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Offenburger Weihnachtscircus 2022/23
www.offenburger-weihnachtscircus.de ; 197 Showfotos

Offenburg, 27. Dezember 2022: Das Warten hat sich gelohnt – Pandemie-bedingt mit zwei Wintern Verspätung feiert der Offenburger Weihnachtscircus sein 25-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass hat Direktor Sascha Melnjak ein Jubiläumsprogramm der Spitzenklasse zusammengestellt. Zum neunten Mal steht die Produktion unter seiner Verantwortung, nachdem er den Standort im Winter 2012/13 von Gründerin Anja Oschkinat übernommen hat. Im Vorfeld musste zwar bei der aktuellen Show umdisponiert werden, aber das Ergebnis ist letztendlich ein großartiges.

So rückte verletzungsbedingt Sascha Bachmann anstatt Devin de Bianchi und Davide Carta mit den gleichen Genres – Strapaten und Handstand – in die Nummernfolge. Anstelle der ursprünglich vorgesehenen African Dream Troupe mit Mastenakrobatik und Reifenspringen wurden gleich zwei Truppen mit Seilspringen und Bola Bola verpflichtet. Gespielt wird freilich ganz planmäßig in den bekannten Zeltanlagen des Zirkus Charles Knie. Gegenüber dem Saisonprogramm wurde die Wasserbühne wieder durch eine klassische Manege mit Sägemehl ersetzt. Gradin und Artisteneingang sind für Offenburg neu; auf letzterem sitzt anders als bei der Tournee ein Orchester. Aufgrund des Krieges in der Urkraine kommt diesmal die Formation von Kapellmeister Krzysztof Majewski zum Einsatz.


Alona und Ruslan Urunov, Duo Stauberti, Sergio Paolo

Nach der Ouvertüre, einem Auftritt des vierköpfigen Balletts und der Begrüßung durch Sprechstallmeister Sascha Thanner eröfffnet Alex Giona die Spielfolge mit seiner ersten Pferdenummer. Nur mit einer kleinen Gerte in der Hand, ansonsten mit Stimme und Gesten, dirigiert er drei Schimmel. So zeigt eines der Tiere den spanischen Tritt, während die beiden anderen Pferde neben ihm her laufen,  und legt später seinen Kopf zwischen den Vorderbeinen hindurch auf dem Boden ab. Während Alona und Ruslan Urunov bei der Charles-Knie-Tour 2022 „nur“ für die Technik der Wassershow verantwortlich zeichneten, stehen sie nun selbst wieder im Rampenlicht, dies mit ihren hervorragenden Kostümillusionen. In rasantem Tempo wechselt Alona die Kleider. Dies gelingt auch in der kurzen Zeitspanne, in der ihr Mann ein großes Tuch über sie streicht oder während Flitterregen aus einem aufgespannten Regenschirm über sie fällt. Auch Ruslan wechselt zwei Mal die Anzugfarbe. Für ganz klassische Circuskunst steht das Duo Stauberti bei seiner Percheakrobatik. Dabei balanciert Dimitri Staubert die Perchestange auf seiner Stirn, wenn er eine zweiteilige Leiter besteigt, während er sich auf den Boden setzt, dort eine Pirouette in liegender Position dreht und wieder aufsteht und beim Balancieren auf dem Einrad. Seiner Partnerin Nancy zeigt am oberen Ende der Perchestange Hand- und Kopfstände oder lässt in antipodistischer Weise einen Stab auf ihren Füßen kreisen. Wie schon beim Heilbronner Weihnachtscircus 2019/20 begeistert auch in Offenburg Bouncing-Jongleur Sergio Paolo. Sein Auftreten ist offensiv, sein Können grandios. Sieben Bälle lässt er auf seinem Podest gegen den Boden springen, mit fünf Bällen geht es Treppenstufen hinab. Dann lässt er Bälle unter einer Tischplatte abprallen und in einem Basketballkorb hinter sich landen. Der famose Höhepunkt: Sergio schlägt während der Bouncingjonglage mit fünf Bällen einen Rückwärtssalto.


