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Karlsruhe, 26. Dezember 2022: Ein Lehrbuchbeispiel, wie ein gutes Circusprogramm glanzvoll in Szene gesetzt werden kann, liefert die Familie von Joachim und Rosemarie Sperlich mit ihrem 13. Karlsruher Weihnachtscircus. Ein druckvoll aufspielendes Orchester, hervorragendes Licht, passend zur nachfolgenden Nummer gestaltete Balletteinlagen, eine flüssig ablaufende Show - so macht Circus Spaß. Freude bereitet auch der Anblick der voll besetzten Tribünenreihen und Logen im edlen Ambiente des Hauptzeltes. Zuvor haben wir die Atmosphäre eines glitzernden Weihnachtsmarktes im Vorzelt genossen.

Romantisch beginnt das Opening, wenn die sechs Damen des Balletts in weißen Tütüs und mit leuchtenden Herzen auf dem Oberkörper auf Postamenten tanzen. Aus der Circuskuppel rieselt Kunstschnee, "Let it snow" liefert die musikalische Begleitung.


Ballett, Karen McDawn

Der Grinch erscheint und grämt sich über die Weihnachtsstimmung, doch damit bleibt er alleine. Musicalsängerin Karen McDawn mit ihrer extrovertierten, offensiven Ausstrahlung singt voller Temperament "We wish you a merry Christmas" und zeigt sich glücklich, dass - nach den Corona-Beschränkungen im vergangenen Winter - nun wieder vor vollem Haus gespielt werden darf. Sie übernimmt im weiteren Verlauf des Abends auch die Moderationen. Nicht fehlen darf natürlich der schon legendäre Zug mit dem Ensemble an Bord und Rentierschlitten auf dem Dach, der durch die Manege kreist. Nach einem ersten Kostümwechsel des Balletts - nun erscheinen die Damen in grünen Mänteln - darf musikalisch vom “letzten Weihnachten” geträumt werden.


Milena Oksanen, Giovanni Kaselowski, Michael Olivares

Die eigentliche Spielfolge eröffnet Milena Oksanen mit ihrer Luftakrobatik an roten Tüchern. Abfaller, Spagat, Ver- und Entwicklungen - das Publikum reagiert jubelnd auf die dargebotenen Kunststücke. Bei den Tierdressuren hat die Familie Sperlich schon mehrfach Akteuren aus kleineren Circusunternehmen die große Bühne geboten, die sie verdienen. So ist es diesmal mit Giovanni Kaselowski, der einen schönen Sechserzug Andalusier vorführt. Wir erleben teils außergewöhnliche Tricks wie Pirouetten in gegenläufige Richtungen oder einen Gegenlauf, bei dem die Pferde die auf sie zulaufenden Artgenossen abwechselnd innen und außen passieren. Im Rückwärtsgang verabschieden sich die Rösser aus der Manege, die letzten beiden mit einem Knicks. Michael Olivares haben wir als Jongleur kennengelernt, später präsentierte er Luftakrobatik mit seiner Lebensgefährtin Helena Polach. Inzwischen orientiert er sich neu als Comedian. Dabei hat er sich offenkundig viele Gedanken gemacht, wie er das Publikum gut unterhalten könnte. In seiner Variante von "Musizieren ist hier verboten" kommt er mit einem Fahrrad in die Manege. Zunächst spielt er auf Mundharmonikas, die ihm jeweils von Direktionssohn René Sperlich weggenommen werden. Das dritte Instrument gerät versehentlich in den Mund des Komikers, “klemmt” quer zwischen den Backen und wird erst nach einem beherzten Tritt in den Allerwertesten wieder zutage gefördert. Auf der Suche nach weiteren Instrumenten erweist sich das Sattelrohr des Fahrrads als Flöte und der Lenker als Trompete. Nachdem René das Fahrrad entführt hat, entdeckt Michael abschließend noch ein Saxofon unter einem Tuch und musiziert darauf.


Rich Metiku, Giovanni Kaselowski, The Gents

Zur Filmmusik aus “Skyfall” arbeitet Rich Metiku ihre extremen Kontorsionen, spinnengleich lässt sie ihre Beine um den Körper kreisen. Der Mundstand bildet den Abschluss dieser fantastischen Darbietung, die wir nun einige Jahre lang nicht gesehen haben, die aber nichts von ihrer Faszinationskraft verloren hat. Noch einmal Giovanni Kaselowski präsentiert einen Secherzug Ponys mit Lauffiguren in fröhlicher Stimmung. Mit einer Pyramide, die Vorderbeine jeweils auf dem Rücken eines anderen Tieres abgelegt, verabschieden sich die kleinen Pferde. Zum “Mambo Nummer 5” geleitet das Ballett “The Gents” in die Manege, drei super-coole Typen in Nadelstreifenhosen, mit weißem Hemd, Hosenträgern und Krawatte. Zwei Kerle wie Baumstämme als Fänger, ein zierlicherer Flieger zeigen am Schleuderbrett ein begeisterndes Festival der Sprünge. Da wird beispielsweise auf den Schultern und den Händen der Kollegen gelandet, die eben noch das Schleuderbrett ausgelöst haben. Dazu machen die Herren kräftig Stimmung.


Truppe Ethiopia, Angela Kaselowski, Helena Polach

In Kostümen im Leopardenlook und zu "Waka Waka" leitet das Ballett zur sechsköpfigen Truppe Ethiopia über, die am doppelten chinesischen Mast mit Posen und Sprüngen von Mast zu Mast beeindruckt. Da werden auch Plätze getauscht, während ein Artist das Requisit hinabrutscht und ein anderer unter ihm kurz loslässt und "ausweicht". Das Publikum klatscht rhythmisch mit. Nach der Pause bringt die Familie Kaselowski - die Eltern Giovanni und Angela mit den beiden Sohnen Jack Jonny Jorden und Kiano - ihre Haustierrevue in den roten Ring. Schwarz-weiß sind sowohl die Ziegen als auch die Hunde, erstere beweisen ihre Geschicklichkeit beim Balkenlauf, beide Tierarten üben sich im Reifenspringen. Nach dem “Ententanz” watscheln tatsächlich aus einem kleinen Circuswagen Enten heraus und sausen unter anderem eine Rutschbahn hinunter. Eine Gute-Laune-Nummer, die hier durchaus ihren Platz findet. In kecken Fußballerinnen-Outfits bereitet das Ballett tänzerisch den Boden für Helena Polach. In ihrer bestens bekannten Darbietung, die wir schon in vielen renommierten Häusern erleben durften, hält sie bis zu fünf Fußbälle in der Luft und hat dank Charme, Ausstrahlung und auch gutem Aussehen das Publikum voll auf ihrer Seite.


José Michel Trio

Immer wieder herrlich ausschütten vor Lachen können wir uns über das Wasserentree von José Michel, seiner Frau als Weißclownin und des neuen Partners Armando, nachdem der bisherige Partner Kike leider viel zu früh verstorben ist. Wie hier versucht wird, sich gegenseitig nass zu machen, ist einfach ein großer Spaß. Natürlich wird auch gemeinsam musiziert.


Milena Oksanen, Michael Olivares, Truppe Ethiopia

Im Tangorhythmus bereitet das Ballett den Auftritt von Milena Oksanen am Schwungtrapez vor, an dem die Artistin mit Salti und Pirouetten überzeugt. Nach den Lachsalven, die beim Wasserentree durchs Zelt schallen, kann es jeder weitere Komiker nur schwer haben. So hätte man dieses und den nachfolgenden, zweiten Auftritt von Michael Olivares wohl besser getauscht. Auch hierbei steht die Musik im Mittelpunkt, und auch diese Szene ist wieder ideenreich gestaltet. Olivares kämpft mit einem Mikrofonständer, der sich selbständig macht, mit einem widerspenstigen Klappstuhl und einer nach einem Pyroeffekt zerbrechenden Gitarre, bis er letztlich "Fly me to the Moon" singt, dies zu einer Horizontaljonglage mit vier, an kaum sichtbaren Fäden hängenden Mikrofonen. Für einen spektakulären Abschluss des Programms sorgt nochmals die neunköpfige Truppe Ethiopia mit ihren Handvoltigen, dies in geschmackvollen Kostümen in schwarz, weiß und rot. Bis zum Drei-Personen-Hoch werden die Partner mit der Kraft der Untermänner katapultiert, auch Passagen werden gesprungen. Im zweiten Teil der Darbietung steht ein Artist auf den Schultern von zwei anderen und fungiert nun als eine Art “menschlicher Fangstuhl”, wirft seine Kollegen aus dieser Position zu den Fängern.

Zum politischen Statement wird das Finale, in dem die Damen des Balletts einen großen Globus hereintragen. Dieser wird von den Mitgliedern des Ensembles mit zahlreichen Friedenstauben-Fahnen versehen. Dazu spielt das Orchester Michael Jacksons "Earth Song", der von Karen McDawn auch gesanglich interpretiert wird - ein starkes Zeichen für ein friedliches Zusammenleben, zumal die ukrainischen Musiker erst nach großem administrativen Aufwand und langem Bangen in letzter Minute nach Deutschland ausreisen durften. Mit Standing Ovations verabschiedet sich das Karlsruher Publikum von dem großen Ensemble - auf Wiedersehen im nächsten Jahr!

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll