Maßstäbe setzen
auch die Zeltanlagen samt Innenausstattung und Dekoration. Zum
zweiten Mal nutzt der Zirkus Charles Knie mit Direktor Sascha
Melnjak eigenes, speziell für Heilbronn angeschafftes Material.
Es passt optisch perfekt zum reisenden Circus. Das große Vorzelt
bietet ein umfassendes kulinarisches Angebot, das auch rege
genutzt wird. Vom Feinsten ist das Ambiente im Inneren des
Chapiteaus mit ansteigenden Sitzreihen bereits in den Logen,
Klappsitzen der neuesten Generation und Balkonlogen mit
Panoramablick über das Geschehen. Der Artisteneingang wird von
elegant geschwungenen, in wechselnden Farben leuchtenden
Showtreppen eingerahmt. Über dem Portal sitzt das Orchester. Mit
außen liegenden Bögen statt vier klassischer Masten wäre die
Perfektion erreicht.
 
„La Bouche“
Showgirls, Flórián Richter
Empfangen werden
wir zum Beginn der Vorstellung von den sechs Profitänzerinnen
der „La Bouche“ Showgirls. Alle sind bildhübsch, alle tanzen
exzellent und alle tragen wundervolle, hautfarbene
Ganzkörper-Kostüme, die über und über mit Herzen und dem Wort
„Love“ bedruckt sind. Hinzu kommt herrlicher roter Federschmuck.
Die Begrüßung übernimmt Rebecca Siemoneit-Barum, die uns mit
ihren charmanten und kenntnisreichen Moderationen durch diesen
Abend begleiten wird. Und damit ist die Manege frei für Flórián
Richter und seine mit viel Schwung und Temperament präsentierten
Freiheitsdressuren. Sechs Schimmel, vier schwarze Pferde und ein
geschecktes vereint er in der Manege, leitet sie zu
anspruchsvollen, temporeichen Lauffiguren an, insbesondere mit
imposanten Gegenläufen in unterschiedlichen Varianten. Feurige
Steiger bilden den Abschluss. Der 1977 in Stuttgart geborene,
ungarisch-deutsche Circusdirektor, Gewinner des Silbernen und
des Goldenen Clowns in Monte Carlo, setzt sich hier einmal mehr
als energiegeladener Entertainer in Szene.
  
Hebei
Acrobatic Troupe, Hermanos Segura, Duo Rings
Für weitere große
Bilder in schwarz-weiß sorgen die 16 stilvoll gekleideten
Artisten der Hebei Acrobatic Troupe aus China mit ihren
Hutjonglagen, die von Michael Jacksons „Smooth Criminal“ in
mitreißender Weise begleitet werden. In einigen Passagen in
großer Formation, in anderen Szenen einzelne Akteure in den
Fokus nehmend, werden mit den Kopfbedeckungen alle möglichen
Wurfmuster gezeigt. Und dies auch, während sich zehn Männer zu
einer Pyramide auf drei Ebene formen, während vier Untermänner
jeweils zwei Partner tragen oder während einer jonglierend über
die Schultern der anderen läuft, die in Reihe die Strohhüte
fliegen lassen. Großer Jubel und rhythmisches Klatschen sind der
Lohn. Was die Kostüme betrifft, bleiben wir auch bei den beiden
Brüdern Leandro (23) und Luciano Segura (19) aus Argentinien bei
Black and White. Bei ihren ikarischen Spielen der Extraklasse
wirbelt der ältere den jüngeren mit den Füßen durch die Luft.
Nach Salti und Pirouettesprüngen wird mehrfach Fuß auf Fuß
gelandet, einmal auch nur auf einem Fuß des Untermannes stehend.
Der Doppelsalto und eine lange Serie von Überschlägen und
Schrauben, dies mit verbundenen Augen, bilden den Abschluss. Die
jugendlich-sympathischen „Hermanos“ räumen total ab, die
Stimmung ist jetzt bereits am Siedepunkt. Landsleute von ihnen
sind Flor Aracama und Nico Buss. Das blendend aussehende Paar
hat für seine Luftakrobatik ein außergewöhnliches Requisit
gewählt, zwei Strapatenbänder mit jeweils einem Ring mit
schmalem Durchmesser am Ende. Mal trägt sie den Partner, der mit
einer Hand an ihren Fuß greift; mal hält sich jeder von ihnen
nur mit einer Hand an einem Ring, während sie einander in
kunstvollen Figuren umkreisen. Zum Schluss hält sie sich mit
beiden Händen an den Ringen und faltet die Beine wie ein
Klappmesser vor den Körper, während er sich wiederum an ihren
Fußgelenken fasst.
 
Namayca und
Paul Bauer, Arte Algo
Nach so viel
Aufregung ist Bedarf für etwas heitere Entspannung, und diese
liefern Namayca und Paul Bauer mit ihrer Bauernhofdressur. Hunde
und Schweine jeweils unterschiedlicher Rassen, Ziegen, ein Pony
sowie ein farbenprächtiger Hahn bevölkern die Manege und
gefallen in einer ansprechenden Trickfolge vor liebevoll
gestalteter Kulisse – es gibt wohl aktuell kaum ein schöneres
Tier-Potpourri dieser Art. Während des folgenden Umbaus machen
wir erstmals Bekanntschaft mit den Clowns Steve und Ryan, die
sich beim Hutwerfen probieren, und erfreuen uns an einem
Wiedersehen mit den Showgirls, nunmehr in farbenfrohen Kostümen.
Und schon ist das Trampolin mit Haus der sechsköpfigen Formation
Arte Algo errichtet. Zwar gab es dieses Genre vor einigen Jahren
schon einmal in Heilbronn zu sehen, doch hier hat es einen neuen
Twist erhalten. Denn die obere Etage des Plexiglashauses ist
variabel, zwei Plattformen lassen sich beliebig auseinander- und
zusammenschieben oder durch eine dazwischen gesteckte Reckstange
verbinden. So sind mannigfaltige Sprünge und Salti von den
Trampolinen links und rechts zu den unterschiedlichen Ebenen des
Hauses dazwischen und zurück möglich. Ein gut gelaunter,
actionreicher Spaß.
 
Steve and
Ryan, Angelina und Flórián Richter
Und die Laune
bleibt gut, denn Steve und Ryan bieten im Zusammenspiel mit
Rebecca Siemoneit-Barum kreativen Slapstick. Die Geschichte
handelt davon, dass die beiden Clowns das Hemd des
Kapellmeisters in ihrer Waschmaschine reinigen sollen – der
Aufhänger für eine turbulente Wasserschlacht. Ernsthafter geht
es dann wieder bei der Ungarischen Post zu, die hier von
Angelina Richter geritten wird. Zwölf Vorauspferde in drei
Gruppen galoppieren letztendlich in vollem Tempo durch die
Manege, hinter ihnen die jugendlich-elegante Reiterin auf den
Rössern 13 und 14. Dabei nimmt sie die Bänder von den Rücken der
Tiere auf und formt so ein imaginäres Gespann. Ihr Vater Flórián
ordnet das Geschehen in der Mitte des roten Rings. Damit geht es
in die Pause.

Argendance
Zu Hälfte zwei
empfängt uns das Ballett in glamouröser Weise mit blauen Hüten.
Das doppelte Flugtrapez der zehnköpfigen Truppe „The Flying
Halcones“ aus Chile ist da schon aufgebaut. Auf zwei Bahnen
nebeneinander wird ein wahres Festival an Sprüngen sicher
präsentiert. Besonders herausgestellt wird von Rebecca
Siemoneit-Barum in ihrer Ansage die spektakuläre Reihung von
doppelter Pirouette, dreifachem gestreckten Salto, dreifachem
Salto mit Pirouette und Doppelsalto, die zwei der Artisten in
schneller Abfolge präsentieren. Mit der Passage, auf beiden
Bahnen parallel gesprungen, findet diese starke und attraktive
Darbietung ihren Abschluss. Nach einem Intermezzo der Clowns
folgen zwei weitere, große Truppennummern. Zunächst bleiben wir
in Südamerika. Die Truppe Argendance – bekannt aus dem
Saisonprogramm bei Charles Knie - bringt hier das ganze
Temperament ihrer Heimat aufs Parkett, mit rasant kreisenden
Bola-Seilen und dem typischen Klackern, mit ausdrucksstarkem
Tanz und martialischem Trommeln. Das choreographische
Gesamtkunstwerk lässt in wechselnden Lichtstimmungen immer neue
Bilder erscheinen.

Unicircle Flow
Nun geht es nach
Asien. Die acht Japanerinnen der Truppe „Unicircle Flow“ fahren
auf ihren Einrädern über den Holzboden, der in der Pause
ausgelegt wurde – wie der Truppenname bereits andeutet, in einem
großartigen Fluss der Bewegungen. Mal rotieren die Mädchen mit
ihren wehenden roten Kleidern in Formation jeweils um die eigene
Achse, mal schaffen sie bewegte Bilder, in dem sie
hintereinander her fahren, sich teilweise auch im Stil einer
Polonaise an den Händen halten. So kreuzen sich ihre Bahnen,
oder es wird spontan eine Drehung eingebaut, sich weiter an den
Händen fassend.
  
Rebecca
Siemoneit-Barum, Duo Unity, "La Bouche" Showgirls
Nun folgt einer
der schönsten Momente der Show, der noch später im Programm –
vor der Schlussnummer – vielleicht noch angemessener platziert
wäre. Eingeleitet wird er von Rebecca Siemoneit-Barum, die auf
der linken Showtreppe stehend „Let you love me“ von Rita Ora
interpretiert, während die Showgirls einen wunderbaren Tanz
zelebrieren, in ihren Händen Fächer haltend, die mit zarten
Tüchern verlängert sind. So wird stimmungsvoll die Bühne
bereitet für den Auftritt des Duos Unity. Die Ulmerin Lea Toran
Jenner und ihr kanadischer Partner Francis Perreault rotieren
hier in einem intensiven, emotionsgeladenen Duett im Cyrrad über
den Bühnenboden. In einigen Passagen einander zugewandt, in
anderen Rücken an Rücken, kurzzeitig auch jeweils im Solo,
drehen sie ihre Runden. Die enorme Ausstrahlung der beiden
erreicht wohl jeden Besucher im Chapiteau. Das Duo, das auch das
Plakatmotiv bildet, feierte schon im Moulin Rouge in Paris
Erfolge und wird von Heilbronn direkt zum Circusfestival nach
Monte Carlo weiterreisen. Ganz nebenbei genießt „Zirkuslea“ mit
mehr als 70.000 Followern auf Instagram auch Promi-Status als
Influencerin und bot in Heilbronn gar ein „Meet and Greet“ an.
  
Steve and
Ryan, Duo Olmos, Hebei Acrobatic Troupe
Nochmal lassen uns
Steve and Ryan herzlich lachen, nunmehr in ihrer verrückten
Werkstatt mit wunderbar plastischen Requisiten. Solo-Artisten
gibt es in dieser ganz großen Show keine, die kleinste Einheit
ist das Duo. Und so ist es nun an den spanischen Brüdern Rafael
und Paco Olmos, sich mithilfe der Koreanischen Wippe gegenseitig
zu Sprüngen, Salti und Platzwechseln auf die jeweils andere
Seite des Requisits in die Höhe zu katapultieren. Dies alles
geschieht zu elektronischer Musik cool und unaufgeregt. Den
Schluss- und Höhepunkt des Programms übernehmen noch einmal die
16 Herren der Hebei Acrobatic Troupe. Ihre Vasenjonglage ist
einer von mehreren Belegen in dieser Show, dass es Sascha
Melnjak auch in der 24. Saison immer wieder gelingt, etwas fürs
Heilbronner Publikum Neues zu finden. Und die Nummer bietet,
nach der Michael-Jackson-Choreographie der Truppe zu Beginn der
Vorstellung, nun traditionelles asiatisches Flair. In einer
faszinierenden Abfolge werden Vasen von Kopf zu Kopf
weitergereicht, schräg auf der Kante stehend auf dem Schädel
balanciert oder – und zwar große, massive Exemplare – geworfen
und im Nacken gefangen. Spektakulär ist beispielsweise auch, wie
ein Zwei-Personen-Hoch per Handvoltige zum Drei-Personen-Hoch
erhöht wird, während der vorherige Obermann die Vase von seinem
Nacken in die Höhe katapultiert und der neue Obermann sie ebenso
auf den Schultern fängt. |