David Meraz, Sascha Thanner

Eine echte Neuentdeckung für uns ist dagegen David Meraz. Der 20-jährige Mexikaner mit zierlicher Figur beeindruckt mit seinen leistungsstarken Kontorsionen, darunter extremen Drehungen des Oberkörpers. Der mit den Füßen ausgelöste Bogenschuss auf einen Luftballon ist sein Schlusstrick. Noch besser als in den vergangenen Jahren gefallen uns heuer die Moderationen von Sascha Thanner, die nicht mehr so ausführlich sind, sondern prägnant auf den Punkt kommen. Einzigartig sind weiter seine Kostümwechsel zu jeder angekündigten Darbietung. Natürlich ist jedes gezeigte Outfit elegant.


Laura Urunova, Alex Giona, Sascha Bachmann

Laura Urunova präsentiert ihre quirligen Windhunde und Pudel in einem fantasievollen und farbenfrohen Kostüm, das an die Kreationen von Gia Eradze erinnert. Sprünge über Artgenossen und durch Reifen wie auch die abschließende Polonaise gehören zur Trickfolge. Im schlichten Outfit, nur mit einer grauen Hose bekleidet, zelebriert Sascha Bachmann auf kraftvoll-intensive Weise seine Darbietung an den Strapaten. Er wickelt sich an den Bändern hinauf unter die Circuskuppel, bewahrt die Balance in Posen, überschlägt sich bei Umschwüngen, hält sich am Ende nur mit der Kraft seines Gebisses. Der erste Programmteil endet wie er begonnen hat, mit den Pferden von Alex Giona. Nun allerdings arbeitet der Italiener mit fünf Friesen anstatt mit drei Schimmeln. Barfuß, mit Melone auf dem Kopf und im schwarzen Frack, aber ohne Hemd, dirigiert er auch diese Tiergruppe nur mit Stimme, Gesten und Gerte, während er auf einem der Pferde sitzt, dies ohne Zaumzeug und Sattel. So reitet er letztendlich mit seinen Pferden in Fünferformation.


Sascha Bachmann, Ameli Bilyk, Jidinis

In der Pause wird in der Manege ein Holzboden verlegt, womit unter anderem die Voraussetzungen für die Großillusionen von Jidinis geschaffen sind. Schon im Saisonprogramm des Zirkus Charles Knie beeindruckte er gemeinsam mit seinen fünf Showgirls mit glamouröser Aufmachung, wirklich starken Tricks und einer wahren Materialschlacht – beispielsweise wenn gleich zu Beginn ein Motorrad scheinbar aus dem Nichts erscheint. In Offenburg setzt er noch eine Schippe drauf und lässt eine der Assistentinnen dem Anschein nach mittels eines gewaltigen, aufwendig gestalteten Katapults in eine gegenüber stehende, große Trommel „fliegen“. Dieser – zuvor leer präsentiert – entsteigt auch noch ein Dalmatiner. „I will leave a light on“ von Tom Walker liefert die sinnfällige musikalische Begleitung für die Handstände von Sascha Bachmann, denn seine Handstäbe sind als besonderer Clou mit LED-Lichtern illuminiert. Einer davon lässt sich für die Parts auf einem Arm aus der Bodenplattform lösen. Natürlich stimmt auch hier nicht nur die effektvolle Gestaltung, sondern auch das Können. Jubel auf offener Szene und der bis dahin größte Applaus des Abends brandet auf bei der Schlappseil-Kür von Ameli Bilyk. Die 17-jährige Ukrainerin im zauberhaften, schwarz-weißen Outfit jongliert beispielsweise mit drei Reifen, während sie einen vierten auf dem Kopf balanciert und den fünften um den linken Fuß kreisen lässt. Oder sie balanciert im einarmigen Handstand auf dem Seil, während um die anderen drei Extremitäten jeweils ein Reif rotiert. Dies alles gelingt ihr scheinbar mit größter Leichtigkeit. Bravissimo! Gleich noch einmal gibt es rings um die Manege faszinierte Gesichter und rhythmischen Applaus, dies beim zweiten Auftritt von Laura Urunova. Ihre farbenprächtigen Papageien – Aras, ein Kakadu und Sonnensittiche – beherrschen entzückende Kabinettstückchen, wenn sie scheinbar die Zeitung lesen oder aus einem Glas trinken. Und sie verzaubern uns, wenn sie auf großen und kleinen Zuschauern landen und stolz ihre Runden unterm Zeltdach drehen. Ein riesiger, bunter, mit Pailletten besetzter Papagei ziert auch das Kostüm der Tierlehrerin.


Fly Diggerz, I Baccala

Die Stimmung im Publikum ist nun am Höhepunkt – der perfekte Ausgangspunkt für die fantastische Nummer der Fly Diggerz, vier Jungs und ein Mädel aus Japan. „Double Dutch“ nennt sich die von ihnen beherrschte Seilspring-Technik, bei der zumeist zwei Seile gegenläufig gedreht werden, während die übrigen Akteure hindurch springen, tanzen und Salti schlagen. Im fliegenden Wechsel lösen die Artisten sich beim Seildrehen und Springen ab. Ein faszinierender Rausch aus cooler Musik, jugendlicher Unbekümmertheit und atemberaubendem Tempo. Dazu sprühen im Hintergrund Funkenregen. Doch auch jetzt sind wir noch nicht am Ende dieses großartigen Jubiläumsprogramms angelangt. Noch einmal erleben wir die wunderbaren Clowns „I Baccala“, Simone Fassari und seine Partnerin Camilla Pessi. Leider haben wir die beiden Schweizer nun einige Jahre nicht mehr in einem Circusprogramm erlebt. Umso größer ist die Freude über das Wiedersehen. Noch immer ist das übersteigerte Daumendrücken ihr großes Markenzeichen. In der ersten Hälfte der Show jonglieren sie mit Äpfeln und amüsieren uns mit ihrer heiteren Partnerakrobatik bis hin zum „Kopf auf Kopf“, in Hälfte zwei kämpfen sie sich mit ihrer großen Klappleiter mitten durch sie Publikumsreihen und beziehen einen Zuschauer in ein akrobatisches Kabinettstückchen ein. Die Leiter wird dann auch für ihren letzten großen Auftritt benötigt und dient dazu, gemeinsam ans Trapez zu gelangen. Natürlich laufen die Übungen in luftiger Höhe scheinbar nicht so ganz planmäßig und gleichen mehr einem Kampf gegeneinander. Das alles ist ein herrlicher Spaß.


La Compania Feminas, Ballett

Eine handfeste Überraschung hat auch die Schlussnummer für uns parat, denn hier wird das von Männern dominierte Genre der Bola-Spiele von sechs Frauen interpretiert. „La Compania Feminas“ aus Argentinien entfachen ein wahres Feuerwerk aus energiegeladenen Trommeltönen und rasant klackernden Bolaseilen, aus Rhythmus und Tanz, aus Temperament und Sinnlichkeit. In wundervollen, aufwendigen Kleidern, die an rot-weiße Chapiteaus erinnern und Motive vergangener Shows tragen, leitet das Ballett schließlich das Finale ein.

Dieses Jubiläumsprogramm reißt uns förmlich von den Sitzen. Mit seiner grandiosen Mischung aus klassischem und neuem Circus, aus bekannten Lieblingsnummern und absolut spannenden Neuentdeckungen sowie dem unerwarteten Wiedersehen mit den phänomenalen Clowns „I Baccala“ nach langer Zeit ist es eines meiner persönlichen Highlights einer großartigen Weihnachtssaison 2022/23.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll