Einer von ihnen ist der
sympathische Francesco Brunaud, der bereits vor Beginn der
eigentlichen Vorstellung durch die Tribünenreihen geht. Mal
pinselt er hier mit dem Staubwedel über einen Zuschauerkopf, mal
stibitzt er dort das Popcorn einer Dame und lässt einen anderen
Zuschauer die Maisflocken mit dem Mund fangen. Damit sorgt er
für manches Schmunzeln. Nach der Ouvertüre des großen Orchesters
unter der Leitung von Oleksandr Krasyun und der Begrüßung durch
Sprechstallmeister Nikolai Tovarich geht es richtig los.
Charivari
Und zwar mit einem Charivari, in
dem alle Artisten Kostproben ihres Könnens demonstrieren. Hier
wirkt die Show geradezu verschwenderisch besetzt, denn zum einen
zeigen drei Mitglieder der Truppe Nonstop nur in dieser Sequenz
der Show Auszüge ihres bekannten Repertoires auf dem Trampolin,
hier nun ohne „Haus“. Für Begeisterung sorgt, wie sich einer der
Artisten in bäuchlings „liegender“ Position in immer größere
Höhe katapultieren lässt. Zum anderen darf auch die Truppe „Mystery
of Gentlemen“ nur Ausschnitte aus ihrer durchaus sehenswerten
Seilspring-Nummer präsentieren. Im vorderen Teil der Manege
lassen die fünf jungen Frauen der Mongoljngoo-Truppe die
Hula-Hoop-Reifen kreisen. So entsteht, gemeinsam mit den
Beiträgen des übrigen Ensembles, insgesamt ein wirbelnd buntes
„Farbenspiel“.
Francesco Brunaud, Liviu
Tudor, Mongoljngoo-Truppe
Sparsam eingesetzt werden die
Reprisen von Francesco. Zunächst lässt der sympathische
Herr im lila Anzug eine Weltkugel im Luftstrom eines
fingerförmigen Gebläses fliegen – seine bekannteste Szene, die
untrennbar mit seinem Namen verbunden ist. Sein Humor ist
niemals zum Schenkel klopfen. Er setzt auf poetisch-heiteres
Spiel anstatt aufs Bloßstellen von Gästen aus dem Publikum.
Mancher Lacher garantiert ist beim Tellerdrehen von Liviu Tudor.
Er muss nicht nur acht Teller auf langen Stäben zum Rotieren
bringen, ohne dass diese zu Boden fallen. Vielmehr hat er sich
zwischendurch noch der Störungen durch einen kleinen Hund zu
erwehren, der sich beispielsweise in einem gelben Tuch verbeißt
und sich so herumwirbeln lässt. „Kooperativer“ gibt sich das
Tier, wenn es selbst einen Teller auf einem mit der Schnauze
gehaltenen Stäbchen kreisen lässt oder zugeworfene Teller fängt.
Am artistischen Markt sind eine ganze Reihe von
Kontorsionsnummern zu engagieren, bei denen die Solo-Artistin –
oder auch der Solo-Artist – am Ende einen Bogenschuss mit den
Füßen auslöst. Etwas noch nie Gesehenes dagegen hat die
Mongoljngoo-Truppe kreiert. Die fünf jungen Damen in
folkloristischen Kostümen ihrer mongolischen Heimat nutzen dazu
ein Podium mit vier darauf angebrachten, erhöhten Plattformen
und gegenüber drei Zielscheiben. In immer neue Posen formen sie
ihre Körper, um unterschiedliche Bogenschüsse durch
Geschicklichkeit der Zehen zielgenau zu platzieren. Mal schießen
sie gemeinsam fünf Pfeile gleichzeitig, mal tragen sie zusammen
eine der Akteurinnen, die den Schuss auslöst. Dabei werden sie
zumeist in gelbes Licht getaucht.
Jana Mandana Lacey-Krone,
Toni-Alexis-Trio, Chu Chuan-Ho
Die umfangreiche und virtuos
eingesetzte Lichtanlage wurde für „Farbenspiel“ noch deutlich
erweitert. So ist die Piste nun von einem Kranz aus Moving Heads
umgeben. In die ohnehin beleuchtete Piste selbst wurden weitere
der beweglichen Scheinwerfer eingelassen. Zur Hohen Schule von
Jana Mandana Lacey-Krone werfen diese rote Strahlen auf den
Manegenboden. Im Programmheft angekündigt als Duett mit Hans
Suppmeier, erleben wir die Direktorin an diesem Abend im Solo.
Auf ihre erlesenen Reitkünste auf einem Schimmel folgten
acht lackschwarz glänzende Nonius-Hengste in Freiheitsdressur.
Alle Lauffiguren gelingen wunderbar. In einem kurzen
Zwischenspiel darf sich ein Schimmel frei in der Manege bewegen.
Dann kehren vier der Noniusse zurück, steigen mit den
Vorderbeinen auf Postamente und lassen sich so von einem Pony
unterqueren. Ein großes Dartmoore-Pony und einer der Noniusse
als Steiger bilden den Abschluss dieses schönen Pferdeblocks,
der von einem Medley aus Abba-Hits begleitet wird. Ganz selten
geworden sind große Clown-Entrees mit zwei Augusten und
Weißclown. Doch hier blödeln sich Toni Alexis, Ehefrau Jeannette
und Adrien in dieser klassischen Besetzung durch eine lose
Abfolge von Gags, natürlich nicht ohne den legendären
Schlachtruf „Ahoi“ und das gemeinsame Singen von „Glory
Halleluja“ mit dem Publikum. Das bereitet auch heute noch Spaß
und Freude. Mitreißend und temporeich, fast unverschämt gut
gelaunt und voller Ausstrahlung lässt der Taiwanese Chu Chua-Ho
seine bis zu drei Diabolos fliegen. Auf immer neue Weise lässt
er die Doppelkegel übers Seil tanzen und schickt sie auf
anspruchsvolle Touren. Dazu jagen gelbe Blitze aus den Moving
Heads in der Piste.
Erwin Frankello, Extreme
Lights
Einen echten Höhepunkt des ersten
Programmteils bildet Erwin Frankellos amüsante und trickstarke
Vorführung seiner beiden Seelöwen Itchy und Scratchy. Beim Ringe
und Bälle fangen erfreuen wir uns am Geschick der Flossentiere,
und auch ihr „Sprachtalent“ stellen die beiden unter Beweis.
Perfekt zum Motto „Farbenspiel“ passt natürlich der Auftritt der
Trupppe „Extreme Lights“ vor der Pause. In der abgedunkelten
Manege performen die Männer und Frauen ihre moderne
Tanzchoreographie, während die mehrfarbigen LED-Lichter an ihren
Kostümen raffiniert darauf abgestimmt zu leuchten beginnen und
wieder erlöschen, alles im Sekundentakt. So erscheinen die
Akteure in immer neuen Formationen scheinbar aus dem Nichts und
verschwinden ebenso wieder, nur um kurz darauf überraschend an
anderer Stelle wieder „aufzutauchen“.
Martin Lacey junior
Das edel gestaltete Programmheft
stellt Direktor Martin Lacey junior als Superstar des
Unternehmens heraus. Das ist gewiss nicht übertrieben, denn
schon seine Ankündigung löst großen Jubel der zahlreichen Fans
in den Zuschauerreihen aus. Mit 15 Löwen und drei Tigern in
unterschiedlichen Fellfärbungen steht er an diesem Abend in der
Manege. Zunächst folgen große Bilder beim Hochsitzen, bei wilden
Sprüngen und beim Abliegen auf dem Boden, wobei eines der Tiere
sich aus der Gruppe löst, auf den am Boden knienden Tierlehrer
zugeht und sich von diesem umarmen lässt. Dann ist Zeit für
eindrucksvolle Tricks mit einzelnen Tieren, darunter ein Scheinangriff
des Mähnenlöwen „Aleky“ und Schmuseeinheiten. Wenn Martin
Lacey den weißen Löwen „Baluga“ von der Spitze des
Pyramidenpodiums abholt und vor ihm die Stufen hinuntergeht,
sich auf das Tier legt und dann gemeinsam mit ihm die Manege
durch den Artisteneingang verlässt, wird er von Nikolai Tovarich
singend mit „My Way“ begleitet. Tosender Beifall und die ersten
Standing Ovations des Abends sind der Lohn.
Thomas Lacey, Julot
Cousins, Duo Disar
Und auch Julot Cousins wird am
Ende seiner Darbietung mit Beifall im Stehen gefeiert. Das
wundert nicht, denn nicht nur das hohe Alter des 65-jährigen
Artisten lässt staunen, sondern auch sein extrem hohes Requisit
und sein akrobatisches Können, das auch erheblich jüngere
Kollegen neidisch werden lassen kann. Scheinbar mühelos erklimmt
er den schwankenden Masten, um an die dort oben hängenden
Hula-Hoop-Reifen zu gelangen und lässt sie kurzerhand kreisen,
unter anderem ein Exemplar um einen Fuß, während er einen
Handstand drückt. Wie überhaupt jede Aktion auf dem sich
bedrohlich nach allen Seiten neigenden Masten einfach
spektakulär wirkt. Francescos Musik auf unterschiedlich großen
Gläsern leitet über zu Thomas Laceys Hundenummer. Ein ganzes
Dutzend Vierbeiner unterschiedlicher Rassen dirigiert er durch
eine umfangreiche und temporeiche Trickfolge. Dabei springen sie
durch Reifen und eine Röhre, über ein Seil und über Hürden. Mit
der Polonaise aller Tiere, die Vorderpfoten jeweils auf dem
Rücken des vorangehenden Tieres, findet die Nummer ihren
Abschluss. Das völlig euphorisierte Publikum applaudiert
stürmisch. Einen Kontrast zur bis dahin fröhlichen Stimmung
setzt das usbekische Duo Disar. Zu dramatischen musikalischen
Klängen wird die düstere Geschichte erzählt, wie ein
Verstorbener letztmals zu seiner trauernden Partnerin
zurückkehrt, ehe er für immer ins Reich der Toten entschwindet.
Und der Todeskitzel schwingt leise mit bei so noch nie gesehenen
Schwierigkeitsgraden in großer Höhe, bei waghalsigen Abfallern
und Haltefiguren an den Strapaten, bei hochriskanten Zahn- und
Zopfhängen in Kombination mit unterschiedlichen Wirbeln.
Besonders in Erinnerung bleibt ein Trick, bei dem die Partnerin
in einer liegenden Position schwebt und sich dabei zum einen mit
der Kraft ihrer Zähne an einer vom Mann gehaltenen Handschlaufe,
zum anderen mit dem rechten Fuß gegen seinen linken gedrückt
hält. Gänsehautmomente in einem Kranz aus Lichterstrahlen, den
die Moving Heads um die Piste gegen die
Kuppelspitze richten.
Mystery of Gentlemen,
Finale
Die Stimmung bleibt kunstvoll,
wenn als Schlussnummer die mongolische Truppe „Mystery of
Gentlemen“ in eleganten Outfits mit Krawatten auftritt. Die
Kombination zweier Genres wird als echte Rarität bezeichnet
werden dürfen. Denn die männlichen Akteure balancieren auf
großen Kugeln. Von dort aus katapultieren sie ihre Partnerin zu
Handvoltigen in die Luft und fangen sie wieder auf, dies auch
von Kugel zu Kugel und bis hin zum Drei-Personen-Hoch, und dies
jeweils auf den Köpfen statt den Schultern der Untermänner
stehend. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Kugeln immer wieder
mit dezenten Hilfestellungen vor dem Wegrollen geschützt werden
müssen. Auch diese Darbietung wird mit Standing Ovations
gefeiert, den dritten dieses rauschenden Circusabends. |