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Wereldkerstcircus Carré 2024/25
https://wereldkerstcircus.nl ; 195 Showfotos

Amsterdam, 1./2. Januar 2025: „Mit Weltstar Flavio Togni“ stand groß auf den Plakaten, als der American Circus 1992 durch Deutschland tourte. Damals sah ich das Mitglied der berühmten italienischen Circusfamilie zum ersten Mal. Dies in verschiedenen Dressurnummern. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist die auch für damalige Verhältnisse imposante Gruppe an Elefanten, die er im Weltraum-Look präsentierte. Mit einer enorm gewinnenden Art, im goldenen Kostüm und mit langen dunklen Haaren. Die Haare sind im Laufe der Zeit ergraut, nun trägt er einen edlen Frack und statt Elefanten führt er Pferde vor. Flavio Togni ist inzwischen eine wahre Legende der Circuswelt. Mit seiner Freiheitsdressur eröffnet er das Programm des Wereldkerstcircus Carré 2024/25 und setzt damit gleich ein Highlight.

Leider bleibt es bei dieser einen Tiernummer. Im artistischen Bereich liegt der Schwerpunkt auf Formationen aus Asien. Gleich vier davon beeindrucken mit hochklassiger Akrobatik. Trotz einzigartiger Leistungen und schöner Choreographien ist es für meinen Geschmack doch etwas zu viel des Guten.


Opening

Wunderbar, wenn dann Artistenpersönlichkeiten wie Adele Fame oder Quincy Azzario ihre eigenen Akzente setzen. Das tut auch ganz famos David Vassallo, der uns gemeinsam mit Partnerin Ashley durch die Show begleitet. Diese wird von Henk van der Meijden und Monica Strotmann sowie beider Tochter Elisa van der Meijden produziert. Joseph Bouglione hat Regie geführt, Wim Dresens das Lichtdesign entwickelt und das hervorragende Orchester steht unter der Leitung von Andrii Kakapych.


Blick in den Zuschauerbereich

Mit dem traumhaft schönen Theater Carré an der Amstel steht eine Spielstätte zur Verfügung, wie sie idealer kaum sein kann. Wieder wurden sämtliche Sitze des Parketts entfernt, um an dieser Stelle eine Manege einzubauen. Dafür finden einige der Zuschauer jetzt Platz auf der eigentlichen Bühne. Alle anderen Gäste sitzen auf den steilen Rängen auf der gegenüberliegenden Seite und können das Geschehen teilweise aus beträchtlicher Höhe genießen.


Flavio Togni, David Vassallo

Zum Opening versammelt sich das gesamte Ensemble auf der Piste, welche somit komplett gefüllt ist. In der Mitte steht, zwischen David und Ashley, Rudy Hellewegen. Der neue Sprechstallmeister im stattlichen Frack und mit Zylinder begrüßt das Publikum. Selbstverständlich ist er auch unser Moderator während der Vorstellung. Sympathisch stellt er uns die Künstler vor. Als erstes eben Flavio Togni. Zwei weiße und zwei schwarze Pferde bilden den Kern der Vorführung. Mit ihnen zeigt er harmonische Bewegungsabläufe. Für den Gegenlauf kommen acht weitere Tiere hinzu. Die Steiger als Da Capo bestreitet dann wieder das Quartett, mit dem diese Nummer beginnt. Stattliche Tiere, eine anspruchsvolle Trickfolge und eine sehr charmante Präsentation – was will man mehr. Kleines Detail: Flavio Togni wird von seinem Sohn Bruno assistiert. Zu gern hätten wir diesen mit seiner grandiosen Tigergruppe gesehen. Aber das ist in den Niederlanden leider nicht mehr möglich. Dann darf sich David Vassallo erstmalig so richtig vorstellen. Der Clown aus Italien übernimmt Reinigungsarbeiten im Publikum. Bei seinem nächsten Auftritt wenig später ist dann auch Partnerin Ashley Vargas dabei, welche den seriösen Counterpart ganz hinreißend spielt. Sie bittet den unter den Zuschauern mit Popcorn hantierenden David in die Manege, wo ein Sprungseil aufgebaut ist. Nach dem Ablegen des Fracks begibt sich der Clown mithilfe einer großen Balancierstange wirklich auf das federnde Tau. Dort macht er eine glänzende Figur, begeistert gar mit Salti. Alles wird mit viel Witz serviert. So auch der dritte Einsatz des Duos. Im Kern steht das Verknoten von vier Herren auf Stühlen. Dies wird originell im Stil einer orientalischen Hypnosesession aufgeführt. Die beiden machen ihre Sache ungemein sympathisch, kreativ und witzig. Somit passen sie wunderbar in diese hochkarätig besetzte Produktion.


Adele Fame, Our Story, Strahlemann & Söhne

Genauso wie Adele Fame, die uns mit unter das eindrucksvolle Dach des Theaters nimmt, zumindest fast. Hoch hinaus geht es bei ihrer Kür an den Strapaten auf jeden Fall. Ungeheuer leidenschaftlich zelebriert die jugendliche Artistin diese. Natürlich erleben wir dabei unter anderem starke Umschwünge und den freihändigen Spagat mit den Füßen in Schlaufen an den Enden der Bänder. Gar als Weihnachtsengel wird sie in der Presseinfo bezeichnet. Ein Programmheft gibt es übrigens in dieser Spielzeit nicht. Eigentliche mag ich keine melodramatischen Darbietungen im Circus. Beim Duo Our Story mache ich da gerne eine Ausnahme, seit ich sie 2018 beim Festival in Girona erstmalig erleben durfte. Die Liebesgeschichte am Pole wurde von Dmitry Chernov kreiert. Igor Ticinschi und Iuliia Bezrukova erzählen sie jeden Abend in der Manege neu. Das Artistenpaar bettet darin extrem starke Tricks ein. Alles, was wir in diesem Genre kennen, beherrschen die beiden. Und noch ein wenig mehr. Am Ende steht Iuliia auf dem Oberkörper von Igor, den dieser im rechten Winkel vom Mast abdrückt. Zwei smarte Herren auf einem Business Trip, das sind Strahlemann & Söhne. Im edlen Dreiteiler und mit Rollkoffer kommen sie in die Manege. Außerdem haben Pat Fabio und Leif Gordon vier Jonglierkeulen im Gepäck. Zunächst nehmen sie sich jonglierend gegenseitig die Keulen ab, dann gibt es Passings mit drei davon. Dabei fliegen allerdings nicht nur die Keulen, auch sämtliche Kleidungsstücke bis auf Unterwäsche und Socken werden auf dem Luftweg getauscht. Bis am Ende jeder im Outfit des anderen dasteht. Das Duo präsentiert seine, wenn man so will, „Slow Change-Nummer mit Jonglage“ bereits seit 25 Jahren.


Duo Vitalys, Fliegende Schirme, Mustafa Danguir Truppe

Gleich oberkörperfrei betreten Pablo Nonato und Joel Yaica das Scheinwerferlicht. Wenn man so trainiert ist wie die beiden Equilibristen aus Peru, ist das ohne Frage eine gute Idee. Seine Partnerakrobatik startet das Duo Vitalys mit dem einarmigen Handstand auf dem Kopf des Untermannes. Nach weiteren kraftvollen Balancen kommen sie zu ihrer Spezialität, dem Kopf-auf-Kopf. Darin laufen sie die Treppe zu ihrem Podest herunter und hinauf. Dazwischen geht es flotten Schrittes durch die Manege. „Die Fliegenden Schirme“ nennen sich die Antipodenspiele von Wenxiang Yuan, Danjing Luo und Xiaohe Feng. Die Dame des Trios aus China lässt immer mehr kunstvoll gestaltete Schirme auf ihren Händen und Füßen tanzen, während die beiden Herren sie in verschiedenen Formationen tragen. Etwa beim Schlusstrick, bei dem die Schultern der Männer im Stand aufeinander ruhen, während der obere die Frau auf den Füßen stemmt. So erleben wir bislang noch nie gesehene Bilder mit höchsten Schwierigkeitsgraden. Von Amsterdam aus ging es für die Künstler zum Circusfestival von Monte Carlo, wo sie einen Silbernen Clown gewannen. Bereits 2023 gab es einen solchen für die Mustafa Danguir Truppe, die nach der Pause auf dem Hochseil für Nervenkitzel sorgt. Das etwa mit dem Seilspringen, einem dreifachen Zwei-Personen-Hoch und einer Dreier-Pyramide auf Fahrrädern. Gekrönt wird der Auftritt mit der Sieben-Personen-Pyramide.


Extreme Light, Balancen im Kopfstand, Mongolian Contortion

Wenn Extreme Light auftritt, könne sich die Beleuchter zurücklehnen. Denn die acht Artisten arbeiten im Dunkeln, damit die Effekte ihrer leuchtenden Kleidung bestens zur Geltung kommen. Diese sind mit LED-Bändern besetzt, die in verschiedenen Farben und in unterschiedlichem Umfang leuchten. Es wirkt einfach extrem cool, wenn die Akteure in unterschiedlichen Zusammensetzungen ihre Moves zeigen und dabei plötzlich das Licht an- und ausgeht. Akrobatische Einlagen gehören obendrein zur Performance. Der Kunst des Kopfstands haben sich die acht männlichen Mitglieder der nun folgenden Truppe aus der Volksrepublik China verschrieben. Hier geht es weniger um die statische Variante als vielmehr um Sprünge im Kopfstand. Nach Sprüngen im einarmigen Handstand von Kopf zu Kopf der Untermänner zum Start erleben wir dann Sprünge von einem Kopf-auf-Kopf zum nächsten. Sodann springt ein Artist die zehn runden Stufen eines Gestells im Kopfstand hinauf. Der Apparat wiederum ruht auf den Köpfen zweier Partner, die diesen mit den Zähnen zusätzlich ausbalancieren. Zum Finale gibt es Rotationen im Kopfstand auf einer Holzstange, die sich auf dem Kopf eines Partners befindet, wiederum mit dem Gebiss fixiert. Sämtliche Kunststücke werden longiert gearbeitet und sind in eine durchgehende Choreografie eingebunden. Mongolian Contortion nennt sich der Auftritt der vier Damen, die uns nun verzaubern. Der Titel verrät Heimat und Genre der Artistinnen. Anmutig beweist uns das Quartett, wie beweglich der menschliche Körper sein kann. In bunten Kostümen erleben wir mal den gleichen Trick in vierfacher Ausfertigung und mal gemeinsam gebildete lebende Kunstwerke. Immer mit einem charmanten Lächeln serviert.


Quincy Azzario, Willer Nicolodi, Pas de deux

Dann konzentrieren sich alle Augenpaare im Theater auf eine junge Damen, die den Raum spielend füllt. Quincy Azzario zelebriert in der Mitte der Manege ihre Equilibristik-Kür. Kraft, Beweglichkeit und Gleichgewichtssinn werden hier in einem außergewöhnlich hohen Maß benötigt. Die junge Spanierin bringt dies alles mit und dazu eben Personality. Alles sieht so einfach aus und wird zudem noch sehr gewinnend dargeboten. Jeweils acht Klötzchen werden ihr von David Vassallo und Rudy Hellewegen gereicht. Auf ihnen zeigt Quncy Azzario den letzten Handstand ihrer Nummer, um beide Türme blitzartig wegzustoßen und sicher auf den den darunter liegenden Handstäben zu landen. Dank Willer Nicolodi und Joselito bekommen wir nochmal ordentlich etwas zu Lachen. Der bekannte Bauchredner hat natürlich den frechen Mäuserich aus Mexiko im Gepäck. Die beiden liefern sich höchst witzige Wortgefechte. Doch nicht nur der Puppe leiht Willer Nicolodi seine Stimme, auch drei Gäste aus dem Publikum lässt er sprechen. Diese müssen lediglich die Lippen bewegen, wenn sie das Mikrofon vor den Mund gehalten bekommen. So entstehen herrliche Dialoge. Dank sechs Tänzerinnen wird das Pas de deux von Sun Yina und Zhou Jie zu einem großen Schaubild in Weiß. Angelehnt an Schwanensee erleben wir traumhafte Bilder des klassischen Balletts. Im Mittelpunkt steht die hochkarätige Akrobatik des Paars aus China. Sie wagt den Spitzentanz auf seinen Schultern. Damit nicht genug. Am Ende steht sie mit den Zehenspitzen eines Fußes auf dem Kopf ihres Partners. Dabei sind beide Beine, wie bei einem Spagat, in die jeweils andere Richtung gestreckt. Mit dieser spektakulären Aufführung endet das Programm. Das Strapaten-Duo Flight of Passion tritt zumindest in den beiden besuchten Vorstellungen nicht auf.

Das Finale bringt noch einmal alle Mitwirkenden in den roten Ring, der von ihnen spielend gefüllt wird. In den vergangenen gut zweieinhalb Stunden durfte das Publikum Circus vom Feinsten erleben. Das mit einem beeindruckend großen Ensemble. Mit dem 38. Wereldkerstcircus bleiben sich die Produzenten treu und präsentieren ausgewählte Stars der Circuswelt in großer Zahl. Genau das, was die Gäste erwarten. Rund 72.000 kamen in der Spielzeit 2024/25, was einen neuen Rekord bedeutet!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch