Alexandro Jostmann und seiner Ehefrau mit ihren Pudeln. Das Seilspringen sowie der Lauf auf den Hinterbeinen und auf einer Tonne sind nur drei Elemente der Trickfolge. Sie war 2022 im Saisonprogramm des Ungarischen Nationalcircus zu sehen, während das hauseigene Schleuderbrett pausierte. Nun wurde dieses akrobatische Highlight für Dresden neu aufgelegt. Zu der mit viel Temperament verkauften Trickfolge gehören beispielsweise Sprünge in den Spagat zwischen zwei Menschentürmen, in den Sessel und zum Vier-Personen-Hoch, wobei Fänger Jozsef Richter dabei auf einer Perchestange steht.


Robles

Zum Training in ihre „Kung Fu-Schule“ entführen uns Totti und Charlotte Alexis mit ihren beiden Söhnen Charlie und Maxim. Auch ein Zuschauer darf mitmachen und sich an der „Kraftmaschine“ dieser äußerst sympathischen Familie stählen. Für einen Höhepunkt im Wortsinn sorgen schließlich die Robles auf dem Hochseil. Sprünge über zwei auf dem Seil kauernde Partner, Dreierpyramide auf zwei Fahrrädern, Zwei-Personen-Hoch und eine sicher zelebrierte Sieben-Personen-Pyramide sind längst nicht alle Bestandteile dieser starken Darbietung. Damit geht es in die Pause.


Alexander Lacey

Unter den ungezählten Circusnummern, die wir kennen, gehört die großartige gemischte Raubtierdressur von Alexander Lacey zu unseren Allzeit-Favoriten. Stets absolvieren seine Tiger und Löwen Tricks von höchster Schwierigkeit mit bestechender Präzision. Der Stil der Präsentation ist jederzeit elegant, und die großen Katzen befinden sich offenkundig in besten Händen. Alexander Laceys Name ist – anders als bei den allermeisten Circuskünstlern – tatsächlich einem breiten Publikum ein Begriff. Der Circus unserer Zeit hat wenige echte Stars, er ist einer von ihnen. Die Entwicklung der Branche bringt es gleichwohl mit sich, dass es genügend Auftrittsmöglichkeiten realistischerweise nicht mehr gibt. Alex Lacey hat die Konsequenzen gezogen und seine Karriere in der Circusmanege mit einem Engagement in Dresden beendet. Seine fünf Tiger und vier Löwen formieren sich zunächst zur Pyramide. Es folgen ein vierfacher Rollover sowie ein weiter Sprung über zwei Artgenossen. Die Tiere liegen gemeinsam zum Teppich ab und lagern sich dann noch jeweils auf die Seite, sacht legt sich der Tierlehrer auf seine Schützlinge – der „Signature Trick“ der Darbietung in ihrer Fassung nach der Rückkehr aus den USA. Dazwischen findet Lacey noch Zeit, augenzwinkernd das Smartphone einer Zuschauerin in der ersten Logenreihe zu übernehmen und im Zentralkäfig ein Selfie mit den Raubkatzen zu machen. Mit fünffachem Hochsitzer, Schmuseeinheiten mit einem Tiger und der Fahrt mit einem prächtigen Mähnenlöwen auf der Spiegelkugel findet die Nummer ihren Abschluss. Wir verneigen uns vor der herausragenden Karriere von Alexander Lacey im Zentralkäfig und wünschen seiner Familie und ihm alles Gute. Er wird mit seinen Tieren zunächst weiter auf dem Gestüt Wessling des Circus Krone leben.


Michael Ferreri, Scott und Muriel, Totti Alexis

Nachdem das umfangreiche Programm gekürzt werden musste, erleben wir Clown Totti in der zweiten Hälfte leider nur noch mit der Interpretation seines „interaktiven Dschungel-Lieds“, dies auf der Tribüne während des Käfigabbaus. Nun reiht sich in der Jubiläumsshow weiter Höhepunkt an Höhepunkt. Ein solcher sind zweifellos die Jonglagen von Michael Ferreri. In raffinierten Kombinationen schickt er bis zu zehn Bälle in die Luft und fängt sie wieder auf; mit seiner tollen Ausstrahlung nimmt er das Publikum vollends für sich ein. Magisch geht es weiter mit Scott und Muriel. Er gibt den Zauberer, der nur scheinbar an der Tücke des Objekts scheitert, sie die herrlich überdrehte und zugleich unendlich sympathische Assistentin. Es ist zum Brüllen komisch, wie hier dem Klassiker der „zersägten Jungfrau“ eine völlig neue und undurchschaubare Wendung gegeben wird. Spitzenklasse ist auch der Trick, bei dem Muriel einer komplett flach zusammenklappenden Kiste unversehrt entkommt und letztlich aus dem Publikum wieder erscheint.


Patrick Marinelli, Cvetomira Kirova-Errani und Guendalina Biasini, Truppe Jozsef Richter jun.

Nach der großartigen Raubtiernummer wartet der Dresdner Weihnachts-Circus auch mit der besten Elefantennummer auf, die es heute in Europa noch gibt. Elvis Errani leitet seine drei Tiere durch die bekannte, umfassende Trickfolge. Zu den Höhepunkten gehört das Überschreiten seiner Mutter Guendalina Biasini, seiner Frau Cvetomira Kirova-Errani und einer weiteren Partnerin, die am Boden liegen, durch einen Elefanten. Die Kommandos gibt Elvis Errani per Mikrofon aus dem Publikum. Nochmals einen ruhigen Kontrapunkt setzt Patrick Marinelli mit seinen kraftvollen Flügen an den Strapaten zu zurückhaltender Musik. Zum Abschluss der Show dürfen wir die große Jockeyreiterei aus dem Ungarischen Nationalcircus erleben. Alexandro Jostmann führt die Peitsche in der Manegenmitte. Verschiedene Salti von Pferd zu Pferd, das Drei-Personen-Hoch mit einem longierten Kind an der Spitze und fünf Personen auf einem Ross bleiben markante Eckpunkte des Repertoires. Ein Fest ist der Anblick, wie der stehend reitende Jozsef Richter jun. die ungarische und die deutsche Flagge über die Köpfe der Logengäste streichen lässt.

Fantastische Tiernummern, große Truppen und charismatische Einzelkünstler, ein Spitzenclown mit seiner Familie - das Programm ist ein fantastisches Hochfest des klassischen Circus, eine Ode an die traditionelle Manegenkunst, eine Aneinanderreihung von Top-Acts. Der stark verspätete Beginn der Vorstellung in Kombination mit ihrer ausführlichen Dauer ist vielleicht verantwortlich dafür, dass die Publikumsreaktionen im Finale nicht so überwältigend ausfallen, wie die Show es unbedingt verdient gehabt hätte. So oder so: Das Jubiläumsprogramm von Mario Müller-Milano war auch die weiteste Anreise wert, in unserem Fall 500 Kilometer. Hoffen wir, dass der Dresdner Weihnachts-Circus auch nach dem Abschied des langjährigen Direktors im gewohnten Glanz weiterlebt.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll